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Die Impfungen gegen COVID-19 nehmen zwar weltweit immer mehr Fahrt auf, die Forschungen nach neuen Wirkstoffen stehen aber nicht still. Insbesondere im Hinblick darauf, dass auch die Fähigkeit des Virus zu mutieren nicht stillsteht. Nun ist es Wissenschaftler der Universität Bonn und des Forschungszentrums caesar gelungen, ein Molekül zu isolieren, das im Kampf gegen das Coronavirus Licht am Ende des Tunnels bedeuten könnte.

Der Wirkstoff bindet – zumindest im Reagenzglas – an das Spike-Protein, das normalerweise den Eingang für das Virus in die Zelle darstellt. So wurden die Modellviren daran gehindert, in die Zelle zu gelangen. Der Wirkstoff nutze dabei offenbar einen anderen Mechanismus als bislang bekannte Hemmstoffe und könnte somit auch gegen Virusmutanten helfen, vermuten die Wissenschaftler.

Forschung nach neuen Wirkstoffen

Der neuartige Wirkstoff ist ein sogenanntes Aptamer, d.h. er besteht aus kurzen DNA-Ketten, also der chemischen Verbindung, aus der auch die Chromosomen bestehen, die sich gerne an andere Moleküle heften. Allerdings sind Chromosomen zweisträngig, wobei die klebrigen Seiten der DNA zueinander weisen und sich wie zwei verdrillte Fäden umeinander winden. Aptamere auf der anderen Seite sind einzelsträngig und können so Verbindungen mit Molekülen eingehen, an die herkömmliche DNA normalerweise nicht binden würde. Dadurch können sie auch deren Funktion beeinflussen.

Diese Eigenschaften mache sie für die Forschung nach neuen Wirkstoffen interessant, sagen die Forscher. Zumal sich heute sehr einfach riesige Bibliotheken mit unterschiedlichen Aptameren herstellen ließen. Manche von ihnen enthielten millionenfach mehr potenzielle Wirkstoffe, als Menschen auf der Erde leben. “Wir haben aus einer solchen Bibliothek Aptamere isoliert, die sich an das Spike-Protein des SARS-Coronavirus 2 heften können“, erklärt Prof. Dr. Günter Mayer vom LIMES (Life and Medical Sciences)-Institut der Universität Bonn.

Wie ein Skischuh in die Bindung

Das Spike-Protein ist für das Virus die Eintrittspforte in die Zelle, indem das Protein an ein Molekül namens ACE2 auf der Oberfläche bindet. Es rastet in das Spike-Protein wie ein Skischuh in die Skibindung ein. Einmal drin, verbindet es sich mit der Zelle und programmiert sie so um, dass zahlreiche neue Viren produziert werden. “Die allermeisten Antikörper, die wir heute kennen, verhindern das Andocken“, erläutert Mayer. “Sie heften sich an den Teil des Spike-Proteins, der für die Erkennung von ACE2 zuständig ist – die Rezeptorbindungsdomäne, kurz RBD.“

Das Aptamer, das die Bonner Forscher isoliert haben, bindet zwar auch an das Spike-Protein, jedoch an einer anderen Stelle. “Es unterbindet also nicht, dass SARS-CoV2 an seine Zielzelle andockt“, sagt Prof. Dr. Michael Famulok vom LIMES-Institut, der zudem am Forschungszentrum caesar in Bonn arbeitet. “Dennoch unterbleibt danach die Infektion der Zelle – welcher Mechanismus dafür verantwortlich ist, wissen wir noch nicht.“ Als nächstes wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob sich die Ergebnisse auch bei echten Viren bestätigen. Sie nutzten in ihren Experimenten nämlich keine echten Coronaviren, sondern sogenannte Pseudoviren, die auf ihrer Oberfläche das Spike-Protein tragen, aber keine Krankheiten auslösen können.

Neuer Schwachpunkt des Coronavirus?

Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, könnte es mittelfristig beispielsweise eine Art Nasenspray geben, das einige Stunden gegen eine Corona-Infektion schützt. Bis dahin sind allerdings viele weitere Studien nötig, die sich sicher noch über Monate hinziehen. Jedoch könnten die Ergebnisse auf jeden Fall dazu beitragen, “die Mechanismen bei der Infektion besser zu verstehen”, sagen die Forscher. Das sei umso wichtiger, da die bisherigen Wirkstoffe sich vor allem gegen die Rezeptorbindedomäne richteten. Und das könnte auf Dauer zum Problem werden, je mehr Mutationen des Virus entstehen. Schon bei der sogenannten britischen Mutante sei diese Domäne so verändert, dass sie stärker an ACE2 andocke. “Je mehr solcher Mutationen sich anhäufen, desto größer wird die Gefahr, dass die verfügbaren Medikamente und Impfstoffe nicht mehr wirken“, betont Günter Mayer. “Unsere Studie könnte den Blick auf eine alternative Achillesferse des Erregers lenken.“

Die Studie wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Die Ergebnisse werden Zeitschrift Angewandte Chemie veröffentlicht.

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