Schon innerhalb der nächsten 20 Jahre möchte die NASA eine bemannte Mission zum Mars zu schicken und nach Möglichkeit eine Forschungsstation aufbauen. Langfristig hofft man aber, den Roten Planten sogar zu besiedeln. Ein internationales Expertenteam – „SONet“ (Sustainable Offworld Network), dem auch Dr. Gisela Detrell vom Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart angehört, untersucht hierfür, wie Menschen tatsächlich im Weltraum überleben können. Dazu entwickelte das Team ein Lebenserhaltungssystem für die Stadt „Nüwa“ – benannt nach einer Muttergöttin der chinesischen Mythologie – das einmal eine Million Menschen auf dem Mars versorgen soll. Das System wurde als Teil eines Wettbewerbs der Mars Society konzipiert und jetzt veröffentlicht.
Komplette Infrastruktur auf dem Mars
Nüwa ist Teil eines Verbunds aus fünf Städten und bietet den Bewohnern nach Aussagen der Forscher „langfristig einfachen Zugang zu Ressourcen und Mobilität“. Ebenso wie bei Projekten auf der Erde, beinhaltet auch dieses eine realisierbare Stadtplanung und einen sozioökonomischen Entwicklungsplan. Dazu kommen Beschreibungen der Industrie, Infrastruktur und der Erzeugung und Verteilung von Energie und Dienstleistungen. „Zwischen der Entwicklung einer Raumstation für sechs Astronautinnen und Astronauten auf einer erdnahen Umlaufbahn, wie der ISS, und der Millionen-Stadt auf dem fernen Mars gibt es viele wissenschaftliche und technische Unterschiede. Insbesondere muss auf dem Mars erst eine Gesellschaft aufgebaut werden“, erklärt Dr. Gisela Detrell.
Nachhaltigkeit ein Muss
Nüwa ist eine nachhaltige Stadt, sie kann expandieren und wachsen und ist nicht auf Nachschub oder Unterstützung von der Erde angewiesen. Wichtig hierbei sei vor allem, wie viele physische Ressourcen und Energie pro Kopf gesammelt, umgewandelt und aus der Umwelt in die Stadt integriert werden müssen, erklären die Wissenschaftler. Aufgrund wiederkehrender Abhängigkeiten müsse dies schrittweise erfolgen: „So erfordert zum Beispiel die Energieerzeugung mit Sonnenkollektoren Komponenten, Materialien und andere Mittel.“ Zur Herstellung all dieser Dinge sind Maschinen nötig, die ihrerseits ebenfalls wieder Materialien und Energie benötigen. Ohne Ressourcen von der Erde, müsse man aber Ersatzmaterialien und Energiequellen finden. Dadurch würde wiederum die Wahl des Standorts für die künftige Stadt beeinflusst.
Schutz in den Marsklippen
Ein Ort, der den Wissenschaftler zufolge all diese Bedingungen erfüllt, sind die Wände einer felsigen Marsklippe am südlichen Rand der Mars-Region „Tempe Mensa“. Sie bieten den konzipierten Städten Schutz vor Druck, Temperaturschwankungen und schädlicher kosmischer Strahlung aus dem Weltraum. Damit die Menschen, die dort leben, nicht komplett im Untergrund hausen müssen, bieten Öffnungen zum Tal eine natürliche Beleuchtung innerhalb der bewohnten Gebiete. Oben auf der Klippe oder auch am Fuß des Tals könnten Produktion, Industrie, Lebensmittel- und Energieerzeugung eingerichtet werden.
Herkömmliche Stadtviertel wird es auf dem Mars jedoch nicht geben. Die Marsstadt wird sich aus Wohnblöcken, Arbeitsplätzen, lokalen Dienstleistungen sowie öffentlichen Räumen und grünen Parkanlagen für jeweils etwa 4.000 Menschen zusammensetzen. Dabei besteht jeder Block aus zahlreichen, miteinander verbundenen Zylindern. Sie reichen von der beleuchteten Außenseite bis etwa 150 Meter in den Felsen hinein.
Lebenserhaltungssystem als Schlüsselelement
Als zentrales Element gilt das Lebenserhaltungssystem. Es muss jederzeit und ohne Hilfe und Einfluss von der Erde autark alles bereitstellen, was Menschen zum Überleben benötigen. So wird es in Nüwa landwirtschaftliche Module geben, in denen Pflanzen und Mikroalgen kultiviert werden, die als Hauptnahrungsquelle dienen. Diese würden um Insekten und Zellfleisch ergänzt, um so eine ausgewogene Ernährung zu ermöglichen. Die Menschen, die in Nüwa leben, müssten vielleicht noch nicht einmal auf ihre geliebten Haustiere verzichten. Man könne sich, sowohl aus psychologischen Gründen als auch als Puffer im System, einige wenige Tiere vorstellen, schreiben die Forscher.
Vorbild für Städte auf der Erde?
Für das Recycling der Luft sorgen Pflanzen und Algen, indem sie das vom Menschen produzierte Kohlendioxid nutzen und durch Photosynthese Sauerstoff produzieren. Das für diesen Prozess benötigte Licht muss auf dem Mars allerdings künstlich erzeugt werden. „Für energieeffiziente LEDs werden insbesondere blaue und rote Wellenlängen verwendet. Diese LEDs erfordern allerdings pro Person 37 kW Leistung, große Kultivierungsflächen, viel Wasser und zudem Nährstoffe, Sauerstoff und Stickstoff“, erklären die Wissenschaftler.
Bis eine zukünftige Stadt auf dem Mars möglich sein könnte, müssen also noch viele Themen erforscht werden. Dieses Projekt zeige aber, „dass eine nachhaltige Stadt möglich ist – nicht nur auf dem Mars, sondern auch hier auf Erden.“
Titelbild: Blick beim Anflug auf die nachhaltige Stadt Nüwa. © Gonzalo Rojas, ABIBOO Studio / SONet