Das menschliche Gehirn gibt Wissenschaftlern noch immer viele Rätsel auf. Trotz allen wissenschaftlichen Fortschritts. Es mit all seinen Funktionen und Fähigkeiten nachzubilden, ist nicht nur für Anwendungen der künstlichen Intelligenz ein – bisher unerfüllbarer – Traum. Wissenschaftlern der Technischen Universität Eindhoven ist jetzt gemeinsam mit amerikanischen und italienischen Kollegen ein kleiner Schritt in diese Richtung gelungen. Sie haben künstliche Synapsen entwickelt, die mit lebenden Zellen kommunizieren können.
Die Kommunikation der Nervenzellen im Gehirn geschieht mittels elektrochemischer Signale, indem die Zellen über zwei Synapsen und einen schmalen Spalt dazwischen, der sozusagen als Transportmittel für die Signale dient, miteinander sprechen. Je mehr dieser „Unterhaltungen“ stattfinden, desto stärker wird die Verbindung und desto weniger Energie ist für die Übertragung erforderlich. Der Grund ist, dass die Signale die Leitfähigkeit der Empfangssynapse permanent anpassen. Je stärker so die Verbindung wird, desto mehr lernt das Gehirn und merkt sich auch die Dinge, die es gelernt hat. Ähnlich einem kleinen Trampelpfad, der umso breiter, fester und leichter begehbar wird, je mehr Menschen auf ihm laufen.
Der Forscher Yoeri van de Burgt von der Eindhoven University of Technology entwickelte im Jahr 2017 als Postdoc an der Stanford University eine künstliche Synapse aus organischen Materialien. Nun haben er und seine Kollegen des Istituto Italiano di Technologia (iit) und der Stanford University es geschafft, diese Synapse tatsächlich mit lebenden Zellen, die Nervenzellen ähneln, kommunizieren zu lassen. „Genau wie ein echtes Gehirn scheint unser System eine Lern- und Gedächtnisfunktion zu haben“, freut sich Van de Burgt. „Das bringt uns einer adaptiven Verbindung mit dem Gehirn einen Schritt näher, die fortschrittliche Prothesen und regenerative Medizin ermöglicht.“
Lernprozess wie in einem echten Gehirn
„Die meisten Forschungsgruppen, die sich mit der Messung von Hirnaktivität und Gehirn-Maschine-Schnittstellen befassen, sind nur in der Lage, elektrische Signale zu messen“, erklärt der Forscher. „Aber diese Signale sind nur eine Ableitung der Prozesse in der Synapse. Wir können den Prozess wirklich imitieren. Wir arbeiten, genau wie das Gehirn selbst, mit elektrochemischen Signalen. Das macht unseren Ansatz effizienter, aber auch relevanter.“
Das System zweier Synapsen und eines synaptischen Spalts besteht aus zwei leitenden Elektroden aus weichem Polymer und einer dazwischen liegenden Elektrolytlösung. So konnten die Wissenschaftler die lebenden Zellen auf die erste Elektrode kleben und sie über ein Kulturmedium ernähren. „Die lebenden Zellen in unserem System kommunizieren mit der Elektrode, weil der Neurotransmitter aus der Zelle eine (Redox-)Reaktion eingeht und dabei Ionen bildet“, beschreibt Van de Burgt. „Diese Ionen wandern dann durch den Spalt zur zweiten Elektrode. Dadurch ändert sich der Leitfähigkeitszustand dieser zweiten Elektrode. Ein Teil dieser Veränderung bleibt erhalten, wodurch der Lernprozess simuliert wird, der in einem echten Gehirn abläuft.“ Da die Verarbeitung und Speicherung des Signals gleichzeitig stattfinde, genau wie in einer echten Synapse, sei das System so energieeffizient.
Endergebnis das gleiche
Dann müssten die Neurotransmitter neu gebildet werden, um sich auf das nächste Signal aus der Zelle vorzubereiten. „Mit einem mikrofluidischen System konnten wir den biologisch relevanten Prozess der so genannten Endozytose imitieren”, sagt Van de Burgt. „Das bedeutet, dass wir die Synapsen wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzen können. Dies konnten wir erreichen, indem wir Sauerstoff zu den künstlichen Synapsen transportieren.“ Und es habe gut funktioniert. Der Prozess sei zwar nicht der gleiche wie im Gehirn, das Ergebnis aber schon.
Getestet wurden die Synapsen an Zellen von Ratten, die ähnlich wie Nervenzellen beschaffen sind und Dopamin freisetzen. „Wir sahen, dass das Dopamin tatsächlich – wie wir gehofft hatten – eine dauerhafte Veränderung der zweiten Elektrode bewirkt und damit den leitenden Zustand des Systems verändert“, so Van de Burgt.
Ziel der Forscher ist es nun, das System zum Beispiel dafür anzuwenden, Prothesen zu entwickeln, die mit dem Gehirn kommunizieren und so besser funktionieren können. Oder auch, um Teile des Gehirns zu reparieren. Außerdem möchte Van der Burgt in Zukunft auch in der Lage sein, eine durchtrennte Wirbelsäule zu reparieren, indem er adaptives System dazwischenschaltet. So könnten die Nerven miteinander kommunizieren und die Lernfähigkeit bliebe erhalten. Das sei aber noch ein „weit entfernter Zukunftstraum“, gibt Van de Burgt zu. „Denn an diesem Punkt im Rückenmark hat man keine Synapsen in der Nähe. Und darauf ist unser derzeitiges System aufgebaut.”
Die Ergebnisse der Forschung wurden in der Zeitschrift Nature Materials veröffentlicht.
Titelbild: Die künstliche Synapse aus organischen Materialien. Die elektrischen Sonden (Metallstücke) messen die Kondiktivität. Das mikrofluidische System (Röhren oben) versorgt die lebenden Zellen und stellt die Synapsen wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Foto: Yoeri van de Burgt.