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Demenz und insbesondere deren Unterform Alzheimer geben den Wissenschaftlern wohl noch für einige Zeit Rätsel auf. Erst vor einer Woche teilte der US-Biotechkonzern Biogen mit, dass eine Studie mit dem Wirkstoff Aducanumab zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit im Frühstadium gescheitert sei. Eine Zwischenanalyse der beiden Phase-3-Studien mit mehr als 3.200 Probanden habe keinen Hinweis auf einen Erfolg gegeben. „Aducanumab sollte auf Grundlage einer Immunisierung wirken“, erklärt man beim Alzheimer-Forschung e.V. „Es handelte sich um einen Antikörper, der sich gegen das für die Alzheimer-Krankheit charakteristische Beta-Amyloid richtete. Die Hoffnung war, den Verlauf der Alzheimer-Erkrankung dadurch zu verlangsamen.“

An der Universität Leipzig wollen Wissenschaftler nun neue Wegen, um mehr über die Krankheit zu erfahren, von der weltweit etwa 46,8 Millionen Menschen betroffen sind. PD Dr. Dr. Markus Morawski vom Paul Flechsig-Institut für Hirnforschung der Universität Leipzig geht in seinem neuen Forschungsprojekt der Frage nach, wieso einige Zellen in Folge der Alzheimerschen Erkrankung absterben, andere aber nicht.

„Das Besondere an unserer Studie? Wir beschäftigen uns nicht etwa mit den Zellen, die absterben. Wir untersuchen die Zellen, die überleben und wollen herausfinden, was sie vor der Krankheit schützt“, sagt Morawski. Der Forscher untersucht die Alzheimer-Krankheit seit gut 20 Jahren in verschiedenen Studien.

Morawski und sein Team untersuchen im Rahmen des aktuellen Forschungsprojekts die Neuronen, die von einem perineuronalen Netz, einer Art Mantel oder Panzer umgeben sind, der die Zelle schützt. So einen Mantel hat zwar jede Zelle, das perineuronale Netz sei im Vergleich aber besonders dick und groß. „Noch dazu ist es negativ geladen. Man spricht von einem ‚Ladungsschild‘ um die Zelle herum, das sie von außen unangreifbarer macht“, erklärt der Leipziger Forscher. Ist dieser Schild aber auch stark genug, um die sogenannten Tau-Protein-Ablagerungen abzuwehren, die sich bei Alzheimer-Patienten in den Nervenzellen bilden und so vermutlich zum Nervenzelluntergang beitragen?

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Experimente im Reagenzglas und im Tiermodell

Das versuchen die Forscher herauszufinden und haben dazu Neuronen-Kulturen angelegt. Bei Versuchen mit diesen Kulturen zeigte sich bereits der positive Effekt des perineuronalen Netzes um die Zelle. Die Frage bleibt nun, ob sich diese Ergebnisse auch bei einem aktiven Organismus zeigen. Im Tierversuch reduzieren die Forscher deshalb eine Hauptkomponente der perineuronalen Netze, sodass die Zellen nicht mehr so gut geschützt sind. Sie wollen in einer Kreuzung mit Tieren, die übermäßig viele der schädlichen Tau-Proteine ablagern, herausfinden, ob es wirklich der Mantel um die Nervenzelle herum ist, der sie schützt.

Sollte sich diese Hypothese bestätigen, wäre das ein neuer Ansatzpunkt für ein Therapeutikum. „Denkbar wäre, dass Patienten schon vor dem offensichtlichen Ausbruch der Alzheimerschen Krankheit ein Zucker-Molekül, das Teil des perineuronalen Netzwerks ist, gespritzt bekommen würden“, sagt Morawski. „Dieses Molekül mit negativer Ladung würde die positiv geladenen Tau-Proteine wie ein Schwamm aufsaugen. Über die Stoffwechselprozesse der Zelle würden diese dann abgebaut werden und könnten sich nicht mehr in der Nervenzelle ablagern.“

Ein Problem, vor dem Ärzte bei der Diagnostik von Alzheimer stehen, ist die Diagnostik. Die Magnetresonanztherapie, kurz MRT, mit der man versucht, schon möglichst früh die kleinsten Plaque-Ablagerungen, etwa durch die Tau-Proteine, feststellen zu können, können die Nervenbahnen und Kreuzungen im Gehirn nur im Millimeter Bereich auflösen. Top-Geräte schaffen noch bis etwa 0,5 Millimeter, die einzelnen Nervenfasern bewegen sich jedoch im Mikrometer-Bereich. Das bedeutet, dass das MRT die Nervenfasern und ihre Verlaufsrichtung nur grob darstellen kann.

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Atlas der Nervenbahnkreuzungen und Größen

Um diese Probleme künftig ausräumen zu können, überprüft Markus Morawski in einem weiteren Forschungsprojekt – gemeinsam mit Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf – die Größe und den Verlauf der Nervenbahnen auf Mikroebene. Dabei untersucht er kleine Blöcke des menschlichen Gehirns und macht sie mittels eines in Leipzig entwickelten Verfahrens durchsichtig. Die einzelnen Fasern werden dann mithilfe eines 3D- und Elektronen-Mikrokops kartiert.

Die so gewonnenen Daten werden in einer Art „Altas der Nervenbahnkreuzungen und Größen“ aufgearbeitet, wobei die histologischen Informationen in Zukunft dabei helfen sollen, die Darstellung von MRT-Daten zu verbessern. Mit diesen zusätzlichen Informationen wird die Interpretation von MRT-Bildern verbessert, was sowohl die Diagnostik als auch die Therapie erleichtert.

Das sei besonders für neurodegenerative Erkrankungen maßgeblich, betont Morawski. „Bei Parkinson können wir dann beispielsweise ganz genau sehen, wie viel Substanz der betreffenden Hirnregion schon degeneriert ist. Ablagerungen im Gehirn bei Alzheimer könnten wir schon im Frühstadium detektieren und so auch schneller gegensteuern.“

Morawski erhielt für das Projekt kürzlich eine Förderung der Alzheimer Forschung Initiative e. V. in Höhe von 120.000 Euro, außerdem wird dieses Teilprojekt im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramm 2041 „Computational Connectomics“, das noch bis 2021 läuft, mit rund 600.000 Euro gefördert.

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