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Für Mediziner ist es noch immer ein Rätsel, wieso COVID-19-Patienten oft unter schwerem bis lebensbedrohlichem Sauerstoffmangel leiden – mit arteriellen Sauerstoffwerten sogar unter 50 mmHg – diesen Mangel aber nicht bemerken. Sie haben weder Atemnot, noch zeigen sie eine signifikant beschleunigte Atmung. Als Folge wird auch eine Lungenentzündung oft zu spät erkannt, was dann zu einer schnellen Verschlechterung ihres Zustands bis hin zum Tod führen kann. Forscher der Universidad de Sevilla haben nun einen möglichen Auslöser für dieses Phänomen gefunden.

Alarm bei Infektion defekt

Bisher gingen Mediziner immer davon aus, dass eine Infektion der Lungen und des Atemzentrums durch das SARS-CoV-2-Virus den schweren COVID-19-Verlauf auslöst. Bei neuesten Gewebeuntersuchungen im Rahmen von Autopsien zeigte sich nun auch ein weiterer Grund: Das Virus infiziert offenbar die Sensoren, die den Sauerstoffgehalt im Blut messen und bei einem Mangel Alarm schlagen. Der Mensch atmet schneller, um den Sauerstoffmangel auszugleichen.

Diese Sensoren befinden sich unter anderem in der Halsschlagader und sind bei einigen Menschen mit zahlreichen ACE2-Rezeptoren bestückt. Mit genau jenen Rezeptoren, an die SARS-CoV-2 andockt und so in die Zellen eindringt. Sind diese Sensoren nun außer Gefecht gesetzt, bleibt der Alarm aus und der Mensch bemerkt den Mangel nicht. Wenn diese „stille Hypoxämie” aber zu einem plötzlichen, kritischen Ungleichgewicht führt, kann die Folge tödlich sein.

„Daher könnte die Hemmung der Ansprechbarkeit des Karotiskörpers auf Hypoxie eine plausible Erklärung für den beeinträchtigten Atemantrieb und die reduzierte Dyspnoe sein, die die bei COVID-19-Patienten beobachtete ‚stille Hypoxämie‘ charakterisiert“, schreiben Javier Villadiego und seine Kollegen von der Universität von Sevilla in ihrer Arbeit, die im Fachmagazin Function veröffentlicht wurde.

Damit das Alarmsystem funktioniert, müssen verschiedene Systeme im Körper zusammenarbeiten. Unter anderem das Renin-Angiotensin-System und seine Hauptkomponenten, zu dem auch das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2) gehört.

Untersuchungen bei Autopsien

Bei Autopsien untersuchten die Wissenschaftler anhand spezieller Färbungen von Gewebeproben, inwieweit ACE2-Rezeptoren auf den Zellen des Glomus caroticum vorhanden waren. „Wie erwartet, erschien die ACE2-Färbung in Blutgefäßen“, erklären die Mediziner. „Eine starke ACE2-Färbung war jedoch auch deutlich in den Glomeruli der Karotidensensoren zu sehen […] was darauf hindeutet, dass es von Glomuszellen produziert wurde.“ Darüber hinaus untersuchten sie auch Proben von 18 gesunden Personen, bei denen sie außerdem mRNA des ACE2-Rezeptors in den Sensorzellen nachweisen konnten. Das deute ebenfalls auf eine Produktion des Enzyms hin.

Aufgrund ihrer Erkenntnisse gehen Villadiego und seine Kollegen davon aus, dass das Virus bereits in einem frühen Stadium der Infektion die Mitochondrien-Funktion dieser Zellen so sehr beeinträchtigt, dass sie nicht mehr ordnungsgemäß arbeiten. „Die Expression von ACE2 in den Glomeruli deutet darauf hin, dass O2-sensitive Glomuszellen potenzielle Ziele für eine SARS-CoV-2-Infektion sein könnten.“

Wieso treten diese Probleme aber bei den einen Betroffenen auf und bei anderen nicht? Auch dafür fanden die Forscher eine mögliche Erklärung. „Unsere Daten zeigen eine hohe individuelle Variabilität der ACE2-Expression im menschlichen CB-Gewebe. Das könnte erklären, warum die ‚stille Hypoxämie‘ bei COVID-19-Patienten zufällig aufzutreten scheint.“

Weitere Untersuchungen nötig

Bis die aufgestellten Hypothesen als Fakten bewiesen sind, müssten noch weitere Untersuchungen durchgeführt werden. Sowohl bei COVID-19-Patienten als auch im Labor an Mausmodellen, betonen die Wissenschaftler. „Sollte sich unsere Hypothese bestätigen, würde dies den Einsatz von CB-Aktivatoren als Atmungsstimulanzien bei COVID-19-Patienten rechtfertigen“, schreiben sie abschließend. „Diese Medikamente wirken stromabwärts des mitochondrialen O2-Sensors, da sie K+-Kanäle in Glomuszellen direkt blockieren.”