Rund um die Welt forschen Wissenschaftler aktuell nach Impfstoffen und Medikamenten, um das Coronavirus zu bekämpfen, das in rasender Geschwindigkeit immer mehr Menschen infiziert. Forscher der Technischen Universität München (TUM) haben nun ein neuartiges Verfahren entwickelt, das einem Mittel gegen das SARS-CoV-2-Virus näherkommen könnte.
Die Forscher haben ein Proteinreagenz entwickelt, das biologische Zellstrukturen erkennen und die Ausbreitung einer Erkrankung im Körper blockieren kann, wenn es an die Zuckerstrukturen einer Zelle oder eines Erregers andockt. Hintergrund: Die Viren, die bei einer Infektion in den Organismus gelangen und sich in den Körperzellen vermehren, setzen sich oft gezielt auf die Zuckerstrukturen der Zellen ihres Wirts. Oder sie haben selbst auf ihrer Oberfläche charakteristische Zuckerstrukturen.
„Die Erkennung von speziellen Zuckermolekülen, so genannten Kohlenhydraten, ist bei vielen biologischen Prozessen von entscheidender Bedeutung“, erklärt Arne Skerra, Professor für Biologische Chemie. Aktuelle Forschungsergebnisse seines Labors würden nun die Entwicklung neuartiger Bindeproteine für biologische Zuckerstrukturen ermöglichen, die sowohl bei Krebs- als auch bei Infektionserkrankungen eine große Rolle spielen.
Ein Körper muss erkennen, welche Zellen wohin gehören und, ob sie überhaupt in den Körper gehören oder nicht. Deshalb haben diese Zellen an der Außenseite der Zellmembran oder an Membranproteine häufig einen Marker aus Zuckerketten. Krankheitserreger haben eine ganz eigene Zuckerstruktur oder können sich an einer festsetzen. Dagegen haben Proteine im Allgemeinen nur eine geringe Affinität gegenüber Zuckern, weshalb ihre Erkennung schwierig ist.
Der Grund dafür ist, dass Wasser und Zuckermoleküle sich sehr ähnlich sehen und so in der wässrigen Umgebung der Zellen quasi getarnt sind. Prof. Skerra und sein Team haben deshalb ein künstliches Bindeprotein mit einer chemischen Gruppierung gesucht, die die biologischen Zuckerstrukturen leichter erkennen lässt.
Neue Klasse von Bindeproteinen für Zuckermoleküle
In der Natur vorkommende Proteine bestehen aus einer Auswahl aus insgesamt Aminosäuren. Die Forscher hätten aber „mit den Mitteln der Synthetischen Biologie“ zusätzlich eine künstliche Aminosäure genutzt, berichtet Forscherin Carina A. Sommer. „Uns ist es gelungen, eine Borsäuregruppe, die von sich aus Affinität zu Zuckermolekülen hat, gezielt in die Aminosäurekette eines Proteins einzubauen. Damit haben wir eine grundlegende neue Klasse von Bindeproteinen für Zuckermoleküle kreiert.
Diese künstliche Zuckerbindefunktion sei natürlichen Bindeproteinen (so genannten Lektinen) sowohl in ihrer Stärke als auch den Möglichkeiten zur spezifischen Ausgestaltung überlegen. „Die Zucker-Bindungsaktivität von Borsäure und ihren Derivaten ist seit fast einem Jahrhundert bekannt“, sagt Prof. Skerra. Borsäure sei in der unbelebten Natur verbreitet und kaum toxisch, aber sie werde von Organismen bislang praktisch nicht genutzt. „Mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse haben wir es geschafft, die Kristallstruktur eines Modell-Komplexes dieses künstlichen Proteins aufzuklären und konnten damit unser biomolekulares Konzept bestätigen“, erklärt ihr Kollege Dr. Andreas Eichinger.
Weitere Forschung für medizinische Anwendungen
Nach etwa fünf Jahren Grundlagenforschung könne die Entwicklung nun für konkrete medizinische Anwendungen genutzt werden, betont Prof. Skerra. „Unsere Erkenntnisse sollten nicht nur die zukünftige Entwicklung von neuartigen Kohlenhydratliganden in der Biologischen Chemie unterstützen, sondern sie ebnen den Weg zu hochaffinen Wirkstoffen zur Ansteuerung oder Blockierung medizinisch relevanter Zuckerstrukturen auf Zelloberflächen.
So könnte das „Blockierungsmittel“ zum Beispiel in der Onkologie oder auch Virologie zum Einsatz kommen, bei denen starkes Zellwachstum oder das Andocken von Krankheitserregern an Zellen eine Rolle spielt. Durch ein Blockieren der Zuckerbindungsfunktion könnte die Erkrankung gebremst werden und das Immunsystem mehr Zeit bekommen sich gegen die Krankheit zu wehren.