Vor Publikum frei zu sprechen, sorgt bei vielen für weiche Knie. Lampenfieber, die Angst zu stottern oder versagen können, bringen manche Redner völlig aus dem Konzept. Retorio, ein Start-up aus München, will mit einem KI-basierten Software-Trainer helfen.
Schon allein die Mischung des Retorio-Gründer-Team klingt vielversprechend. Ein Psychologe, ein Betriebswirt und ein Informatiker haben sich an der TUM zusammengeschlossen und Retorio gegründet. Nun wollen Patrick Oehler, der Betriebwirt,
Christoph Hohenberger, der Psychologe und der Informatiker Abdurrahman Namli einen Rethorik-Trainer auf den Markt bringen. Er verspricht Unterstützung für von Zweifeln geplagte Redner.
Vortrag bereitet Stress
Die Gründer kennen die Anspannung vor einer Rede aus eigener Erfahrung. Die Hände schwitzen, der Mund trocknet aus, die Stimme stockt. Das führt zu Unsicherheit und Nervosität. Natürlich lässt sich Rethorik und das freie Sprechen vor Publikum auch mit einem menschlichen Trainer erlernen. Doch das ist zeit- und kostenintensiv. Auch das Selbsttraining gestaltete sich schwierig. Fehlt doch das passende, kritische und vor allem konstruktive Feedback von neutraler Seite.
KI basierte Software
Genau diese Lücke will Retorio künftig besetzen. Dazu filmt Software den Anwender. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz bewertet sie das Auftreten. Das Programm analysiert Stimme, Sprache, Mimik und Gestik. Das Feedback bekommt der User in Echtzeit geliefert. Da kann es also beispielsweise heißen, dass die Sprechgeschwindigkeit zu schnell ist. Oder welche Aspekte verbessert werden können. Ein umfangreiches Persönlichkeitsprofil gibt es gleich dazu. Besonders spannend: Es liefert auch Empfehlungen für verschiedene Berufsgruppen. Der Weg für eine künftige Zielgruppe im HR-Bereich scheint somit geebnet zu sein.
Software mit Daten anreichern
Damit die Software auch die richtigen Schlüsse ziehen kann, musste der Alorithmus mit entsprechenden Daten ausgestattet werden. Die Schwierigkeit dabei: “Maschinen können bereits Stimme, Mimik und Gestik analysieren”, sagt der Informatiker Namli. “Wir müssen ihnen aber beibringen, wie andere Menschen darauf reagieren und ob diese den Vortrag als authentisch empfinden.”
Datenbank aufgebaut
Für den Kern der Software, die Analysedaten, hat das Team eine Datenbank mit 10.000 Videos aus verschiedenen Forschungsprojekten aufgebaut. Personen aus unterschiedlichen Kulturkreisen sprechen über viele verschiedene Themen. Auch die Situation, in der sie einen Vortrag halten, wurde berücksichtigt. Abschließend beurteilten Versuchspersonen die Videos anhand folgender Fragen:
- Würden Sie mit dieser Person gern zusammenarbeiten?
- Würden Sie dieser Person vertrauen?
Aus all diesen Informationen leitet der Algorithmus das Bewertungsschema ab.
Hohe Flexibilität
Der virtuelle Kommunikationstrainer von Retorio bietet dem User ein großes Maß an Flexibilität. User können am eigenen Computer üben – wann und wo sie wollen. Die Software ist so ausgelegt, dass sie auf verschiedene Situationen vorbereitet. Das reicht von der Präsentation in einem Unternehmen bis hin zum ersten Date. Vor allem aber sehen die Retorio-Gründern die Einsatzgebiete ihres Rhetorik-Trainers in Geschäftsbereichen wie Vertriebs- und Personalabteilungen. “Die Künstliche Intelligenz ist brutal ehrlich”, sagt Betriebswirt Oehler. “Aber mit ihr zu üben, fällt vielleicht leichter als mit Menschen, die zuschauen.” Laut Retorio setzt ein deutscher Luftfahrtkonzern die Technologie bereits ein, um bei Bewerbungsprozessen Talente zu erkennen.
Inkubator der TUM
Mit Unterstützung des Inkubator der TUM und der Mentorin Prof. Isabell Welpe im Rahmen des Exist-Stipendiums konnten sie die Software entwickeln. Sie pichten bereitsvor Investoren in vier Ländern beim European Venture Program der EuroTech Universities Alliance. Neben Coachings erhielten sie bei UnternehmerTUM, Zugang zu einem Netzwerk sowie Kontakt zu potenziellen Kunden. Die ersten Investoren waren schnell gefunden, so dass inzwischen schon die zweite Finanzierungsrunde läuft. Das erste Produkt soll 2019 auf den Markt kommen.
Foto: A. Eckert / TUM