Die Forschung läuft. Aber eine erfolgreiche Therapie für an COVID-19 Erkrankte steht noch aus. Durch den Mangel an therapeutischen Möglichkeiten ist das Gesundheitswesen derzeit enorm gefordert. Es gilt vor allem ältere und gesundheitlich vorbelastete Menschen zu schützen, die stärker betroffen sind, erklärt Professor Harald Kessler von der Medizinischen Universität Graz.
Vielversprechend scheinen Medikamente, die bereits gegen die Vorläuferviren SARS-CoV und MERS-CoV wirksam waren. Erste Erfolge zeigte ein Protease Inhibitor aus der Anti-HIV-Therapie des Medikamentenherstellers AbbVie, weiß der Labormediziner Kessler. Die Wirksamkeit dieses Medikaments gegen das aktuelle Coronavirus (SARS-CoV-2) werde derzeit in Studien geprüft.
Seit Mitte Februar läuft die in der chinesischen Stadt Wuhan ausgebrochene Lungenkrankheit unter der weltweit akzeptierten Bezeichnung COVID-19. Das Virus läuft unter der Bezeichnung Coronavirus (SARS-CoV-2), weil es dem Vorläufervirus SARS-CoV ähnlich ist.
Auch US-Medikamentenhersteller Gilead engagiert sich in der Entwicklung von Medikamenten gegen SARS-CoV-2. Im Tiermodell wurde die antivirale Breitbandaktivität seines Medikaments Remdesivir bereits nachgewiesen. Jetzt geht der Konzern zu Phase drei der Forschung über und startet zwei klinische Studien in asiatischen Ländern sowie in Ländern mit hohen Fallzahlen. Im Fokus der aktuellen Studie steht die geeignete Dosierdauer des Medikaments.
Professor Kessler zur aktuellen Situation:
Man sagt, das Coronavirus (SARS-CoV-2) dürfe nicht davonlaufen. Entscheidender Faktor sei das schnelle Erkennen einer Infektion ab Symptombeginn?
Die Infektion ist ab Symptombeginn mit dem Nachweis der viralen RNA aus einem Rachenabstrich schnell erkennbar. Die Testung erfolgt mittels Real-time Polymerase-Kettenreaktion (qPCR). Das Ergebnis der Untersuchung ist innerhalb von etwa vier Stunden verfügbar.
Die Epidemie ist die erste in der jüngeren Geschichte, die Quarantänemaßnahmen nach sich zieht. Was bewirkt das Isolieren positiv getesteter Personen?
Die Isolierung von Infizierten soll die weitere Ausbreitung der Infektion verhindern. Durch die Einschränkung der Ausbreitung gewinnen wir Zeit, die zur Entwicklung spezifischer Medikamente beziehungsweise eines Impfstoffs genutzt werden kann.
In Ermangelung spezifischer Medikamente – wie werden die Patienten derzeit behandelt?
Bei Patienten mit leichten Symptomen ist nur eine symptomatische oder gar keine Behandlung erforderlich. Bei älteren Patienten und solchen, die gesundheitlich vorbelastet sind beziehungsweise an Erkrankungen des Immunsystems leiden, wäre eine spezifische Therapie angebracht. Hier gibt es mehrere Ansatzpunkte. Unter anderem wird ein Protease Inhibitor in laufenden chinesischen Studien eingesetzt, der bereits Wirksamkeit gegen SARS-CoV und MERS-CoV gezeigt hat. Auch gegen das neue SARS-CoV-2 scheinen sich erste Erfolge abzuzeichnen. Auch andere Medikamente, wie zum Beispiel Remdesivir könnten gut geeignet sein.
Aber ganz wichtig: In den Fällen, die ich überblicke, trat nur eine leichte Symptomatik auf.
Wie wirkt der Protease Inhibitor?
Er unterbricht in die Replikation des Virus. Der Protease Inhibitor besetzt die spezifische Bindungsstelle am Enzym Protease und verhindert, dass diese ihre Wirkung entfalten kann. Es können dadurch nicht mehr die richtigen Virusbausteine produziert werden.
Um die Ausbreitung zu hemmen, werden derzeit Personenkontakte nachverfolgt: Wie werden diese Daten genutzt? Was sagen sie?
Personen, bei denen das SARS-CoV-2 nachgewiesen wurde, werden entweder in einem Krankenhaus isoliert und behandelt oder unter Heimquarantäne gestellt. Personen, mit den der/die Betroffene Kontakt gehabt hat, werden ausgeforscht, informiert und können gegebenenfalls ebenfalls unter Quarantäne gestellt werden. So soll gesichert werden, dass keine weiteren Ansteckungen erfolgen und die Infektionskette unterbrochen wird. Solange die Kontaktperson keine Symptome aufweist, wird nicht getestet. Erst bei Symptomen erfolgt die Testung auf SARS-CoV-2 aus einem Rachenabstrich.
Ob das Coronavirus (SARS-CoV-2) kontrollierbar bleibt, hängt auch mit der Geschwindigkeit seiner Ausbreitung zusammen. Welche Faktoren beeinflussen die Geschwindigkeit – und inwieweit sind diese zu kontrollieren?
Die Geschwindigkeit der Ausbreitung hängt einerseits von der Basisreproduktionszahl (R0) ab. Das ist jene Zahl von Menschen, die eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt. Je höher der Wert, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich viele Menschen anstecken und es zu einer schnelleren Ausbreitung kommt. Im Fall des SARS-CoV-2 steckt eine infizierte Person bis zu drei Personen an. Zum Vergleich: Bei Masern liegt der Wert bei 12 bis 18.
Andererseits hängt die Geschwindigkeit auch von der Inkubationszeit ab, die beim SARS-CoV-2 zwei bis vierzehn Tage (im Durchschnitt fünf bis sechs Tage) dauert. Es kann also vom Eintritt der Infektion bis zu 14 Tage dauern, dass sich eine Symptomatik entwickelt. Das Virus vermehrt sich vorwiegend in respiratorischen Epithelzellen des unteren Atemtrakts und führt zu dementsprechender Symptomatik wie trockenem Husten und Halsschmerzen. Die Inkubationszeit hängt von der infektiven Dosis, also wieviel Viren jemand abbekommen hat, ab.
Was hat die Medizin seit Ausbruch des Coronavirus (SARS-CoV-2) gelernt?
Die Todesfallrate bei Ansteckungen mit dem neuartigen Virus wird derzeit auf bei bis zu drei Prozent geschätzt. Sie liegt damit weit unter den zehn Prozent der SARS-Epidemie der Jahre 2002 und 2003. Bei Grippe liegt die Sterblichkeit unter einem Prozent. Es ist jedoch zu beachten, dass die Todesfallrate im Laufe der Pandemie sinkt und voraussichtlich jener der Grippe entsprechen wird. Grund dafür ist, dass Fälle mit nur (sehr) leichter beziehungsweise gar keiner Symptomatik meist erst retrospektiv erfasst werden. Besonders wichtig ist zu beachten, dass die Todesfallrate bei Infektionen mit dem SARS-CoV-2 stark altersabhängig ist. Während sie bis zu einem Alter von 50 Jahren weit unter einem Prozent bleibt, steigt sie danach immer steiler an und liegt bei über 80-Jährigen bei knapp 15 Prozent.
Was muss die Medizin noch über das Coronavirus (SARS-CoV-2) lernen?
Wenn wir Impfstoffe und eine kausale Therapie schaffen wollen, dann gibt es noch viel zu lernen. Die bestehenden Forschungsprojekte sind noch nicht weit in die Anwendung vorgedrungen. Für die Entwicklung eines Impfstoffs ist zum Beispiel die Analyse der Andockstelle, anhand dessen das Coronavirus an die Epithelzellen andockt, von größter Bedeutung. Diese wurde kürzlich von US-Forschern beschrieben, aber es sind noch viele weitere Studien notwendig. Es gibt auch immer die Möglichkeit, dass Viren sich genetisch verändern. Mutationen, die Eigenschaften des Virus verändern, müssen genau beobachtet werden.
Inwieweit kann Technologie den Lernprozess über das Coronavirus (SARS-CoV-2) unterstützen?
Zum Nachweis des SARS-CoV-2 wird die Real-time Polymerase-Kettenreaktion (Anmerkung: ein molekulares Verfahren zur Vervielfältigung und Detektion von DNA) eingesetzt. Sie ist hochsensitiv und erlaubt eine hochspezifische qualitative Aussage. Momentan geht es primär um die Diagnostik der akut Erkrankten. In ein paar Monaten wird auch der Nachweis von spezifischen Antikörpern vom Typ Immunglobulin-G (IgG) mittels der bewährten ELISA-Technologie ins Interesse rücken. Damit kann dann erfasst werden, wie hoch die tatsächliche Durchseuchungsrate isst.
In Berlin hat man ein eigenes Krankenhaus für am Coronavirus (SARS-CoV-2) Erkrankte gebaut?
In Österreich gibt es ähnliche Bestrebungen. Für den Eventualfall werden zusätzliche Ressourcen geschaffen. So wird zum Beispiel in der Steiermark in einem ehemaligen Landeskrankenhaus eine gesamte Station mit rund 30 Betten bereitgestellt.
Danke für das Gespräch.
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