Mehr als 350 Millionen Tonnen Plastik werden weltweit jedes Jahr hergestellt. In all diesen Kunststoffen sind die unterschiedlichsten Chemikalien verarbeitet, die früher oder später freigesetzt werden können. Ein Teil davon sind Substanzen, die sowohl schädlich für die Umwelt sind als auch gefährlich Mensch und Tier. Der größte Teil dieser Chemikalien ist allerdings weder umfassend wissenschaftlich untersucht, noch wissen die Verbraucher überhaupt davon.
Prof. Dr. Stefanie Hellweg, Professorin für Ökologisches Systemdesign an der ETH, hat mit einem Team nun zum ersten Mal alle Kunststoff-Monomere, Zusatzstoffe und Hilfsmittel, die für den Weltmarkt für die Produktion von Plastik zugelassen sind, anhand von Verwendungsmustern und Gefahrenpotenzialen klassifiziert. Dabei kamen die Wissenschaftler zu einem wenig erfreulichen Ergebnis.
Große chemische Vielfalt
Insgesamt identifizierten Hellweg und ihre Kollegen rund 10.500 verschiedene Chemikalien, die absichtlich in Plastik eingebracht werden. Davon waren 2.489 in Verpackungen, 2.429 in Textilien, 2.109 in Produkten, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, 522 in Spielzeug und 247 in medizinischen Gegenständen (einschließlich Masken) zu finden. 2.480 Stoffe, das sind 24 Prozent aller Substanzen, bewerteten die Forscher als “potenziell besorgniserregend”.
“Das bedeutet, dass knapp ein Viertel aller Chemikalien in Plastik entweder nicht abbaubar sind, sich in Organismen anreichern oder toxisch sind. Häufig sind diese Stoffe für Wasserlebewesen giftig, verursachen Krebs oder schädigen bestimmte Zielorgane”, erklärt Helene Wiesinger, Doktorandin am Lehrstuhl für Ökologisches Systemdesign und Erstautorin der Studie. Bei etwa der Hälfte handelt es laut Aussagen der Wissenschaftler um Chemikalien, die in der EU oder den USA in großen Mengen produziert werden.
“Bemerkenswert ist, dass viele der fraglichen Substanzen kaum kontrolliert oder unzulänglich beschrieben sind”, erklärt Wiesinger. Genau gesagt, handelt es sich um mehr als die Hälfte – 53 Prozent – der potenziell bedenklichen Stoffe, die weder in den USA, noch in der EU noch in Japan reguliert werden. Offiziell für die Verwendung in Kunststoffen mit Lebensmittelkontakt zugelassen sind in diesen Ländern sogar 901 dieser gefährlichen Substanzen. Für rund zehn Prozent aller potenziell besorgniserregenden Stoffe fehlen wissenschaftliche Studien komplett.
Plastik-Monomere, Additive und Hilfsstoffe
Kunststoffe bestehen in erster Linie aus organischen Polymeren. Um die verschiedenen Kunststoffarten mit den gewünschten Eigenschaften auszustatten, werden Zusatzstoffe wie beispielsweise Antioxidantien, Weichmacher oder Flammschutzmittel beigemischt. Zudem kommen während des Produktionsprozesses Hilfsstoffe wie Katalysatoren, Lösungsmittel und weitere Chemikalien zum Einsatz.
“Bislang konzentrieren sich Forschung, Industrie und Regulatoren vor allem auf eine begrenzte Anzahl gefährlicher Chemikalien, die bekanntermaßen in Kunststoffen vorkommen”, weiß Wiesinger. So stünden Kunststoffverpackungen als Hauptquelle für organische Verunreinigungen in Lebensmitteln im Mittelpunkt der Diskussion. Phthalat-Weichmacher oder bromierte Flammschutzmittel können schon seit einiger Zeit in Hausstaub und Raumluft nachgewiesen werden. Bereits in früheren Studien kamen Forscher zu dem Ergebnis, dass weit mehr Plastik-Chemikalien, die weltweit im Einsatz sind, potenziell gefährlich sind, als bisher angenommen.
Trotzdem waren die ETH-Forscher vom Ergebnis ihrer Studie negativ überrascht. “Die unerwartet hohe Anzahl potenziell besorgniserregender Substanzen ist bedenklich”, sagt Zhanyun Wang, Senior Scientist in Stefanie Hellwegs Gruppe. Solchen Stoffen ausgesetzt zu sein, könne sich negativ auf die Gesundheit von Verbrauchern und Arbeitern auswirken und außerdem die Ökosysteme belasten. “Zudem können Problemchemikalien Recyclingprozesse sowie die Sicherheit und Qualität von recycelten Materialien beeinträchtigen”, betonen die Forscher. Und das sei noch nicht alles. Potentiell könnten noch mehr Plastikchemikalien problematisch sein, fürchtet Wang. “Erfasste Gefahrendaten sind oft begrenzt, und für 4.100 oder 39 Prozent aller von uns identifizierten Stoffe fehlen noch Gefahrklassifikationen.”
Zu wenige Daten, zu wenig Transparenz
Das größte Problem sehen die Forscher in mangelnder Transparenz bei Chemikalien in Kunststoffen sowie in einer “verzettelten Datenbasis”. Sie durchsuchten für ihre Studie im Zeitraum von über zweieinhalb Jahren mehr als 190 öffentlich zugängliche Verzeichnisse und Datenquellen aus Forschung, Industrie und von Behörden. Dabei enthielten lediglich 60 Verzeichnisse ausreichende Informationen über Zusätze in Plastik. “Wir fanden mehrere kritische Wissens- und Datenlücken, insbesondere bei den Substanzen und ihren Anwendungszwecken. Das erschwert es letztlich Verbrauchern, sichere Kunststoffprodukte zu wählen”, sagen Wiesinger und Wang.
Um das Ziel einer nachhaltigen Kreislauf-Kunststoffwirtschaft zu erreichen, ist nach Meinung der beiden Forscher ein “griffiges globales Chemikalienmanagement” nötig. Dieses müsste transparent sein, unabhängig und es müssten Risikostoffe vollständig erfasst werden. Außerdem sei ein “offener und niederschwelliger Zugang zu gesicherter Information” entscheidend.
Die Studie ist im Fachmagazin Environmental Science & Technology erschienen.
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