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Immer mehr HR-Verantwortliche, Geschäftsführer und Manager beschäftigen sich mit dem Thema
„Fehlerkultur“ und „Scheitern“ in ihren Unternehmen. Einerseits ist die sogenannte VUCA-Welt für
viele Unternehmen, nicht erst seit Corona, zu einer handfesten Realität geworden. Absatz-,
Beschaffungs- und Arbeitsmärkte sind immer stärker durch eine hohe Volatilität, Unsicherheit,
Komplexität und Ambiguität gekennzeichnet. Die Veränderungszyklen in den Märkten sind in den
letzten Jahrzehnten immer kürzer geworden. Damit reduziert sich die Planbarkeit und erhöht sich die
Fehleranfälligkeit. Andererseits haben junge Nachwuchskräfte und Absolvent:innen sehr klare
Erwartungen an die Kultur und den Purpose eines Unternehmens. Und dazu zählt auch der Umgang
mit Fehlern und mit gescheiterten Projekten.


Fehler oder Scheitern sind Erfahrungen, mit denen wir uns nur ungerne auseinandersetzen. In vielen
Schulen lernen wir immer noch, dass wir möglichst alles richtig und möglichst keine Fehler machen
sollen. Perfektion in der Wiedergabe der Erlernten bzw. dessen Anwendung ist der Anspruch. Fehler
sind vermeintlich etwas Schlechtes und führen zu Abwertung und Nachteilen. Dies setzt sich später
im Beruf fort. Wir streben nach Perfektion, nach reibungslosen Abläufen und planbaren Ergebnissen.
Wer das nicht leisten kann, stört das System.

Innovation im Widerspruch zu Fehlerfreiheit


Dies steht allerdings im Widerspruch zu den Anforderungen der Realität. Sich schnell verändernde
Rahmenbedingungen führen dazu, dass wir uns immer schneller an diese Veränderungen anpassen
und kreative und innovative Lösungen finden müssen. Kreativität und Innovation stehen allerdings im
Widerspruch zu Fehlerfreiheit und Perfektion. Fehlerfreiheit setzt voraus, dass wir klare Maßstäbe
haben, anhand derer wir die Einhaltung einer Norm oder eines Sollzustands messen können. Diese
beziehen sich jedoch auf die Vergangenheit und wir können nicht sichersein, dass Normen und
Erwartungen, die in der Vergangenheit richtig waren, auch in der Zukunft noch richtig sind.

Der Begriff „Fehlerkultur“ impliziert, dass wir den Umgang mit Fehlern kultivieren können. Oft wird
den Unterstützern einer solchen Kultur vorgeworfen, dass es darum ginge, Fehler zu verharmlosen
und über die betriebswirtschaftlichen Konsequenzen von Fehlern und Scheitern hinwegsehen zu
sollen. Fehler sind mit Kosten in Form von Geld, Zeit und anderen Ressourcen verbunden ist und
damit Verschwendung darstellt und per se negativ sein muss. Und welchen Sinn sollte es machen,
Verschwendung zu „kultivieren“. Die Befürworter argumentieren, dass Fehler letztendlich
Lernerfahrungen sind und damit ehr als Investitionen denn als Verschwendung betrachtet werden
sollten.

Verschwendung oder Investition?


Die Vermeidung der Auseinandersetzung mit Begriffen wie Fehler oder Scheitern führt dazu, dass es
zu diesen Begriffen sehr unterschiedliche Annahmen und Abgrenzungen gibt. Ist ein Fehler nun
Verschwendung oder eine Investition? Und woran könnten wir den Unterschied erkennen? Was
unterscheidet negative von positiven Fehlern, tadelnswerte von lobenswerten Fehlern?
Die Harvard Professorin Amy Edmondson schlägt zur Bewertung von Fehlern zwei einfache Kriterien
vor
: Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit. Vorhersehbare Fehler sind solche, bei denen bekannt ist,
dass ein bestimmtes Verhalten oder bestimmte Handlungen zu einem Fehler X führen. Vermeidbare
Fehler sind solche, bei den die Beteiligten einen Einfluss darauf haben, ob der Fehler eintritt oder
nicht. Tadelnswerte oder „negative“ Fehler sind solche, die vorhersehbar und vermeidbar sind. Dies
sind z.B. die bewusste Abweichung von Prozessbeschreibungen, Unaufmerksamkeiten und fehlende
Kompetenzen, die zu Fehlern führen. Sind Fehler nicht vorhersehbar oder vermeidbar, so spricht
Edmondson von lobenswerte oder „positive“ Fehlern, die zum Beispiel bei Experimenten oder
unsicheren Rahmenbedingungen passieren.

Wenn wir über „Fehlerkultur“ sprechen, dann sollten wir uns darüber klar sein, was wir unter einem
Fehler verstehen. Fehler ist nicht gleich Fehler. Eine Kultur, die vermeidbare und vorhersehbare
Fehler zulässt und toleriert und damit Beliebigkeit und Verschwendung von Ressourcen zulässt, wird
nicht lange bestehen. Andererseits wird eine Kultur, die unvermeidbare und unvorhersehbare Fehler
nicht toleriert und sanktioniert jegliche Kreativität und Innovationsbereitschaft unterdrücken.
Es ist der differenzierte Umgang mit Fehlern und ihren Ursachen, die eine „Fehlerkultur“ zu einem
Erfolgsfaktor macht. Erfolgreichen Unternehmen gelingt es, diese Differenzierung zu kultivieren und
Fehler dort zuzulassen und sogar zu provozieren, wo Exploration und Kreativität erforderlich sind und
dort zu sanktionieren, wo klare Prozesse und Vorgaben Fehler vorhersehbar und vermeidbar
machen.