Die Sieben-Millionen-Stadt Santiago de Chile leidet im Winter unter massiver Luftverschmutzung. Der Architekt Jan Serode absolvierte dort sein Masterstudium, als er die Theorie für eine luftreinigende Textilfassade entwickelte. Im Doktorat am Lehrstuhl für Textiltechnik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, kommt das Projekt jetzt zur Marktreife. Der Prototyp ist schon seit Februar im Testbetrieb – an einem Bürogebäude der ECE Europa Bau- und Projektmanagement GmbH in Hamburg. Das Projekt steht kurz vor dem Abschluss.
Serodes Textilfassade filtert Stickoxide, die größten Schadstoff aus der Luft. Sie entstehen in der Atmosphäre durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe – wie Kohle oder Öl. Als Hauptverursacher gilt der Straßenverkehr. In Europa wurden 2000 mehr als die Hälfte der Stickoxid-Emissionen durch den Verkehr verursacht. Im Interview mit Innnovation Origins erklärt der Doktorand das Prinzip:
Worin liegen die Vorteile von Textilfassaden allgemein?
Bis dato werden textile Fassaden zum Sonnenschutz und aus ästhetischen Gründen eingesetzt. An der RWTH Aachen interessieren wir uns für textile Fassadensysteme, die der eigentlichen Gebäudehülle vorgesetzt sind. Dadurch bildet sich ein Luftpolster zwischen dem Gebäude und dem Textil und es entsteht ein kühlender Effekt, der den Kühlenergiebedarf im Sommer senkt. In einer Studie wurde bei einem Bürogebäude in Berlin ein Einsparungspotenzial von 78 Prozent nachgewiesen.
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Gleichzeitig ermöglichen Textilfassaden Leichtbauweise. Die Montage erfolgt auf einer metallischen Unterkonstruktion, in Spannrahmentechnik und die Textilfassade kann in kurzer Zeit und mit geringem Aufwand montiert, gewartet und demontiert werden. Die Anwendungsbreite ist sehr hoch. Textilfassaden können für alle Gebäudearten eingesetzt werden – selbst für Arenen und Parkhäuser. Es gibt fast keine Einschränkungen. Außerdem können sie sowohl bei bestehenden Gebäuden als auch bei Neubauten eingesetzt werden.
Seit wann beschäftigen Sie sich mit textilen Fassaden und wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Luftfilter für Stickoxide zu integrieren?
Ich beschäftige mich schon seit dem Bachelor-Studium in Berlin mit dem Gedanken, Energieeinsparung im Fassadenbereich mit dem Design zu verbinden. In meiner Masterarbeit, die ich in einem Doppelstudienprogramm in Berlin und Santiago de Chile absolvierte, habe ich bereits einen theoretischen Plan für ein luftreinigendes Gebäude entwickelt. Die Stadt leidet in den Wintermonaten an einer massiven Luftverschmutzung. Nach dem Studium habe ich in einem Architekturbüro in Stuttgart an einem Wettbewerb mitgearbeitet, in dem es um ein Gebäude mit Textilfassade ging. In dem Wettbewerb haben wir nur den zweiten Platz gemacht, weil man uns nicht glaubte, dass man durch die textile Fassade sehr gut nach außen schauen kann.
Die Forschung an der luftreinigenden Textilfassade habe ich erst wieder im Doktorat an der RWTH begonnen. Dabei machten wir auch eine Studie mit Augenärzten.
Wie können wir uns diese Textilfassade vorstellen und was macht sie zum Luftfilter?
Die textile Fassade besteht aus PVC-beschichtetem Polyester, hat eine feine Gitterstruktur und ist licht- und sichtdurchlässig. Der luftreinigende Effekt basiert auf einer Beschichtung mit fotokatalytischer Wirkung. Das bewirkt, dass die Stickoxide aus der Stadtluft unter UV-Licht an die Fassadenoberfläche gebunden werden. Dort werden die Schadstoffe durch Oxidationsprozesse in geringe Mengen von unschädlichen Salzen umgewandelt. Bei Regen werden die Salzrückstände von der Fassadenoberfläche gespült und in den natürlichen Kreislauf der Natur zurückgeführt. Das Regenwasser könnte auch als Düngemittel für Pflanzen verwendet werden. Wir haben Proben genommen um die Umweltverträglichkeit wissenschaftlich nachzuweisen.
Was haben die Untersuchungen des Regenwassers gezeigt?
Die Untersuchungen zeigten, dass bei der Umwandlung der Stickoxide auch Nitrat entsteht, das in hoher Konzentration auf Menschen und Säugetiere toxisch wirkt. Für Pflanzen ist es hingegen ein wichtiger Nährstoff und deshalb als Düngemittel geeignet. Die Nitratkonzentrationen im Regenwasser sind absolut gering. Theoretisch könnte man es sogar trinken. Wir haben mit den Studierenden der Architektur verschiedene Varianten entwickelt, um zu sehen, wie so ein Fassadensystem zum Beispiel mit einer begrünten Fassade gekoppelt werden könnte. Dabei fangen wir das Regenwasser auf und nutzen es für die Bewässerung von Pflanzen, die wir in die Gebäudehülle integrieren. Diese Variante setzt zudem weitere Synergieeffekte frei. Sie kann im Sommer die Umgebungstemperaturen in Städten reduzieren und wirkt so dem gesundheitsschädlichen Effekt von urbanen Hitzeinseln entgegen.
Was ergab die Studie mit den Augenärzten?
Derzeit werden bei Textilfassaden Mikrokreuzgittergewebe eingesetzt. Wir haben Probandenstudien durchgeführt, bei denen wir ganz unterschiedliche Strukturen getestet haben – mit unterschiedlichen Geometrien und Öffnungsgraden. Die unterschiedlichen geometrischen Formen haben wir unregelmäßig angeordnet, teilweise schon chaotisch. Aber es zeigte sich, dass Oberflächen mit einem gleichbleibend hohen Öffnungsgrad, einer regelmäßigen Struktur und nah beieinander liegenden Strukturelementen besser durchsehbar sind. Bei Farben kann man dunkle Farben besser durchsehen, als hellere Farben und schwarz besser als weiß.
Wie überprüfen Sie, ob die Textilfassade die Stickoxide tatsächlich aus der Luft filtert und mit welcher Leistung rechnen Sie?
Wir haben an mehreren Positionen der Fassade verschiedene digitale Sensoren angebracht, die ein Live-Monitoring ermöglichen. Dabei messen wir zwei Dinge: Die Auswirkungen auf den städtischen Raum und die Auswirkungen auf das Gebäudeinnere. Drei Positionen sind fix. Einen mobilen Sensor setzen wir zusätzlich zu Experimentierzwecken ein. Die Sensoren nehmen jede Sekunde einen gewissen Anteil an Luftvolumina auf. In diesen Volumina überprüfen und bestimmen wir über ein elektrisch optisches System die Schadstoffkonzentration. Wir können bereits einen deutlichen Effekt erkennen und veröffentlichen die Ergebnisse nach Projektabschluss.
Die Fassade ist aus recyceltem Kunststoff. Was war die Herausforderung?
Wir haben sowohl beim Gewebe als auch bei der Beschichtung mit recycelten Materialien gearbeitet und bekommen darüber eine sehr gute biologische Bilanz. Wobei wir uns für recycelte Kunststoffe aus PET-Flaschen entschieden haben, weil wir da die Materialzusammensetzung ganz genau kennen. Ursprünglich wollten wir Plastikmüll aus dem Ozean verwenden. Aber wir hatten das Problem, dass die Sortenreinheit sehr unterschiedlich war. Der Prozess an sehr gutes Ozeanplastik zu kommen, ist sehr aufwändig.
Wie soll die luftreinigende Textilfassade auf den Markt gebracht werden?
Das Modell am Hamburger ECE, entspricht dem deutschen Baurecht und ist schon anwendbar. Um die Technologie rasch verfügbar zu machen, müssen wir schnell Stückzahlen produzieren. Diese Herausforderung versuchen wir in einem Großkonsortium an der RWTH zu bewältigen, an dem mehrere Institute und Industriepartner beteiligt sind. Dabei sind wir auch immer offen für neue Partner. Jeder der motiviert ist, in dem Bereich zu arbeiten, ist bei uns willkommen.
Sie forschen noch an weiteren Technologien für die textile Fassade. Welche Funktionen haben diese und wie ist die Anwendung vorzustellen?
Das Konsortium ist gerade im Aufbau. Mittlerweile sind über acht Institute der RWTH und ein Institut des Forschungszentrum Jülich an der Konzeption beteiligt und übernehmen unterschiedliche Aufgaben. Die technologischen Varianten, die wir gerade untersuchen, sind die Integration von Luftreinigung, Leuchtelementen und Photovoltaik – zur Energieversorgung des Gebäudes. In allen drei Varianten sind wir auf dem Stand eines funktionierenden Prototypen. Parallel dazu haben wir ein Innovationslabor, in dem wir mit den Studierenden permanent über weitere Möglichkeiten nachdenken und auch schon etliche erweiterte Varianten getestet haben.
Welche Funktion hat die beleuchtete Textilfassade?
Wir setzen unterschiedliche Varianten ein. In einer Variante integrieren wir von vornherein ein konkretes Bild, das in der Dunkelheit zum Leuchten gebracht wird. Das könnte ein Schriftzug oder auch ein Firmenlogo sein. In einer anderen Variante ist LED integriert und die Textilfassade wird zu einer Mediafassade, auf die man individuelle Inhalte spielen kann. Auch Werbung ist möglich. Die behutsame Integration von Werbung könnte diese neuartigen Fassaden finanzierbar machen. Aber man sollte sich von vornherein kritisch damit auseinandersetzen, was das für das Stadtbild bedeutet. An Flughäfen oder Stadien sollte dies aber anwendbar sein.
Danke für das Gespräch.
Die Projektpartner der Industrie:
ECE Europa Bau- und Projektmanagement GmbH in Hamburg
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