Nachhaltige Entwicklung ist zweifellos notwendig, leicht zu vermitteln ist sie aber nicht, sagt der Kommunikationsforscher Matthias Karmasin. Der Grund dafür liegt in der unbequemen Wahrheit, die mit Nachhaltigkeit verbunden ist – dem Verzicht und der Umverteilung.
Den Begriff der Inconvenient Truth prägte der amerikanische Politiker, Unternehmer und Umweltschützer Al Gore mit seiner gleichnamigen Dokumentation im Jahr 2006. Karmasin benutzt den Begriff im Vorfeld der Nachhaltigkeitskonferenz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Der Kommunikationsexperte ist im Organisationsteam und bereitet eine Diskussion über die Rolle der Medien bei der Umsetzung der insgesamt siebzehn Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen bis 2030 vor.
Verzicht und Umverteilung
Medien können entscheiden, in welcher Form sie über aktuelle Entwicklungen schreiben. In ihrer Rolle der Informationsvermittlung tragen sie auch Verantwortung. Es sind medial vermittelte Diskurse, die entscheiden, welche Prioritäten Gesellschaften setzen, so Karmasin. Theoretisch könnten Medien also viel zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele beitragen. Experten sehen allerdings einen negativen Effekt. Die Medienberichterstattung hat den Zweifel am Klimawandel nicht beseitigt, sondern gefördert, so ein amerikanischer Medienhistoriker.
Es ist nicht zuletzt die Sensationslust der Medien, welche die Zweifel am Klimawandel genährt haben. Sensationsjournalismus führt zur Verdrossenheit von Medienkonsumenten, so Karmasin.
Der Kommunikationsforscher ortet zwei Schwierigkeiten in der Rolle der Medien im Nachhaltigkeitsdiskurs:
Die Wahrheit liegt uns heute wissenschaftlich evident vor, erlebt aber gleichzeitig eine schwere Krise.
Nachhaltigkeit handelt nicht nur von grünen Jobchancen und Standortvorteilen, sondern auch von Verzicht und Umverteilung. Das ist eine unangenehme Geschichte, die sich in den medialen Verwertungszyklen nicht gut erzählen lässt.
„Wir werden nicht nur individuell verzichten müssen, sondern auch global umverteilen.“ Matthias Karmasin
Glaubwürdigkeitskrise
Die an Klicks, Quoten und Verkaufszahlen orientierte Sensationslust kostet die Medien Glaubwürdigkeit. Aber nicht nur die Medien leiden an einer Glaubwürdigkeitskrise. Vielmehr ist diese ein Merkmal unserer Zeit und umfasst alle etablierten Institutionen – selbst Wissenschaft und Universitäten. Schließlich kann im Moment auch wissenschaftlich Erwiesenes auf breiter Ebene in Frage gestellt werden. Mehr denn je ist die Politik gefordert, die Bevölkerung in ihren nachhaltigen Handlungen zu unterstützen – wie etwa weniger Fleisch zu essen und vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, so Karmasin. Auch auf wirtschaftlicher Ebene plädiert der Kommunikationsforscher für ein politisches Umdenken. Zitat: „Es kann nicht mehr länger der globale Standortwettbewerb im Vordergrund stehen, wenn die Existenz des Planeten in Frage steht.“
Zivilgesellschaftliche Beteiligung
Einen positiveren Effekt auf die Entwicklung der Nachhaltigkeit sieht Karmasin in den Sozialen Medien. Diese ermöglichen zivilgesellschaftliche Beteiligung und können viel bewegen, wenn sie richtig genutzt werden. Das zeigte zuletzt die #metoo Bewegung. Initiativen in den Sozialen Medien können viel ändern, werden aber wahrscheinlich nicht reichen, so der Kommunikationsforscher.
Die Sozialen Medien haben die Bürger auch in ihrer Funktion als Verbraucher ermächtigt. Jeder kann einfach über das Internet und Apps Informationen abrufen und Unternehmen öffentlich Feedback geben. Nicht selten werden bei ökologischen oder sozialen Verfehlungen auch Konsumboykotts ausgerufen.
Karmasin weist darauf hin, dass der Diskurs auf drei Ebenen ausgetragen wird, die ein Zusammenspiel erfordern:
- Auf der Mikroebene können Konsumierende mit ihren Kaufentscheidungen Einfluss nehmen.
- Auf der Makroebene können ordnungspolitische Vorgaben gemacht werden.
- Auf der Mesoebene können Unternehmen entsprechend darauf reagieren.
Beitrag der Wissenschaft
Auch Wissenschaft kann den Nachhaltigkeitsdiskurs positiv beeinflussen und sollte noch lauter als bisher Fakten über den Zustand des Planeten vermitteln. Im Vordergrund sollte die Verantwortung stehen, die vor allem gegenüber zukünftigen Generationen besteht. Karmasin: „Dabei müssen wir mehr denn je die Welt als Gemeinschaft aller denken: Wenn die emerging economies weiter aufholen und die westliche Welt weiter in dem Maße Ressourcen verbraucht, wird sich das alles sehr bald nicht mehr ausgehen.“
Die Konferenz
Die Konferenz Global Sustainable Development Goals in a Mediatized World wird von vierten bis fünften April an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) abgehalten. Rund vierzig Experten und Expertinnen aus aller Welt werden darüber diskutieren, welche wissenschaftlichen und technischen Innovationen notwendig sind, um die Nachhaltigkeitsziele 2030 zu erreichen. Die Veranstaltung wird in englischer Sprache durchgeführt und ist öffentlich zugänglich. Das Programm finden Sie hier:
Matthias Karmasin unterrichtet am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und ist der Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der ÖAW.
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