Rettungen und Bergungen auf hoher See sind für die Retter besonders herausfordernd, da es meist eine gewisse Zeit dauert, bis die Einsatzkräfte vor Ort sind. In dieser Zeitspanne können die Verunglückten, bedingt durch Gezeiten, wechselhafte Wetterbedingungen oder auch instabile Küstenströmungen schon kilometerweit von der Unglücksstelle abgerieben worden sein können. Den Seenotrettern bleiben aber im Allgemeinen nur etwa sechs Stunden Zeit, um Menschen zu bergen, die auf dem Wasser treiben. Danach sinkt die Wahrscheinlichkeit, jemand lebend zu finden, signifikant. Somit ertrinken jedes Jahr hunderte Menschen bei Schiffsunfällen oder Flugzeugabstürzen auf dem offenen Meer.
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von George Haller, Professor für nichtlineare Dynamik an der ETH Zürich, und des MIT hat jetzt eine Berechnungsmethode entwickelt, um die Suche auf dem Meer zu erleichtern. Dieser neue Algorithmus, den das Team mit Hilfe von Werkzeugen aus den dynamischen Systemtheorien sowie Daten der Küstenwache entwickelt hat, kann voraussagen, wohin Menschen oder Objekte an der Meeresoberfläche getrieben werden.
„Wir hoffen, dass unsere Arbeit hilft, mehr Menschenleben zu retten“, sagt Mattia Serra, ehemaliger Postdoktorand an der ETH Zürich und nun Postdoc-Stipendiat in Harvard sowie Erstautor der kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Communications publizierten Studie.
Algorithmus zeigt Weg zu den Vermissten
Bisher bekommen die Seenotretter bei ihren Einsätzen ihre Informationen, wohin ein Mensch oder Objekt gerieben sein könnte, anhand von aufwändigen Modellen der Meeresdynamik und des Wetterberichts. Diese Vorhersagen sind jedoch aufgrund der sich schnell verändernden Küstengewässer, unsicherer Parameter und fehlender Daten oft recht ungenau. Die Folge ist, dass häufig zuerst an einem völlig falschen Ort gesucht wird und dadurch viel wertvolle Zeit verloren geht.
Bei ihren mathematischen Berechnungen haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass sich Objekte, die an der Meeresoberfläche treiben, an bestimmten kurvenähnlichen Linien sammeln. Diese sogenannten „TRansient Attracting Profiles“ (TRAPs) – Profile mit vorübergehender Anziehung – sind mit bloßem Auge nicht erkennbar. Sie lassen sich aber mit dem neuen Algorithmus aber aus den Strömungsdaten der Meeresoberfläche errechnen. Diese Daten würden „eine schnelle und präzise Planung der Routen für Rettungseinsätze ermöglichen, die weniger empfindlich auf unsichere Angaben zum Unfallzeitpunkt und –ort reagieren“, sagen die Forscher.
Erste Tests bestanden
Getestet wurde der neue Suchalgorithmus in zwei getrennten Experimenten in der Nähe von Martha’s Vineyard vor der amerikanischen Nordostküste. Beteiligt an den Tests waren die ETH-Forscher, ein Team des Team des Maschinenbaudepartements des MIT, eine Gruppe des Woods Hole Oceanographic Institute und ein Team der amerikanischen Küstenwache. Die Teams verwendeten dieselben Echtzeitdaten wie die amerikanische Küstenwache und beobachteten, wie sich die ausgesetzten Bojen und Testpuppen entlang der berechneten Kurven sammelten. „Wir testeten mehrere Ansätze und dies war der einzige, der vor Ort durchgehend funktionierte“, betont Haller.
„Unsere Ergebnisse sind leicht interpretierbar, schnell verfügbar und günstig umzusetzen“, erklärt Serra. Außerdem könnten mit der Methode auch größere Objekte berechnet werden, die auf der Meeresoberfläche treiben, wie zum Beispiel die Ausbreitung eines Ölteppichs. Als Nächstes wollen die Wissenschaftler die Methode in weiteren Meeresregionen testen. „Wir hoffen, dass diese Methode zu einem Standardwerkzeug der Küstenwache wird“, betont Haller.
Titelbild: An der Wasseroberfläche treibende Menschen sammeln sich an kurvenähnlichen Linien, sogenannten Traps. © George Haller/ETH Zürich