Die Europäische Union strebt die Bioökonomie an und möchte von fossilen auf erneuerbare Quellen umsteigen. Betroffen sind sowohl Produktionsprozesse als auch Energieerzeugung. Diese Umstellung in Europa wird weltweit Folgen haben – etwa hinsichtlich des Land- und Wasserverbrauchs.
Forschende um Stefan Giljum an der Wirtschaftsuniversität Wien möchten die Entscheidungen, die diese Umstellung erfordert, auf eine solide Datenbasis stellen. Sie bauen ein Computermodell, um belastbare Daten und Modelle zur Minimierung von Treibhausgasen und Umweltverschmutzung zu gewinnen. Diese Daten sollen Konsumierenden, einzelnen Unternehmen, ganze Branchen und politischen Entscheidern zu wirklich nachhaltigen Entscheidungen verhelfen.
Konsum und seine Folgen auf die Umwelt
Aktuell gibt es noch viele Lücken im Verständnis der mitunter sehr komplexen weltweiten Produktionsketten. Oft wissen wir nicht, welche Zusammenhänge zwischen unserem Konsum und den Folgen auf die Umwelt in anderen Kontinenten bestehen, etwa bei den Kohlendioxid-Emissionen, dem Verbrauch von Wasser oder der benötigten Anbaufläche. Schließlich werden die Kohlendioxidemissionen für weltweit gefragte Waren dem Produktionsland angelastet.
Wo, wie und in welcher Menge Maiskolben aus dem Feld gezogen werden, hat im Anbauland Auswirkungen auf Flächennutzung, Umwelt und Gesellschaft. In einem Konsumland wie Österreich kommen diese in Form von Popcorn, Tierfutter oder Treibstoff (Bioethanol) an. Hier sind die Auswirkungen des Anbaus nicht zu spüren.
Foto oben: Luftaufnahme von Palmöl-Plantagen in Indonesien. Die weltweite Produktion des Öls ist von 4,5 Millionen Tonnen auf 70 Millionen Tonnen zwischen 1980 und 2014 gestiegen. Das Forschungsprojekt zeichnet den globalen Fußabdruck einzelner Produktgruppen nach.
Das Computermodell
Eben diese globale Ressourcennutzung ist es, die Giljum und sein Team in ihrem Computermodell visualisieren. Sie bilden die Weltwirtschaft ab, indem sie Materialflüsse vom Ursprung bis zum Endverbrauch erfassen. Der Fokus liegt auf dem Einsatz von Biomasse und fossilen Energieträgern entlang von globalen Wertschöpfungsketten. Das Computermodell soll aufzeigen, wie der Konsum einzelner Produkte – etwa in Europa – mit den Umweltfolgen des An- oder Abbaus der Rohstoffe in den Herkunftsländern zusammenhängt.
Besonders spannend sind die Verzweigungen globaler Materialflüsse, die in Richtung Treibstoff, Lebens- und Futtermittel oder Baustoffe gehen, so Giljum:
- Mais wird entweder gegessen, gefüttert oder in Form von Bioethanol getankt.
- Holz kann verheizt, verbaut oder chemisch verarbeitet werden.
- Zuckerrohr wird zu Treibstoff, Zucker oder Spirituosen.
Im Computermodell wird der Ressourcenverbrauch von 190 Ländern mit Blick auf konkrete Produktgruppen wie Textilien, Nahrungsmittel oder Energieträger aufgezeigt. Hotspots von intensiven Umweltfolgen werden offensichtlich.
Datenbeschaffung und -abbildung
Um die Zusammensetzung der globalen Materialströme aufzuzeigen, verwendet das Team aktuelle Daten etwa von diversen Behörden der Vereinten Nationen. Um die Daten zu harmonisieren und in einen konsistenten Rahmen zu bringen, werden geeignete Prozesse entwickelt. Im Computermodell verwandeln sich die Einheiten auf dem Weg vom Ursprung zum Endverbrauch: Aus Energieinhalt und Tonnagen in den ersten Verarbeitungsschritten werden monetäre Lieferungen zwischen Wirtschaftssektoren und Haushaltsausgaben in den Verbraucherländern; letztere werden in Euro ausgedrückt.
Foto oben: Das Flussdiagram zeigt die Verbreitung der brasilianischen Sojabohne in der Welt und wie sie genutzt wird.
Lückenhafte Datenlage
Die Nahrungsmittelproduktion für die Europäische Union erfolgt zu etwa 85 Prozent auf Flächen innerhalb der EU. Die Versorgung mit Produkten aus biogenen Rohstoffen wie etwa Treibstoff und Kunststoff wird jedoch zu zwei Dritteln aus Anbaugebieten außerhalb der EU sichergestellt.
Weniger bekannt ist die Herkunft von Biomasse oder fossilen Energieträgern, die derzeit nur auf Ebene aggregierter Wirtschaftssektoren nachvollziehbar ist. Forschungsgruppen weltweit arbeiten daran, detailliertere Modelle zu erstellen, um die Umweltfolgen auch einzelner Produkte besser zu verstehen.
In Kooperation mit Experten vom deutschen Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie soll ein Computermodell mit möglichst präzisen Datenquellen über die gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette von Biomasse und Treibstoffen entstehen. Dieses bietet letztlich Entscheidungshilfen, um Verschwendung, Flächenverbrauch oder klimaschädliche Emissionen zu verringern.
Stefan Giljum leitet die Forschungsgruppe Globale Ressourcennutzung am Institute for Ecological Economics der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Das Projekt MF-GLOBE wird vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert und läuft noch bis 2022.
Foto oben: Die Weltkarten zeigen das Ackerland (in Hektar) in den Produktionsländern für Mais/Zuckerrohr, Öl- und Faserpflanzen. In der EU liegen zwei Drittel der Anbaugebiete für biogene Rohstoffe, die nicht zu Nahrungsmittel verarbeitet werden, außerhalb Europas.
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