© AMS-Institute
Author profile picture

Die Niederlande sind als die Nummer- 1-Radfahrernation Europas bekannt und auch Amsterdam gilt als echte Fahrradstadt. Natürlich bewegen sich aber nicht alle Einwohner oder Touristen auf zwei Rädern fort, es gibt auch jede Menge Autos, LKWs und Lieferfahrzeuge, die die Straßen ebenso verstopfen wie in anderen Städten. Da Amsterdam jedoch auch die Stadt der Grachten ist, der verzweigten Kanäle, für die die niederländische Hauptstadt berühmt ist, hat sich die Stadtverwaltung nun etwas einfallen lassen, um den Straßenverkehr künftig zu entzerren. Das Zauberwort heißt hier autonomes Fahren. Die Gesamtfläche der niederländischen Metropole besteht zu 25% aus Wasser und künftig sollen auf den Grachten neben den herkömmlichen Booten auch autonom fahrende Boote, sogenannte „Roboats”, verkehren.

Roboattaxi © AMS-Institute

Roboat sei von Beginn an eine Gemeinschaftsarbeit zwischen dem AMS Institute, dem MIT und der Stadt Amsterdam gewesen, sagt Marten Grupstra von der Stadtverwaltung Amsterdam. „Fakultät und Forscher trafen sich in verschiedenen Foren, in denen die Auswirkungen autonomer Fahrzeuge diskutiert wurden. Die Frage, die aufgeworfen wurde, war, ob Amsterdam aufgrund des Privilegs eines Kanalnetzes in fahrerlose Autos investieren müsse? Warum nicht autonome Boote benutzen? Wir erkannten schnell, dass die technologischen Herausforderungen der autonomen Navigation, insbesondere in städtischen Gebieten, neben dem Nutzen für die Stadt auch Innovationen und Chancen fördern könnten.“

Sicherheit großgeschrieben: Sensoren, GPS, Kameras

Das erste Roboat wurde schon 2016 getestet und legte einen zuvor programmierten Weg autonom zurück. Die nun geplanten Fahrzeuge können aber noch viel mehr: Sie kommunizieren miteinander und können sich, wenn nötig, zu einem längeren Verbund zusammenschließen. So können sie zum Beispiel mehrere Fahrgäste zu einem bestimmten Ziel bringen.

Um Unfällen vorzubeugen und eine sichere Navigation zu ermöglichen, sind die Roboats mit Sensoren, GPS-Modulen, Kameras und Mikrocontrolern ausgestattet. „Wenn das Roboat-Schiff auf ein Objekt im Wasser trifft, kann Roboat feststellen, ob es sich um ein stationäres oder sich bewegendes Objekt handelt und wie weit das Objekt entfernt ist“, erklärt Grupstra. „Dies geschieht mit Hilfe von LIDAR (Laser Image Detection and Ranging), ergänzt durch Kamerabilder und GPS-Sensoren. Das Schiff bestimmt dann das beste Manöver, um das Hindernis zu umgehen. Nach dem Passieren des Hindernisses setzt er seine optimale Route fort.“

Dieser so genannte Bewegungsplaner sei selbstlernend und passe seine Fähigkeiten basierend auf der Erfahrung, wie die Manöver ausgeführt werden, an, um die zukünftige Ausführung ständig zu verbessern. „Darüber hinaus lernen Algorithmen, das Verhalten verschiedener Arten von Objekten und anderen Booten auf dem Wasser zu erkennen. Je mehr Stunden das Schiff durch die Kanäle fährt, desto besser werden die Schätzungen.“

Roboatbridge © AMS-Institute

Die Gefahr durch Hackerangriffe sei bei Roboats genauso groß oder klein wie bei jedem fahrerlosen Auto, betont Grupstra. Deshalb setze ein Teil der Industrie, der an autonomen Fahrzeugen arbeitet, große Anstrengungen in Sachen Cybersicherheit. Im unwahrscheinlichen Fall eines Unfall oder Notfalls könne Hilfe für die Passagiere ebenso schnell vor Ort wie als auf einer Straße. „Die Höchstgeschwindigkeit in den Amsterdamer Kanälen beträgt 6 km/h. Das bietet eine sichere Umgebung im Vergleich zu den Straßen von Amsterdam oder jeder anderen Stadt“, so Grupstra. „Der Vorteil von Roboat ist, dass es in einem dicht besiedelten Stadtgebiet navigieren wird. Im Falle eines – unwahrscheinlichen – Zwischenfalls ist medizinische Hilfe näher als bei jedem ähnlich unwahrscheinlichen Unfall mit fahrerlosen Autos, die auf einer längeren Strecke unterwegs sind.“

Kein Ersatz für Straßenverkehr

Die Einsatzmöglichkeiten der elektrisch angetriebenen Roboats sind vielfältig. Fahrgäste können in einer Zentrale ihre Ziele melden. Daraufhin werden die Bootsrouten so geplant, dass möglichst viele Fahrgäste mit gleichen und ähnlichen Zielen transportiert werden. Nachts sollen sie Müll sammeln. Die Boote werden künftig aber nicht nur für den Personen- und Warentransport eingesetzt, sondern auch als provisorische Fußgängerbrücken, Marktplätze oder Bühnen bei Festivals. Zusätzlich sammeln die Boote Daten zur Luft- und Wasserverschmutzung, die Aufladung der Batterien erfolgt an speziell eingerichteten Ladestationen am Ufer.

Roboat solle zwar den Straßenverkehr nicht ersetzen, aber es könne den Druck auf die Stadt verringern, wenn die Infrastruktur der Kanäle besser genutzten würde, betont der Niederländer. „Hypothetisch könnten wir den Hausmüll im Stadtzentrum mit 48 schwimmenden Müllcontainern und 16 Roboats entsorgen. Das ist viel weniger als die Lastwagen, die derzeit zum Sammeln von Müll eingesetzt werden, was auch den Verkehr verlangsamt und die Infrastruktur der historischen Kanalwände beschädigt.“

Ein Problem, an dem Forscher bei den künftigen autonom fahrenden Autos noch lösen müssen, sieht man in Amsterdam bezüglich der Roboats nicht: Wie kommunizieren die autonomen Boote mit den menschlichen Kapitänen der traditionellen Boote auf den Kanälen, die weiterhin ebenso unterwegs sein werden?

© MIT

„Immer mehr Boote, die die Amsterdamer Kanäle befahren, verfügen über unbemannte Kommunikationsgeräte, mit denen sie die Position anderer Boote kennen, freie Plätze zum Anlegen und die Erlaubnis zum Einfahren in bestimmte Bereiche erhalten“, so Grupstra. „Die Stadt unternimmt große Anstrengungen, um die ‚digitalen Kanäle‘ zu schaffen und das Verkehrsmanagement auf dem Wasser voranzutreiben. Das bedeutet unter anderem, dass Boote in Amsterdam GPS-Tracking-Sensoren an Bord haben müssen, sowie Sensoren in Brücken zur Abschätzung und Beobachtung des Verkehrs auf den Kanälen. Roboat verwendet eine ähnliche Technologie, die es ihm ermöglicht, alle Boote in Amsterdam zu sehen und von ihnen gesehen zu werden.“

Fünfjähriges Forschungsprojekt

Roboat ist ein fünf-jähriges Forschungsprojekt und eine Zusammenarbeit zwischen dem Amsterdam Institute for Advanced Metropolitan Solutions und dem Massachusetts Institute of Technology, wo die Boote entwickelt und im hauseigenen Schwimmbad getestet wurden. Dabei haben Modelle der Boote, ausgehend von einem Abstand von einem Meter, innerhalb von zehn Sekunden ohne fremde Hilfe einen festen Verbund geformt. Die Zusammenarbeit mit dem MIT habe sich laut Grupstra aufgrund einer langjährigen akademischen Partnerschaft mit der TU Delft und der Wageningen UR, der Gründerväter des AMS Institute in den Niederlanden, angeboten. „Das AMS Institute arbeitet für die Stadt Amsterdam an urbanen Innovationen. Das MIT ist bekannt für seine innovative Forschung in den Bereichen Robotik, künstliche Intelligenz und Stadtgestaltung – den Schlüsselbereichen für die Entwicklung von Roboat.“

Nach Abschluss des Projekts soll es in Amsterdam fünf Großschiffe geben, sagt Grupstra. Dann liege es allerdings an den kommerziellen Partnern, „die entwickelte Roboat-Technologie in größerem Umfang einzusetzen und autonome Seetransportlösungen auf dem Markt (und in der Stadt) anzubieten.“

Und wie sieht die erste Zwischenbilanz bei Halbzeit des Projekts aus? „Das Projekt begann im November 2016“, sagt Grupstra abschließend. „Wir haben bereits wichtige Meilensteine in der Automatisierung erreicht, die Roboat weltweit an die Spitze der autonomen Navigation gebracht hat, einschließlich: 100% Autonomie, von Dock zu Dock, ohne menschliche Eingriffe; Mehrschiffssteuerung (jedes Boot weiß, wo sich die anderen befinden, und koordiniert seine Position und Bewegungen entsprechend); Mehrschiffskoordination und Formveränderung; und Verriegelungs- und Andockmöglichkeiten.“

Mehr zum Thema autonomes Fahren finden Sie HIER.