Die schönen Aussichten vom Strand aus lassen anderes vermuten, aber die Nordsee ist ein geschäftiges Gebiet. Sie braucht Platz für Schifffahrt, Fischerei, militärische Übungen, Erholung und natürlich für die Natur. Außerdem spielt die Nordsee eine wichtige Rolle beim Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Sie ist ein ideales Gebiet für die Erzeugung erneuerbarer Energie durch Windparks, schwimmende Solarparks und Wellenkraftwerke. Darüber hinaus werden wir in Zukunft wahrscheinlich in größerem Umfang Algen und Meeresfrüchte für eine nachhaltigere Ernährung anbauen. All diese Anwendungen und die daran beteiligten Unternehmen kommen auf See zusammen. Eine gute digitale Kommunikation ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Nur ist das noch nicht so einfach zu realisieren.
Um die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation auf See zu erforschen und Innovationen zu testen, gründete Fred Hage zusammen mit Wiebrand Bouwkamp das Connectivity Fieldlab North Sea (CFNS) beim Rijkswaterstaat. “Die Digitalisierung der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Regierung schreitet sehr schnell voran, aber auf See hinkt sie hinterher”, sagt Hage, der jetzt als Programmmanager des CFNS tätig ist. So sind die Telekommunikationstechnologie-Generationen 4G und 5G an Land ein fester Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden, aber auf See ist es komplizierter. Denn 5G erfordert viele Masten. Das ist auf dem Wasser nur schwer zu realisieren. Da sind andere Lösungen gefragt. Um die Nordsee zu digitalisieren, hat das niederländische Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft (I&W) einen Antrag auf einen Wachstumsfonds gestellt.
Fred HageWir müssen den Raum auf See so effizient wie möglich nutzen. Eine gute Kommunikation ist daher unerlässlich
Von analog zu digital
Derzeit erfolgt die Kommunikation auf See noch über analoge Technik. “Um ein Bild zu vermitteln: Diese Technologie ist nicht einmal für SMS geeignet”, erklärt Hage. Dieses System reicht nicht mehr aus, wenn mit der Ankunft anderer Objekte auf See wie Windturbinen und Krebszuchtboxen mehr Bewegung in die Sache kommt. Denn damit wächst auch der Bedarf an Konnektivität und Kommunikation zwischen solchen Objekten, zum Beispiel durch Sensoren. Es wird also ein intelligenteres System benötigt, das es ermöglicht, diese Sensoren und andere Geräte, die mit dem Internet der Dinge verbunden sind, ebenfalls auszulesen. “Wir müssen den Raum auf See so effizient wie möglich nutzen. Dafür ist eine gute Kommunikation unerlässlich”, argumentiert er.
Und wenn eine gut funktionierende, digitale Kommunikation auf See ermöglicht wird, gibt es noch viele weitere Anwendungsmöglichkeiten dafür. “Man kann sich vorstellen, dass dann mehr und andere Sensoren an schwimmenden Solarparks angebracht werden, um z.B. auch Daten zur Wasserqualität sofort in Echtzeit zu überwachen”, fährt er fort. Das macht die digitale Kommunikation für ein breites Spektrum von Unternehmen und (staatlichen) Organisationen interessant. Im CFNS werden mehrere mögliche Technologien getestet, um herauszufinden, was auf See am besten funktioniert. Hage: “Wir schauen uns neue Technologien an, aber auch bestehende. Schließlich funktionieren viele bestehende Technologien gut an Land, wurden aber noch nie auf See getestet.”
Testboje
In diesem Jahr wird das CFNS verschiedene Technologien mit Hilfe einer Boje testen. “Wir werden alle Arten von Sensoren auf dieser Boje platzieren, um verschiedene Kommunikationstechnologien in der Praxis zu testen. Dabei geht es insbesondere um LTE-M und das 450-MHz-Band”, erklärt Hage. Zunächst wird eine Stelle in Küstennähe eingerichtet, um alles genau im Blick zu behalten. Danach soll die Boje Dutzende von Kilometern vor der Küste platziert werden, um zu sehen, welche Technologie auch auf große Entfernungen zuverlässig ist. Hage: “Ein Field Lab, wie wir es in den letzten Jahren aufgebaut haben, ist eine große Chance für Rijkswaterstaat, die digitale Nordsee weiterzuentwickeln. Es ist ein schneller und gezielter Weg zur Innovation und Validierung. Dies wird es der Gesellschaft und der Wirtschaft ermöglichen, sich in den kommenden Jahren weiter zu digitalisieren und zu entwickeln.”
Niedrige Frequenz, große Reichweite
In diesem Jahr werden zum Beispiel auch die Möglichkeiten der Kommunikation über LEO-Satelliten untersucht. Außerdem untersucht Rijkswaterstaat, ob es möglich ist, mit der niedrigsten Frequenz (700 MHz) von 5G eine vollständige Abdeckung in der 12-Meilen-Zone (die ersten +/- 19 km von der Küste, Anm. d. Red.) zu erreichen. “Der Business Case für die Anbieter ist natürlich hauptsächlich landgestützt, aber wir untersuchen, ob wir dies in irgendeiner Weise auf das Meer ausweiten können”, erklärt Hage. Für die Kommunikation außerhalb der 12-Meilen-Zone werden auch andere Technologien geprüft.
Eine Möglichkeit ist die drahtlose Verbindung über LTE-M, das mit einer Frequenz von 450 MHz arbeitet. “Mit dieser niedrigen Frequenz ist die Reichweite eines Signals viel größer. Folglich braucht man weniger Masten. Außerdem durchdringt eine niedrigere Frequenz leichter Gebäude, was für landgestützte Anwendungen von Bedeutung ist”, sagt Arjan Olde Damink. Er ist Direktor von Utillity Connect, einer Tochtergesellschaft der Netzbetreiber Stedin und Alliander. Das Unternehmen nutzt die 450-MHz-Frequenz zum Auslesen von intelligenten Zählern und anderen Geräten der Netzbetreiber, entwickelt aber auch alle möglichen Innovationen auf dieser Frequenz für die Zukunft. LTE-M ist die Technologie, die speziell für Verbindungen zwischen Geräten im Internet der Dinge entwickelt wurde.
Weiter denken
LTE-M über 450 MHz ist an sich keine neue Technologie. Sie wird bereits in Amerika und Deutschland eingesetzt. “Aber die Verwendung dieser Technologie auf See ist neu. Damit stehen wir wieder vor ganz anderen Herausforderungen”, meint Olde Damink. So kann beispielsweise die Reflexion der Wasseroberfläche die Ausbreitung (die Reichweite des Signals, Anm. d. Red.) beeinträchtigen. Außerdem ist die Abnutzung der Materialien aufgrund von Wind und Salzwasser anders. Darüber hinaus muss das System sowohl für das Senden und Empfangen von Daten als auch für Sprache geeignet sein. LTE-M wird schon seit langem für die Übertragung von Daten, aber noch nicht für die Sprachkommunikation genutzt. Die beteiligten Parteien werden diese Anwendung nun weiter untersuchen.
Die Weiterentwicklung von LTE-M über 450 MHz bietet neben den maritimen Anwendungen auch andere Möglichkeiten. So eignet sich das System beispielsweise sehr gut für das Auslesen von intelligenten Zählern in Haushalten und Sensoren entlang von Straßen oder in Infrastrukturnetzen.
“Wir brauchen diese Art von robusten Netzen, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten, aber auch um Grundvoraussetzungen wie die Sicherheit zu gewährleisten”, argumentiert Olde Damink. Den Netzbetreibern kommt dabei eine entscheidende Rolle zu, sagt er. “Die Netzbetreiber müssen nicht miteinander konkurrieren. Das ist eine ziemlich einzigartige Position. Daher tauschen die Netzbetreiber auf nationaler und internationaler Ebene Erfahrungen miteinander aus. Ich glaube wirklich an diese Zusammenarbeit. Das heißt noch nicht, dass alle Innovationen auch tatsächlich umgesetzt werden, aber gemeinsam zu forschen und zu entdecken bringt uns immer weiter.”