Schuttbedeckter Gletscher (c) Pablo Heimplatz - Unsplash
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Die Alpen sind von der globalen Erwärmung ungleich stark betroffen. Der Temperaturanstieg liegt hundert Prozent über dem globalen Mittel. Eine Folge ist Gletscherschwund, eine noch weniger bekannte Folge ist Steinschlag. Die Felswände werden durch die Erwärmung und das darauf folgende Auftauen des Permafrostes instabil und verursachen schuttbedeckte Gletscher.

Der Glaziologe Kay Helfricht vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, forscht im Projekt Hidden.Ice an den Auswirkungen der Schuttabdeckungen. Er und sein Team wollen wissen, ob vermehrte Schuttbedeckung den Eisschwund verstärkt oder verlangsamt. Außerdem untersuchen sie, die Auswirkungen der schuttbedeckten Gletscher auf den Transport von Geschiebe in Gebirgsbächen, die am Fuße der Gletscher zutage treten.

Ökologische Langzeitforschung

Für eine Reihe von Gletschern österreichweit gibt es Satellitenbilder, welche die Entwicklung der vergangenen dreißig Jahre abbilden. Weitere Daten, die genutzt werden, sind jene von Flugzeugen und unmanned aerial vehicles (UAV). Hauptuntersuchungsgebiet ist der etablierte LTER-Standort Jamtalferner in der Silvretta. Ein Gebiet, in dem die Zunahme der schuttbedeckten Gletscher mit historischen Daten belegt ist. Wertvolle Informationen liefern alte Fotos und Karten.

LTER-Austria ist die Österreichische Gesellschaft für ökologische Langzeitforschung, die an Strukturen und Funktionen von Ökosystemen forscht – sowie an deren langfristigen Reaktionen auf Umwelteinflüsse. Mehrere Forschungseinrichtungen sind beteiligt.

Massive Schuttschicht konserviert

Im Vergleich zum Himalaya gibt es auf österreichischen Gletschern noch relativ wenig Schutt, erklärt der Forscher. Allerdings nehme dieser auf den betroffenen Gletschern tendenziell zu. Meist misst die Schuttschicht auf den Gletschern nur wenige Zentimeter bis mehrere Dezimeter. Stark schuttbedeckte Gletscher wirken auf den Laien wie Geröllhalden.

Die Bedeckung kann unterschiedliche Auswirkungen auf das Eis darunter haben:

  • Eine massive und geschlossene Schuttschicht konserviert das Eis.
  • Bei einer eher uneinheitlichen und dünnen Eisschicht schmilzt das Eis schneller. Grund ist die zusätzliche Wärme, die von dem dunkleren Material abgestrahlt wird.

Gestein in Hochgebirgsbächen

Um den Transport des Gerölls durch Hochgebirgsbäche zu untersuchen, schaut sich Helfricht den Übergang vom schuttbedeckten Eis bis zum eisfreien Gletschervorfeld an. Hier ist mit einem erhöhten Abtransport von lockerem Geröll zu rechnen. Die genauen Vorgänge gilt es in dem Projekt zu klären. Offenbar ist, dass das Gesteinsmaterial an den Flanken der Gletscherzunge abrutscht. Dadurch wurd das bisher bedeckte Eis freigelegt und das Gestein gelangt direkt in den Abfluss.

Über das Schmelzwasser werden die Geröllablagerungen in die Hochgebirgsbäche transportiert, wo sie in Rückhaltebecken und Wasserfassungen gelangen und diese verlegen. Wasserfassungen sind alle baulichen Anlagen zur Gewinnung von Wasser aus Grundwasser, wie zum Beispiel Brunnen.

Schutt-Transport durch Schmelzwasser

Diese Vorgänge fallen in den Forschungsbereich der Abteilung Wasserbau an der Universität Innsbruck, weshalb der Glaziologe eng mit den Experten zusammenarbeitet.

“Unsere Arbeitsthese ist, dass ein großer Teil des lockeren Schutts auf den Gletschern direkt an den Gletscherzungen in den Abfluss gelangt. Dort nimmt das Schmelzwasser das Material mit. Besonders bei Starkniederschlägen und an heißen Sommertagen landet deshalb sehr viel Schutt in den Bächen und wird talwärts transportiert.“ Kay Helfricht

Geologische Messmethoden

Die Wissenschafter unterscheiden in zwei Kategorien von Schutt:

  • das feine Material (Sediment) das im Wasser ständig in Schwebe gehalten wird;
  • das gröbere Material (Geschiebe), das vom fließenden Wasser am Grund mitgenommen wird;

 

Im Projekt wird vor allem der Transport gröberer Teile untersucht. Dieser ist allerdings schwierig zu messen. “Man kann zwar Fangkörbe einbringen, aber es ist oft sehr unsicher, wie repräsentativ solch eine Messung wirklich ist”, erklärt Helfricht. Deshalb werden zusätzlich geologische Messmethoden eingesetzt, in welchen die Höhenunterschiede der an- und abgelagerten Geröllvolumen vermessen werden. Dabei wird die Oberfläche der Gletscherzunge und des Gletschervorfeldes mit bis zu zwanzig Messpunkten pro Quadratmeter mit Luftaufnahmen kartographiert. Bei regelmäßiger Durchführung erlaubt dies eine genaue Berechnung der Geröllvolumen.

Computersimulation des Transports

Die erste Bestandsaufnahme läuft bereits. Die Messungen sollen in den kommenden Sommern wiederholt werden. Diese Daten sollen dann die Computersimulation des Geschiebetransports in den Bächen ermöglichen. Das Projekt läuft bis zum Jahr 2021.

Hidden.Ice wird von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gefördert. Projektpartner sind die Universität Innsbruck, die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, ENVEO Environmental Earth Observation IT GmbH sowie die Universität für Bodenkultur Wien.

Kay Helfricht kam 2014 als Junior Researcher an das Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW und ist inzwischen als Postdoc tätig.

 

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