Die Seilbahnbetriebe des Tiroler Skigebiets Ischgl sind seit dem Start der Wintersaison klimaneutral und nehmen damit eine Vorreiterrolle in den Alpen ein. Forciert wurde die Entscheidung durch den gemeinnützigen Verein Vitalpin, der Betrieben in alpinen Tourismusgebieten eine standardisierte Klimazertifizierung anbietet.
Vitalpin wurde im März 2019 gegründet und expandierte innerhalb kürzester Zeit von 25 auf 75 Mitglieder. Die Vereinigung von Betrieben in alpinen Tourismusgebieten war angetreten, um ihre Mitglieder auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft zu begleiten. Eine erste Maßnahme war die Ausarbeitung der standardisierten Klimazertifizierung.
Klimaneutral bedeutet die Umwelt weder positiv noch negativ zu beeinflussen.
Die standardisierte Klimazertifizierung ist mit der größtmöglichen Vermeidung von CO2-Emissionen verbunden. Weil das nicht zu hundert Prozent möglich ist, werden die unvermeidlichen CO2-Emissionen in Klimaschutzfonds eingezahlt. Klimaschutzfonds sind Portfolios, die sich aus verschiedenen Umweltprojekten zusammensetzen. Bis dato beziehen sich diese Umweltprojekte ausschließlich auf Entwicklungs- und Schwellenländer – mit der Zusatzaufgabe, dort auch die Armut zu lindern. Diese Art der Klimafinanzierung hat ihren Ursprung in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, welche die Industriestaaten zur finanziellen Unterstützung verpflichtet.
Regionaler Klimaschutzfonds
Vitalpin entwickelte die standardisierte Klimazertifizierung gemeinsam mit Climate Partner, einem deutschen Offset-Anbieter. Offset-Anbieter vermarkten die Vorhaben von Anbietern von Umweltprojekten und entwickeln auch eigene Projekte. Gemeinsam will man jetzt einen Klimaschutzfonds gründen, der auch regionale Umweltprojekte fördert. Wie Theresa Haid, die Geschäftsführerin von Vitalpin erklärt, mache das die Zertifizierung zwar teurer, weil die zertifizierten Betriebe in zwei Fonds einzahlen müssen: jenen der regionalen Umweltprojekte und jenen der Umweltprojekte in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Das sei aber im Interesse aller Mitglieder von Vitalpin. Sie wollen den Klimaschutz vorantreiben und eine Kreislaufwirtschaft etablieren.
Die Seilbahnbetriebe in Ischgl sind das erste Mitglied, das die standardisierte Klimazertifizierung durchführen ließ. Aber laut Haid haben schon mehr als zehn Seilbahnbetriebe aus Österreich, Südtirol und Bayern die Absicht erklärt, dem Beispiel folgen zu wollen.
Die Kompensationsgelder der Ischgler Seilbahnbetriebe fließen zum einen in Aufforstungsprojekte in Peru und zum anderen in regionale Aufforstungsprojekte.
Wie sich die Zertifizierung auf die Seilbahnbetriebe auswirkt, erklärt Günther Zangerl, Mitglied des Vorstandes der Silvrettaseilbahn AG im Interview:
Sie waren der Erste, der die standardisierte Klimazertifizierung durchgeführt hat. Gibt es bereits ein Vorbild dafür – im Wettbewerb der alpinen Tourismusgebiete?
Vorbild ist nicht das richtige Wort. Wir sind auch nicht die Allerersten. Es gibt bereits einzelne kleinere Skigebiete, die sich in diese Richtung entwickeln. Aber wir sind sicher das größte klimaneutrale Skigebiet in den Alpen. Die maximale Personenzahl, die mit allen Anlagen im Skigebiet von Ischgl befördert werden kann, liegt bei einer theoretischen Förderleistung von rund 95.000 Personen in der Stunde.
Wie kam es zur Entscheidung?
Wir haben festgestellt, dass das Thema Klimaschutz zunehmend an Bedeutung gewinnt und auch bei unseren Gästen ein großes Umdenken stattfindet. Zum Beispiel wurden wir heftig kritisiert, als wir 2019 ein neues Fastfood-Lokal mit Plastikgeschirr eröffnet haben. Uns war klar, dass das Thema bleiben würde – und der Zeitpunkt erschien uns günstig. Ischgl hat schon in der Vergangenheit mit Events wie Popkonzerten auf der Piste eine Vorreiterrolle eingenommen. Diese Rolle möchten wir jetzt auch im Klimaschutz spielen.
Bei der Berechnung der CO2-Emissionen der Seilbahnbetriebe – welcher Wert wurde ermittelt – und um wie viele Tonnen konnten Sie diesen Wert durch umweltfreundliche Maßnahmen reduzieren?
Der Wert lag bei 10.500 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr – inklusive einem Sicherheitsaufschlag von zehn Prozent. Die Einsparungen, die wir erzielen konnten, lagen bei 420 Tonnen. Wobei wir schon in den vergangenen Jahren zahlreiche Maßnahmen gesetzt haben, um unseren CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Welche Maßnahmen, haben Sie gesetzt?
Neben Optimierungen – vor allem im Energiesektor – waren das vor allem kleinere Dinge. Zum Beispiel haben wir
- freiwillige Aufforstungsprojekte durchgeführt;
- die An- und Abfahrt unserer außerhalb wohnenden Mitarbeiter mit Shuttlebussen übernommen;
Im Strommix haben wir den Anteil an erneuerbarer Energie auf 80 Prozent erhöht. Dabei setzen wir vor allem auf Solarenergie, Erdwärme und Wärmerückgewinnungsanlagen.
Welche Bereiche haben den größten Anteil an den gesamten CO2-Emissionen?
Das ist klar der Fuhrpark mit einem CO2-Ausstoß von 24,9 Prozent. Mehr als 30 Pistengeräte sind jede Nacht im Einsatz und haben durch ihr hohes Gewicht und ihre enorme Leistung einen entsprechenden Treibstoffverbrauch. An zweiter Stelle folgt die Gastronomie mit rund 21 Prozent und an dritter Stelle der Strom mit über 20 Prozent. Der Strombetrieb ist zwar grundsätzlich CO2-neutral, aber 20 Prozent unseres Strommixes kommen immer noch aus fossilen Energieträgern.
Mit welchen Maßnahmen konnten Sie die CO2- Emissionen im Fuhrpark reduzieren?
Wir arbeiten schon länger mit Schneehöhenmessung. Das ermöglicht uns, die Pisten gezielt und nur an den Stellen mit zu geringer Schneehöhe zu beschneien und zu präparieren. Dadurch reduzieren sich die Betriebsstunden der Pistenraupen um fünf Prozent und wir sparen 40.000 Liter Diesel und 122 Tonnen CO2. Die zusätzliche Funktion der Fahrspurmessung lässt das Gerät erkennen, wo schon eine Pistenraupe gefahren ist und bringt so eine weitere Optimierung.
Welches Problem war am schwersten zu lösen?
Die Schneehöhenmessung ist ja nur die technische Komponente. Um damit auch tatsächlich Einsparungen zu erzielen, bedarf es der Mitarbeiterschulung. Die Mitarbeiter müssen die Strategie mittragen, damit wir das Potenzial der Technologie voll ausschöpfen können.
Welche Probleme konnten Sie nicht oder noch nicht lösen?
Beim Ersatz fossiler Energieträger stoßen wir an technische Grenzen, weil bei elektrisch beziehungsweise per Hybridtechnik angetriebenen Pistenraupen die Reichweite noch nicht gegeben ist. Wir könnten sie derzeit nur für bestimmte Szenarien, wie beispielsweise das Präparieren unseres Funparks, verwenden. Für solche Anwendungen werden wir Hybridfahrzeuge daher in absehbarer Zeit testen.
Um die Mobilität unserer Gäste im Ort zu unterstützen, zahlen wir in den Verkehrsverbund ein. Bei den nächsten Verhandlungen zur Busflotte werden wir den Umstieg auf elektrisch- oder hybridbetriebene Fahrzeuge diskutieren. Das wäre wieder ein spannendes Thema in dem wir eine Vorreiterrolle einnehmen könnten.
In der Gastronomie müssen wir uns fragen, ob es wirklich immer notwendig ist, Wein oder Steaks aus Chile oder Argentinien zu importieren, wenn es beispielsweise in Österreich ein entsprechendes großes und qualitativ vergleichbares Angebot gibt.
Danke für das Gespräch.
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