Medikamente – und insbesondere Krebsmedikamente – haben zum Teil erhebliche Nebenwirkungen. Ein Grund dafür ist, dass die Medikamente sich auch auf gesunde Zellen im gesamten Körper auswirken und nicht nur die kranken Zellen angreifen, die sie zerstören sollen. Um diese unerwünschten Nebenwirkungen künftig zu umgehen, forschen Wissenschaftler weltweit nach Möglichkeiten, die Medikamente gezielt nur zum Tumor transportieren, ohne Auswirkungen auf gesunde Zellen des Körpers zu haben. Deutsche und schwedische Forscher haben dazu „Nano-Verpackungen“ für Medikamente erfunden (IO berichtete).
Eine weitere Möglichkeit ist, den Transport von Medikamenten, die in die Blutbahn injiziert wurden, künstlich zu steuern. In Forschungslabors gibt es dazu Mikroroboter, die in Form und Antrieb von Bakterien inspiriert und außerdem klein genug sind, um sie in Blutgefäße einbringen zu können. Diese Mikrotransporter können von außerhalb des Körpers über ein sich bewegendes Magnetfeld gesteuert werden.
Mit Magnetfeldern punktgenau steuern
Prof. Dr. Simone Schürle, Professorin am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich, geht noch einen Schritt weiter. Sie möchte keine von Bakterien inspirierten Mikroroboter verwenden, sondern echte Bakterien, die natürlicherweise magnetisch sind. Derartige magnetotaktische Bakterien wurden erstmals vor 45 Jahren im Meer entdeckt. Die Mikroorganismen nehmen das im Wasser gelöste Eisen auf. Daraufhin bilden sich in ihrem Innern Eisenoxid-Kristalle, die sich in einer Reihe anordnen. Dadurch richten sich diese Bakterien am Erdmagnetfeld wie eine Kompassnadel aus, um im Gewässer navigieren zu können.
Simone Schürle und ihr Team haben im Labor untersucht, wie sich diese Bakterien über ein Magnetfeld steuern lassen. So könnte man den Fluss von Flüssigkeiten kontrolliert beeinflussen. In den Experimenten hätten bereits verhältnismäßig schwache rotierende Magnetfelder gereicht, um die Bakterien zu steuern, sagen die Wissenschaftler. Sie konnten die Bakterien mit den rotierenden Feldern um ihre eigene Achse drehen. Mit vielen Bakterien in einem Schwarm gelang es auch, die Flüssigkeit in der Umgebung zu bewegen.
Die Bakterien hätten einen ähnlichen Effekt wie eine Mikropumpe erzeugt und können so in der Flüssigkeit vorhandene Wirkstoffe in verschiedene Richtungen bewegen: zum Beispiel aus der Blutbahn heraus ins Tumorgewebe. „Durch die Verwendung von sich überlagernden Magnetfeldern, die sich örtlich gegenseitig verstärken, beziehungsweise auslöschen, kann man diese Pumpaktivität auf eine kleine Region punktgenau reduzieren.“
Zudem könne das Prinzip außerhalb des Körpers genutzt werden, um in kleinsten Gefäßen verschiedene Flüssigkeiten lokal miteinander zu mischen, ohne mechanische Mikropumpen fabrizieren und steuern zu müssen. „Ein bedeutender Vorteil von Bakterien gegenüber Mikrorobotern ist, dass wir sie einfach herstellen können. Sie lassen sich problemlos in Bioreaktoren züchten“, sagt Schürle.
Tot oder lebendig
Den Wissenschaftler ist es bei ihrem Projekt vor allem darum gegangen, „den Ansatz zu erforschen und zu beschreiben, auf welche Weise die Bakterien den Fluss steuern können“. Natürlich müssen derartige Bakterien erst noch genau auf ihre Sicherheit untersucht werden, bevor sie im menschlichen Körper angewandt werden können. Allerding gibt es den Ansatz, Bakterien aus medizinischen Gründen in den Körper injizieren, bereits. Bei „Living Therapeutics“ werden jedoch andere Bakterienarten, wie zum Beispiel Kolibakterien, verwendet.
Für eine künftige medizinische Anwendung könnten nach Ansicht der Mediziner aber auch andere als natürliche Bakterien verwendet werden. „Mittels synthetischer Biologie lassen sich Bakterien mit optimalen funktionellen Eigenschaften konstruieren, die im menschlichen Körper auch sicher sind und zum Beispiel keine allergischen Reaktionen auslösen.“ Schürle kann sich dabei vorstellen, Bakterien abzutöten, bevor sie in den Körper eingebracht werden, aber auch lebende Bakterien einzusetzen.
Steuerung aus eigenem Antrieb
Wie bereits seit Langem bekannt, reichern sich bestimmte Bakterien, die ohne Sauerstoff auskommen, in Krebspatienten bevorzugt im sauerstoffarmen Gewebe von Tumoren an. Dieses Phänomen wurde aber in anderen Bakterien untersucht als denen, die Schürle und ihr Team verwendet haben. „Mittels synthetischer Biologie könnten die Vorzüge mehrerer Bakterienarten vereint werden“, betonen die Forscher. „So könnten Bakterien entstehen, die sich dank einem eigenen Antrieb mit Flagellen (Geisseln) dem Tumor annähern und die man mit magnetischen Kräften von außen gezielt tief ins Tumorgewebe befördern kann.“
Titelbild: Magnetotaktisches Bakterium, © Science Photo Library