WIEN, 24. November 2018 – Wie kann Technologie soziales Spiel zwischen autistischen und neurotypisch entwickelten Kindern unterstützen? Dieser Frage geht ein Forscherteam in einem Projekt zu assistiver Technologie an der Technischen Universität Wien nach. Der Ansatz ist unkonventionell: Die Kinder werden in den Gestaltungsprozess eingebunden.
Autistische Kinder reagieren positiv auf Technologien. Der Umgang mit Technologien fällt ihnen oft leichter als der Umgang mit Menschen, weil deren Komplexität leichter überschaubar ist. Diesen Umstand nutzt das Forscherteam um Dr. Christopher Frauenberger in der Human-Computer Interaction Gruppe an der Technischen Universität Wien (TU). In der Studie Social Play Technologies setzen sie digitale Technologien, um autistischen und nicht-autistischen Kindern gemeinsame Spielerfahrungen zu ermöglichen.
Sozialer Interaktion
Frauenberger ist Telematiker und beschäftigt sich schon seit seinem Doktorat an der Queen Mary University of London mit der Kommunikation behinderter Menschen. Im Doktoratskolleg entwickelte er eine Sensibilität für Körpersprache und Nonverbales.
Später, an der University of Sussex, war Frauenberger an der Studie Echoes II beteiligt. Es galt, eine virtuelle, soziale Interaktion lehrende Lernumgebung für autistische Kinder zu gestalten. In dieser Studie kam er erstmals mit partizipativem Design in Berührung. Das Prinzip zukünftige Nutzer in die Entwicklung von Produkten einzubeziehen, wurzelt in der skandinavischen Arbeiterbewegung. Im Technologie-Sektor wird es verwendet, um herauszufinden, welche Rollen Technologien im Leben spielen könnten und um Benutzern Teilhabe an der Gestaltung technologischer Zukünfte zu geben, erklärt Frauenberger.
In Echoes II fiel ihm auf, dass viele Dinge im Umfeld der Lernumgebung geschehen und nicht unbedingt in der Tutorenrolle. Daraus entstand seine Idee, offen in den Gestaltungsprozess zu gehen und zu sehen, welche Technologien entstehen. Das ist eine große Herausforderung an die Forschungsarbeit, soll jedoch zu einer verbesserten Lebensqualität von autistischen Menschen beitragen.
Gestaltungsprozess
Frauenberger: „In der assistiven Technologie geht es traditionell um das Ausgleichen von Behinderungen, wie dies etwa bei Hörgeräten der Fall ist. Wir wollen weg von der normativen Haltung der Mehrheit und dem Mantra ‚Wir reparieren Defizite’.“
Zur Anwendung kam diese Herangehensweise in seiner ersten Studie an der TU Wien, die von 2014 bis 2017 lief. Die Studie trug den Titel Outside the Box und stellte die Arbeit mit einzelnen autistischen Kindern dar. Das Forscherteam lernte, wie man diese Kinder einbinden kann. Zur Anwendung kamen Methoden wie Co-operative Inquiry, Digital Fabrication oder Schauspiel. Frauenberger: „Es war ein sich Kennenlernen, die Kinder in den kreativen Prozess einbinden und Konzepte entwickeln. Später wurden einzelne Konzepte beleuchtet, um zu dem Konzept zu kommen, das man realisieren will.“
Smarte Dinge
Im Nachfolgeprojekt Social Play Technologies baut das Forscherteam auf diesen theoretischen Grundlagen auf. Ziel der Studie ist die Entwicklung von Technologien, welche die soziale Interaktion von autistischen und typisch entwickelten Kindern unterstützen. Es sind nicht mehr nur einzelne Kinder in den Entwicklungs- und Gestaltungsprozess einzubeziehen, sondern Gruppen von Kindern. Die Gruppen bestehen aus vier bis sechs Kindern im Alter von sechs bis acht Jahren. Den Kindern wird eine freie Plattform für freies Spiel geboten, die sie frei interpretieren können. Der Fokus in der Entwicklung von Technologie liegt stärker auf sozialen Rollen als auf Spielzeug.
Emotionale Regulierung
In Gruppen gibt es verschiedene Vorstellungen von Ideen und es ist schwierig, einen Verhandlungsraum zu finden, erklärt Frauenberger: „Auch haben Kinder verschiedene Vorstellungen von sozialem Spiel. Manche mögen es, wenn alle laut sind und Spaß haben, andere brauchen mehr Struktur. Autistische Kinder haben oft ein Bedürfnis nach emotionaler Regulierung. Sie erleben soziale Situationen überfordernd und das wirkt sich auf ihre Vorstellung von erfolgreichem sozialem Spiel aus.“
Nach dem ersten Projektjahr haben sich aus den entwickelten Konzepten zwei Prototypen herauskristallisiert. Deren Designs werden gerade evaluiert. Die Auswirkungen der Technologie werden in den involvierten Gruppen und in Vergleichsgruppen getestet.
Soziale Situationen
In einem Projekt dachten die Kinder gemeinsam über Räume und Lichter nach. In der Umsetzung baute jedes Kind eine Struktur, die es partiell mit elektronischen Textilien mit integriertem LED verbaute. So entstanden beleuchtbare Höhlen und Verbindungsgänge. Jedes LED-Textil wurde von einem Stressball aktiviert, bzw. gesteuert, wobei jeder Ball eine andere Farbe erzeugte und sich immer auf alle LED-Textilien auswirkte, in denen sich die Farben mischten. Um Einigung über bestimmte Farbeffekte zu erzielen, brauchte es einen gemeinsamen Diskursraum zur Verhandlung.
In einem weiteren Projekt ging es um Bewegung und Musik. Die Kinder legten Platten im Raum auf, welche bei Betreten Aspekte der Musik steuern. Bewegen sich die Kinder auf den Platten, so bedarf es der Koordination, um gewisse Effekte wie etwa laut/leise oder an/aus zu erzeugen. Gleichzeitig ist die Struktur lose genug, um den Kindern Spielraum zu geben.
Beide Prototypen basieren auf Micro Controllers, das sind Halbleiterchips, die einen Prozessor und zugleich eine Peripheriefunktion enthalten. Diese sind über W-Lan oder Bluetooth verbunden. Beide Prototypen funktionieren über Drucksensoren: Diese aktivieren/steuern das LED-Licht bei den Stressbällen und die Musikaspekte bei den Platten. Im Musik-/Bewegungsprojekt sind in der Basisstation Lautsprecher integriert.
Outside the Box und Social Play Technologies sind vom Fond für wissenschaftliche Forschung gefördert.