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Schon Evolutionspapst und Naturforscher Charles Darwin (1809 – 1882) vermutete, dass im „klaren blauen Wasser“ des Ozeans etwas noch kleineres sei als die unter dem Mikroskop erkennbaren Protozoen. Und er hatte Recht. Heute weiß man, dass „jeder Liter Ozeanwasser von Hunderten von Millionen Mikroorganismen wimmelt“, bestätigt der Meeresforscher Rudolf Amann, Direktor am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen. Wie wichtig genau diese Mikroorganismen für den Stoffwechsel im Meer sind, haben Amann und seine Kollegen nun genau erforscht und sind zu überraschenden Ergebnissen gekommen: Der Stoffwechselzyklus läuft anders ab als bisher angenommen.

„Obwohl sie selbst nur Mikrometer klein sind, bestimmen [Mikroorganismen] durch ihre schiere Anzahl und ihre hohe Stoffwechselrate maßgeblich den Energiefluss und den Umsatz von Biomasse in den Weltmeeren“, erklärt Tobias Erb vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg. Die Wissenschaftler haben nach eigenen Aussagen einen Stoffwechselweg entdeckt, „der eine wichtige Rolle beim mikrobiellen Abbau der Algenbiomasse im Ozean spielt“. Dabei sei es besonders für künftige Berechnungen der Kohlendioxid-Bilanz der Weltmeere wichtig zu wissen, wie die genauen Abläufe auf molekularer Ebene vor sich gehen. Darüber hinaus müsse man natürlich auch die weltweite Verbreitung kennen.

Was passiert mit dem Kohlenstoff aus der Glycolsäure?

Einzellige Algen, sogenanntes Phytoplankton, wandeln Kohlendioxid in Biomasse um. Andere Mikroorganismen verarbeiten noch im Oberflächenwasser viele Tausend Tonnen der Algen-Biomasse, wenn die Algen den Kohlenstoff wieder ausscheiden oder nach der sogenannten Algenblüte absterben. Dabei spielt insbesondere die Glycolsäure, ein direktes Nebenprodukt der Fotosynthese, eine entscheidende Rolle, da sie von den Bakterien zum Teil in Kohlendioxid zurück verwandelt wird.

Um die weltweiten Konsequenzen und die Folgen für den Klimawandel zu verstehen zu können, sei eine genaue Kenntnis des bakteriellen Abbaus der Algen-Biomasse unabdingbar, erklären die Forscher. Also müsse man genau herausfinden, wo und in welchem Umfang diese Nährstoffnetze vorkämen, und was mit dem Kohlenstoff der Glycolsäure – insgesamt immerhin rund eine Milliarde Tonnen pro Jahr – passiert. Bisher war das noch nicht genau bekannt.

Der β-Hydroxyaspartat-Zyklus in dem Bodenbakterium Paracoccus war jedoch schon seit mehr als 50 Jahren bekannt und Lennart Schada von Borzyskowski, Erstautor der Publikation und Postdoktorand in der Abteilung von Tobias Erb am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg, stieß bei Literaturrecherchen erneut auf diesen Stoffwechselweg. Dabei sei ihm aufgefallen, dass dieser Prozess effizienter sein müsste als der bisher für den Abbau der Glycolsäure angenommene Prozess, berichtet er. „Und ich fragte mich, ob dieser Stoffwechselweg nicht vielleicht mehr Bedeutung besitzen könnte, als ursprünglich angenommen.“

Die mikrobielle Forschung erstreckte sich von der Aufklärung molekularer Prinzipien im Labor bis zum Nachweis ihrer Bedeutung im marinen Ökosystem. © Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie/ Gunnar Gerdts

Das Rätsel des vierten Enzyms

Bei weiteren Recherchen fiel ihm in Datenbanken auf ein Cluster aus insgesamt vier Genen auf, die die Bauanleitung für vier Enzyme liefern. Um eine aus der Glycolsäure abgeleitete Verbindung weiter umzusetzen, seien schon drei kombinierte Enzyme ausreichend gewesen, schreiben die Wissenschaftler weiter. Also führte Schada von Borzyskowski mit diesem vierten Enzym Test im Labor durch, um herauszufinden, was es bewirkte. Er fand heraus, dass es eine in diesem Zusammenhang bisher unbekannte Reaktion katalysiert, eine sogenannte Iminreduktion – und diese vierte Reaktion schließt den Stoffwechselweg zu einem Kreislauf, „durch den der Kohlenstoff der Glycolsäure ohne Verlust von Kohlendioxid zirkuliert werden kann“.

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Als nächstes sei es darum gegangen, das Vorkommen und die Aktivität dieser Gene im marinen Lebensraum und ihre ökologische Bedeutung nachzuweisen, erläutert Tobias Erb. Dazu maßen die Forscher im Frühjahr 2018 in mehreren Exkursionen bei Helgoland die Bildung und den Verbrauch von Glycolsäure während der Algenblüte. Es zeigte sich, dass der Stoffwechselzyklus aktiv am Stoffwechsel der Glycolsäure beteiligt ist.

Diese Ergebnisse bestätigten sich in den bakteriellen Genomsequenzen, die die TARA Oceans Expedition in über 10.000 Kilometern Wegstrecke auf den Weltmeeren sammelte. Auch da waren immer wieder die Baupläne des Stoffwechselzyklus zu finden, im Durchschnitt 20 Mal häufiger als alle anderen bekannten Abbaurouten für Glycolsäure. „Die Entdeckung der Marburger Kolleginnen und Kollegen stellt unser bisheriges Verständnis zum Schicksal der Glycolsäure auf den Kopf“, sagt Rudolf Amann. „Unsere Daten zeigen, dass wir den Kreislauf von Milliarden Tonnen Kohlenstoff in den Weltmeeren neu bewerten müssen.“ Tobias Erb betont, dass diese Arbeit bewusst mache, welche globalen Ausmaße der Stoffwechsel von Mikroorganismen annehmen kann, und wie viel man immer noch entdecken könne.

Titelbild: Auf Satellitenbildern wirken die Algenteppiche mit ihren hellen Schlieren wie Kunstwerke. Allein in der etwa 70.000 Quadratkilometer umfassenden Deutschen Bucht entstehen bei der Algenblüte im Frühjahr etwa zehn Millionen Tonnen Biomasse. © NASA