Eine Welt ohne Lithium ist im 21. Jahrhundert nicht mehr denkbar. Handys, E-Autos, Netzspeicher – für die Akkus, die diese Geräte mit Energie versorgen, ist Lithium unerlässlich. Gewonnen werden Millionen Tonnen jedes Jahr weit ab von Europa in Afrika, Australien und Südamerika. Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben jetzt aber eine Möglichkeit gefunden, Lithium auch in Deutschland zu gewinnen. Der Rohstoff soll dabei „minimalinvasiv“ aus den Tiefengewässern in Geothermieanlagen des Oberrheingrabens gefördert werden.
„Nach unseren Kenntnissen können es bis zu 200 Milligramm pro Liter sein“, weiß der Geowissenschaftler Dr. Jens Grimmer vom Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) des KIT: „Wenn wir dieses Potenzial konsequent nutzen, dann könnten wir in Deutschland einen erheblichen Teil unseres Bedarfs decken.“ Der Grund, wieso dieses Lithium bisher nicht gefördert werden konnte, ist, dass es kein geeignetes Verfahren gab, es sowohl kostengünstig als auch umweltschonend und nachhaltig zu erschließen.
Grimmer hat jetzt gemeinsam mit seiner Forscherkollegin Dr. Florencia Saravia von der Forschungsstelle des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) am Engler-Bunte-Institut (EBI) des KIT ein solches Verfahren entwickelt. „Dabei werden in einem ersten Schritt die Lithiumionen aus dem Thermalwasser herausgefiltert und in einem zweiten Schritt weiter konzentriert, bis Lithium als Salz ausgefällt werden kann“, so Grimmer. Dieses Verfahren wurde vom KIT bereits zum Patent angemeldet.
Nur minimale Umweltschäden
Von den traditionellen Methoden der Lithiumproduktion aus den südamerikanischen Salzseen und den australischen Festgesteinen unterscheidet sich das Grimmer-Saravia-Verfahren dadurch, dass die bestehende Infrastruktur von Geothermie-Anlagen genutzt wird. Durch fließen die pro Jahr bis zu zwei Milliarden Liter Thermalwasser. Weiterhin fällt auch kaum Abraum an, wie er beim klassischen Bergbau üblich ist. Außerdem ist der Flächenverbrauch minimal.
Nach Gebrauch wird das Thermalwasser wieder in den Untergrund zurückgeleitet. Somit würden keine schädlichen Stoffe freigesetzt und auch die geothermische Strom- und Wärmeproduktion werde nicht gestört, sagen die Forscher. Das Lithium könne im Thermalwasserzyklus der Geothermie-Anlage kontinuierlich innerhalb von Stunden extrahiert werden, wohingegen die Anreicherung in den südamerikanischen Salzseen mehrere Monate dauere und stark wetterabhängig sei. Bei der herkömmlichen Lithiumproduktion kann ein starker Regenguss nämlich eine Verzögerung von Wochen oder gar Monate zur Folge haben. Und das neue Verfahren hat einen weiteren Vorteil: Man kann gleichzeitig weitere seltene Elemente wie Rubidium oder Cäsium aus dem Thermalwasser extrahieren. Diese werden zum Beispiel in der Laser- und Vakuumtechnologie benötigt.
„Regionale Wertschöpfungsketten”
Da die technisch-energetischen Möglichkeiten einer Geothermie-Anlage genutzt würden, hebe sich dieses Verfahren auch in der CO2-Bilanz sehr positiv von den tradierten Verfahren ab: „Wir exportieren viele Umweltprobleme in Drittländer, um unseren Lebensstandard aufrechtzuerhalten und zu verbessern. Mit diesem Verfahren können wir unserer Verantwortung gerecht werden und wichtige Rohstoffe für moderne Technologien umweltverträglich vor der eigenen Haustür gewinnen“, sagt Saravia. „Darüber hinaus können wir regionale Wertschöpfungsketten aufbauen, Arbeitsplätze schaffen und gleichzeitig geopolitische Abhängigkeiten reduzieren.“
Die beiden Wissenschaftler entwickeln nun gemeinsam mit Partnern aus der Industrie eine Testanlage. Der erste Prototyp soll dann in einer Geothermie-Anlage im Oberrheingraben aufgebaut werden. Dort werden „zunächst einige Kilogramm Lithiumkarbonat bzw. Lithiumhydroxid gewonnen“. Wenn die Versuche erfolgreich sind, sei der Bau einer Großanlage geplant, sagen die Forscher. „Möglich wäre dann eine Produktion von mehreren hundert Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr pro Geothermie-Anlage.“ Laut Informationen des KIT könnten auf deutscher und französischer Seite des Oberrheingrabens mehrere tausend Tonnen Lithium pro Jahr gewonnen werden.
Titelbild: Mit dem minimalinvasiven Verfahren aus dem KIT könnten jedes Jahr tausende Tonnen Lithium aus dem deutschen und französischen Oberrheingraben gefördert werden. (Foto: Amadeus Bramsiepe, KIT)