Laut Statistiken des Bundesgesundheitsministeriums erkranken in Deutschland jährlich 400.000 bis 600.000 Menschen an Infektionen, die durch sogenannte multiresistente Keime ausgelöst werden. Zwischen 10.000 und 15.000 Betroffene sterben daran. Diese Keime bilden einen schützenden Biofilm, der sie vor dem Angriff durch Antibiotika schützt. Um diese Resistenz zu bekämpfen, sind antimikrobielle Mittel nötig, die diese bakteriellen Biofilme attackieren.
Forscher der Universität of Warwick haben nun ein Mittel gefunden, das gegen fünf Bakterien wirkt, die Biofilm-Infektionen auslösen: Die „Balds Augensalbe”, die bereits im Mittelalter angewendet wurde. Dr. Freya Harrison, Jessica Furner-Pardoe und Dr. Blessing Anonye haben sich in Ihrer Arbeit „Anti-biofilm efficacy of a medieval treatment for bacterial infection requires the combination of multiple ingredients“ mit Heilmitteln beschäftigt, die mit alltäglichen, natürlich Inhaltsstoffen helfen könnten, resistente Keime zu bekämpfen.
Wirkung gegen fünf Wundpathogene
Die rund 1.000 Jahre alte „Balds Augensalbe“ besteht aus Zwiebel, Knoblauch, Wein und Gallensalzen. Und genau diese Kombination hat offenbar eine vielversprechende antibakterielle Wirkung gegen fünf Wundpathogene: Acinetobacter baumanii, Stenotrophomonas maltophilia, Staphylococcus aureus, Staphylococcus epidermidis und Streptococcus pyogenes. Das Team konnte außerdem zeigen, dass die Mischung nur geringe Schäden an menschlichen Zellen verursacht.
Allicin, der Knoblauch-Inhaltsstoff, kann gegen verschiedene Bakterien wirken, ist alleine gegen Biofilme aber wirkungslos. Entscheidend bei der Salbe ist also die Kombination der Wirkstoffe. „Wir haben gezeigt, dass ein mittelalterliches Heilmittel aus Zwiebel, Knoblauch, Wein und Galle eine Reihe von problematischen Bakterien abtöten kann, die sowohl planktonisch als auch als Biofilme wachsen“, erklärt Dr. Freya Harrison von der School of Life Sciences an der Universität Warwick. „Da die Mischung weder den menschlichen Zellen im Labor noch den Mäusen großen Schaden zugefügt hat, könnten wir aus dem Mittel möglicherweise eine sichere und wirksame antibakterielle Behandlung entwickeln.“
Die meisten Antibiotika, die heute verwendet werden, seien aus natürlichen Verbindungen abgeleitet, betont sie. „Aber unsere Arbeit unterstreicht die Notwendigkeit, nicht nur einzelne Verbindungen, sondern Mischungen von Naturprodukten zur Behandlung von Biofilm-Infektionen zu erforschen. Wir denken, dass die künftige Entdeckung von Antibiotika aus Naturstoffen durch die Untersuchung von Kombinationen von Inhaltsstoffen anstelle von Einzelpflanzen oder Verbindungen verbessert werden könnte. In diesem ersten Fall denken wir, dass diese Kombination neue Behandlungsmethoden für infizierte Wunden, wie z.B. diabetische Fuß- und Beingeschwüre, vorschlagen könnte.“
Rezepte aus dem 10. Jahrhundert
Bereits in früheren Forschungsarbeiten hatte Christina Lee von der School of English an der Universität Nottingham das Bald’s Leechbook, ein altenglisches, ledergebundenes Buch in der British Library, nach wirksamen antibakteriellen Mitteln untersucht. Das handgeschriebene Leechbook aus dem 10. Jahrhundert gilt als eines der frühesten bekannten medizinischen Lehrbücher. Es enthält unter anderem Rezepte für Medikamente, Salben und Behandlungen.
„Bald’s Augensalbe unterstreicht die Bedeutung der medizinischen Behandlung in allen Epochen“, sagt Lee. „Es zeigt, dass die Menschen im frühmittelalterlichen England zumindest über einige wirksame Heilmittel verfügten. Die Zusammenarbeit, die zu diesem Projekt geführt hat, zeigt die Bedeutung der interdisziplinären Forschung”.