Alzheimer – eine Schreckensdiagnose, mit der immer mehr Menschen zurecht kommen müssen. Laut Zahlen des Bundesministeriums für Gesundheit erkranken in Deutschland täglich rund 900 Männer und Frauen an der tückischen Krankheit – und die Suche nach einem Heilmittel verlief bisher ergebnislos. Medikamente können den Verlauf, wenn überhaupt, lediglich verlangsamen aber nicht aufhalten oder gar umkehren.
Im Forschungszentrum Jülich ist Wissenschaftlern nun ein wichtiger Schritt gelungen, der Hoffnung macht. Der entwickelte mögliche Alzheimer-Wirkstoff PRI-002 habe die Phase I der klinischen Forschung in gesunden Freiwilligen erfolgreich durchlaufen, vermelden die Forscher. Die Probanden nahmen den Wirkstoff über vier Wochen täglich ein und er habe sich als sicher für die Anwendung im Menschen erwiesen, betonen sie. Der nächste Meilenstein sei nun der Nachweis der Wirksamkeit im Patienten in der klinischen Phase II.
„Der Wirkstoffkandidat PRI-002 hat bereits im Sommer 2018 seine Sicherheit und Verträglichkeit bei einmaliger Anwendung im Menschen unter Beweis gestellt – und zwar bis zur höchsten geplanten Dosierung”, sagt Prof. Dieter Willbold, Direktor des Jülicher Instituts für Strukturbiochemie (ICS-6) und Leiter des Instituts für Physikalische Biologie der Universität Düsseldorf. „Dabei erreichten die Wirkstoffkonzentrationen im Blut die Werte, die zuvor therapeutisch wirksam waren im Tiermodell. Nun konnten wir auch bei vierwöchiger täglicher Verabreichung die Sicherheit des Wirkstoffes zeigen.“
Bisher getestete Wirkstoffe ohne Wirkung
Bei bisherigen Tests von Alzheimer-Wirkstoffkandidaten stellte die entscheidende Klinische Phase III eine Hürde dar, in der die potentiellen Medikamente scheiterten. In dieser Phase III soll die Wirksamkeit und Sicherheit des Wirkstoffs bestätigt werden. Die Ergebnisse waren jedoch enttäuschend, denn es konnte keine Verbesserung der Gedächtnisleistung und Kognition bei Alzheimer-Patienten erreicht werden. Das Amyloid-beta-Monomer (Abeta) zeigte nicht die erhoffte Wirkung.
„Das hat sicher einen guten Grund, denn es gibt klare genetische Hinweise, dass Abeta in irgendeiner Form eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Alzheimer-Demenz hat”, erklärt Dieter Willbold warum das Peptid im Fokus der Forschungen stand. Man versuchte dabei entweder, „die Bildung von Abeta-Monomeren aus seinem Vorläuferprotein APP durch Hemmung der daran beteiligten spaltenden Enzyme zu reduzieren oder es wurden monoklonale Antikörper gegen verschiedene Formen von Abeta eingesetzt.“
Das Amyloid-beta-Monomer ist ein natürliches Eiweiß im menschlichen Körper, das während des während des gesamten Lebens gebildet wird. Es ist nicht toxisch und bleibt unter normalen Bedingungen auch ungefährlich. Je älter ein Mensch wird, desto mehr steigt aber das Risiko, dass sich mehrere Abeta-Monomeren zu einem Abeta-Oligomere zusammenschließen. Im weiteren Verlauf können sie sich selbst vermehren und sind im Gegensatz zu den Monomeren hochgiftig und äußerst mobil. So behindern sie die normale Funktion der Nervenzellen im Gehirn, da sie an jedem beliebigen Ort Schaden anrichten können.
„Wir hatten uns einen anderen Ansatz für unseren Wirkstoffkandidaten überlegt, denn das Prinzip, dass es nicht um die Bildung von Abeta selbst geht, sondern um dessen Aggregation zu Oligomeren, ist schon einige Jahre bekannt”, sagt Dr. Antje Willuweit vom Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-4), die bereits viele Jahre die Forschung von Dieter Willbold begleitet.
Wirkstoff mit neuem Ansatz
Der Wirkmechanismus von PRI-002 hat einen komplett anderen Ansatz als die bisherigen, gescheiterten Wirkstoffkandidaten. Er zerstört direkt und ohne Mitwirkung des Immunsystems die toxischen Oligomere und zerlegt diese in die ungefährlichen Abeta-Monomere. Außerdem basiert PRI-002 auf einem Wirkstoff, der seinerseits auf sogenannten D-Peptiden basiert. Diese bestünden aus den genauen Spiegelbildern der normalerweise im Organismus vorkommenden L-Aminosäuren in Proteinen und würden deshalb im Körper nicht oder sehr langsam abgebaut, betonen die Wissenschaftler. Dadurch sei der Wirkstoff so stabil, dass PRI-002 als Tablette oder Kapsel verabreicht werden könne.
„Ich verfolge die Entwicklung von PRI-002 mit großem Interesse. Nicht nur, weil es einen interessanten und neuen Ansatz in der Therapie von Alzheimer darstellt, sondern auch wegen der Möglichkeit einer Verabreichung mittels Tablette oder Kapsel, was insbesondere bei älteren Menschen sehr vorteilhaft ist”, sagt Prof. Oliver Peters von der Charité in Berlin.
Auch die Ergebnisse der präklinischen Wirksamkeitstests mit PRI-002 wurden in der Regel mit oraler Verabreichung erzielt. „Wir konnten zeigen, dass es bei Mäusen mit alzheimerähnlichen Symptomen zu einer kognitiven Leistungsverbesserung kam“, sagt Dr. Janine Kutzsche, Wissenschaftlerin aus dem Team von Prof. Willbold. „Gedächtnis und Kognition der behandelten Mäuse waren signifikant gegenüber der Plazebo-Gruppe verbessert und sogar nicht mehr von der Gedächtnisleistung gesunder Mäuse zu unterscheiden.” Da die Studien an sehr alten Mäusen mit weit fortgeschrittenem Krankheitsbild durchgeführt wurden, sehen Kutzsche und ihre Kollegen es als sehr vielversprechend an, dass selbst bei diesen Tieren die Krankheitssymptome erfolgreich behandelbar waren. „Also unter eindeutig nicht-präventiven Bedingungen”, unterstreicht Willbold.
Nachdem nun auch Ergebnisse aus den erfolgreichen Tests einer einfachen und mehrfachen ansteigenden Dosierung von PRI-002 in gesunden, freiwillig teilnehmenden Menschen vorliegen, steht einer weiteren Entwicklung des Wirkstoffes nichts mehr im Weg. „Unser nächstes Ziel ist der Nachweis der Wirksamkeit im Patienten“, sagt Willbold. „Wir hoffen, diesen Weg mit der Firma Priavoid erfolgreich gehen zu können.”
Förderung von der Alzheimer‘s Association
Priavoid ist eine Ausgründung von Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Das 2017 gegründete Unternehmen mit Sitz in Jülich entwickelt und vermarktet neuartige, auf sogenannten D-Peptiden basierte Wirkstoffkandidaten gegen neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson, ALS, die Huntington-Krankheit und verschiedene Tauopathien. Am weitesten fortgeschritten ist das gegen die Alzheimer-Krankheit gerichtete PRI-002, das nun weiter im Menschen getestet wird.
Die aktuelle Studie wurde von Prof. Michael Wolzt an der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien durchgeführt, in enger Koordination mit Dr. Dagmar Jürgens vom ICS-6. Ein weiterer Partner ist die Neuroscios GmbH, ein Auftragsforschungsinstitut, das das Monitoring beider Studien durchführte. Zusätzlich wurde sie durch den „Part the Cloud: Translational Research Funding award” der US-basierten „Alzheimer‘s Association” (PTC-19-605853) gefördert.
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