Im Operationssaal der Zukunft sollen computerbasierte Assistenzsysteme Arbeitsabläufe einfacher und sicherer machen und somit eine deutlich größere Rolle spielen als heute. „Möglich sind solche Unterstützungsfunktionen allerdings nur, wenn Computer in der Lage sind, wichtige Ereignisse im OP zu antizipieren und zur richtigen Zeit die richtigen Informationen bereit zu stellen“, erklärt Prof. Stefanie Speidel, Leiterin der Abteilung Translationale Chirurgische Onkologie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC).
Die Wissenschaftlerin hat gemeinsam mit dem Zentrum für taktiles Internet mit Mensch-Maschine-Interaktion (CeTI) der TU Dresden mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) eine Methode entwickelt, mit der Computer die Nutzung chirurgischer Instrumente vor deren Einsatz vorhersehen können.
Chirurgen nicht durch Roboter ersetzen
Ein solches System ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung, um autonome Robotersysteme einsetzen zu können, die einfache Teilaufgaben im OP wie das Absaugen von Blut übernehmen könnten. Es könnte auch früh vor Komplikationen warnen, wenn diese mit dem Einsatz eines bestimmten Instruments verknüpft sind. Zudem könnte es die Effizienz bei der Vorbereitung von Instrumenten erhöhen. „Wir verfolgen allerdings nicht die Vision, den Chirurgen durch einen Roboter oder andere Assistenzen zu ersetzen. Die intelligenten Systeme sollen lediglich eine helfende Hand sein und den Arzt und das gesamte OP-Team entlasten“, sagt Prof. Jürgen Weitz, geschäftsführender Direktor am NCT/UCC und Direktor der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Dresden.
Um Computer zu lehren, den Einsatz chirurgischer Instrumente situationsbezogen wenige Minuten vor deren tatsächlichem Gebrauch vorherzusagen, nutzten die Wissenschaftlern am NCT/UCC und am CeTI ein künstliches neuronales Netz, das die Fähigkeit des Menschen nachahmt, anhand von Beispielen zu lernen. Mithilfe einer kontinuierlichen Analyse von Video-Bildern einer Operation wurde die Nutzung bestimmter Instrumente wenige Minuten vor deren Einsatz angezeigt. Dann trainierten sie das neuronale Netz mit 60 Videos von Gallenblasenentfernungen, die standardmäßig über ein Laparoskop im Bauchraum aufgenommen wurden. In diesen Videos war der Einsatz von fünf verschiedenen Instrumenten markiert.
Später musste das neuronale Netz an 20 weiteren Videos ohne Markierungen sein Wissen unter Beweis stellen. Die Wissenschaftler konnten dabei zeigen, dass das System wichtige Lernfortschritte gemacht hatte und vielfach die Instrumentennutzung korrekt vorhersagen konnte.
Anwendungsfreundlicher als andere Systeme
Im Vergleich zu anderen Herangehensweisen zeigte sich dieses neuronale Netz deutlich anwendungstauglicher und ermöglicht daher auch die Lösung komplexer Aufgaben. Andere Methoden sehen den Zeitpunkt des Ereignisses als gegeben an und das Netz muss nur zwischen verschiedenen möglichen Ereignissen zu entscheiden. „Wir konnten hingegen zeigen, dass ein künstliches neuronales Netz mit spezifischen Anpassungen und einer geeignet formulierten mathematischen Aufgabenstellung in der Lage ist, mit geringem Markierungs-Aufwand sinnvolle Aussagen über die Art des zu wählenden Instruments und den zeitlichen Horizont der Anwendung zu treffen“, sagt Dominik Rivoir von der Abteilung Translationale Chirurgische Onkologie am NCT/UCC, Erstautor der Untersuchung, die im Rahmen der International Conference on Medical Image Computing & Computer Assisted Intervention (MICCAI) vorgestellt wurde.
Als nächstes wollen die Wissenschaftler die Methode verfeinern und das Neuronale Netz mit weiteren Datensätzen füttern. Ein Fokus liegt hierbei auf Operations-Videos, in denen vermehrt stärkere Blutungen zu sehen sind. Anhand dieser Bilddaten soll das Netz noch besser lernen, wann Blutungen mittels eines speziellen Instruments abgesaugt werden müssen. In der vorgestellten Untersuchung konnten die Forscher bereits zeigen, dass das Netz zum Beispiel das Auftauchen eines Clips zum Abklemmen eines Blutgefäßes mit hoher Sicherheit als Merkmal interpretierte, um den kurz darauf erfolgenden Einsatz einer Schere vorherzusagen. Dies könnte künftig als Basis dienen, um den Einsatz eines robotergeführten Sauginstruments zeitlich zu steuern oder Komplikationen vorherzusagen.
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).
Titelbild: Autonome Robotersysteme und weitere intelligente Assistenzsysteme sollen das OP-Team in Zukunft verstärkt unterstützen. © NCT/UCC/André Wirsig