Professor Margit Laimer ist es erstmals gelungen, eine 32.000 Jahre alte Pflanze in vitro zum Blühen zu bringen. Es handelt sich um die älteste Pflanze, die jemals rekultiviert wurde. Die Pflanzenzellen überlebten im Erdbau eines arktischen Ziesels im sibirischen Permafrostboden. Die Biotechnologin spricht von einem Glücksfall:
„Jetzt können wir untersuchen, wie sich das Genom dieser Pflanze in den vergangenen 32.000 Jahren verändert hat. Wir haben einen Punkt null – und können mit den heutigen Verwandten vergleichen.“
Die Forscherin hofft auf spannende wissenschaftliche Erkenntnisse und eine Antwort auf die Frage, wie die evolutionäre Entwicklung vor sich gegangen ist.
Die Samen sind die ältesten, die bisher aufgefunden wurden. Deren Entdeckung datiert in das Jahr 2005. Als sie dann im Labor von Svetlana Yashina von der Russischen Akademie der Wissenschaften in Pushchino eintrafen, war zunächst unklar, um welche Art Pflanzenart es sich handelt. Sieben Jahre später gelang es ihrem Team, die Pflanzen in vitro als Gewebekulturen zum Wachsen zu bringen. Nach Wien gelangte die Pflanze leihweise – im Zusammenhang mit einer Kunstausstellung im Museum für Moderne Kunst (MUMOK). Professor Laimer forscht am Institut für Molekulare Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur in Wien und hat die wissenschaftliche Garantie übernommen. Um sie am Leben zu erhalten, pflanzt man die Pflanze alle vier Wochen auf ein neues Nährmedium um. „Im Nährmedium befinden sich Nährsalze, Zucker und Hormone, welche die Pflanzen während des Wachstums aufbrauchen“, erklärt sie. Nach der Ausstellung beschlossen die Forscher ein russisch-/österreichisches Forschungsprojekt zu beantragen um die Pflanze gemeinsam zu beforschen. Seither steht die Pflanze im Labor von Professor Laimer an der BOKU in Wien, wo sie Ende Juni 2020 zur Blüte kam. Die Forscherin im Interview:
Als die russischen Forscher die Pflanze in vitro zum Wachsen brachten, waren ihnen die Samenarten unbekannt?
Ja, es ist ihnen gelungen, aus den unbekannten Samenarten die Silene stenophylla zu kultivieren, ein Nelkengewächs. Es gibt viele Arten von Silenen und die wissenschaftliche Benennung (Nomenklatur) ist noch nicht ganz sicher. Wir sehen die Silene als Vorreiter. Wir könnten auch noch andere Samen aus dem Erdbau in vitro zum Wachsen bringen. Jede Pflanzenzelle ist imstande, das gesamte Programm der Pflanze abzurufen und eine ganze Pflanze wachsen zu lassen. Diese Eigenschaft haben nur Pflanzen und man nennt sie Totipotenz.
Der Begriff geht auf den österreichischen Botaniker Gottlieb Haberlandt zurück, der 1902 an der Österreichischen Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften eine Schrift darüber veröffentlicht hat. Totipotenz bedeutet, dass die Pflanzenzelle ihr gesamtes genetisches Programm abrufen kann, wenn sie unter den richtigen Bedingungen gehalten wird. Der Beweis wurde allerdings erst 1939 erbracht. Haberlandt selbst hat das nicht zustande gebracht.
Was genau bedeutet Gewebekultur? Und warum ist es in dem Fall notwendig?
Das ist eine Technik, mit der wir unter genau kontrollierten Bedingungen Pflanzenzellen zum Wachstum anregen. Unsere Kollegen in Russland haben zum Beispiel gesagt: „Bilde eine Pflanze“ und wir haben gesagt „Bilde eine Blüte“. Würden wir die Pflanze etwa im Glashaus kultivieren, dann bestünden Gefahren wie etwa Pilzbefall, weil man die Bedingungen nicht so genau kontrollieren kann, wie in der Gewebekultur – oder in vitro.
Wie können wir uns die Gewebekultur vorstellen?
Das sind verschiedene Gefäße, die vollkommen steril sind und das Kultivieren von Pflanzenzellen unter kontrollierten Temperatur- und Lichtbedingungen ermöglichen. Allerdings muss man die Gewebekultur genau beherrschen, um aus einer Zelle eine neue Pflanze zu züchten. Das ist eine tolle Methode um genetische Ressourcen zu erhalten und Pathogene wie Viren und Phytoplasmen et cetera loszuwerden. Phytoplasmen sind Bakterienzellen, die sehr mobil sind, weil sie keine Zellwand haben, sondern nur von einer dünnwandigen Membran umhüllt sind. Sie können in Kulturpflanzen großen Schaden hervorrufen. Es gibt über 200 schädliche Phytoplasmen, die in Nutzpflanzen entdeckt wurden. Pflanzenkrankheiten in freier Wildbahn schaut sich die Forschung leider viel zu selten an.
Sie sagen, es braucht Fingerspitzengefühl und Erfahrung, um eine in vitro gezogene Pflanze zum Blühen zu bringen. Wie sind Sie zu dieser Erfahrung gekommen? Was ist ihr Zugang zum Thema?
Ich beschäftige mich schon seit meiner Dissertation mit den Techniken der pflanzlichen Gewebekultur und habe auch die Arbeitsgruppe Pflanzenbiotechnologie gegründet, um mit Gewebekultur zuerst virusfreie Pflanzen und später virusresistente Pflanzen zu erzeugen.
Was haben Sie in dem russisch-/österreichischen Forschungsprojekt vor?
Wir möchten im kommenden Jahre eine Expedition nach Sibirien machen, um neues Material zu holen und zu revitalisieren. Damit wollen wir spannende Dinge machen, wie eine Paleogenesis. Diese kennt man bisher nur von den Versuchen zur Revitalisierung von Mammuts.
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse können Sie theoretisch aus der Entwicklung des Genoms gewinnen?
Es ist spannend zu sehen, was die Klimaveränderung seither bewirkt hat aber die Pflanze nicht miterlebt hat. Die zeitgenössischen Verwandten haben es erlebt. Dadurch können sich Gene verändert haben, regulatorische Sequenzen oder die Genexpression verschiedener Organe. Wenn man züchtet, versucht man die Mutationsrate zu steigern, weil die natürliche Mutationsrate nicht ausreicht. Deswegen suchen Züchter sehr weit entfernte Verwandte. Würden sie sehr ähnliche Eltern zur Kreuzung verwenden, so hätten die Nachkommen die gleichen agronomischen Eigenschaften.
Wenn man feststellt, dass sich in dieser Pflanzenart so und so viele Nukleotide (Basen) verändert haben, dann kann man davon ausgehen, dass dies mit neuen Eigenschaften verbunden ist. Zum Beispiel Eigenschaften, die darauf hinweisen, dass es sehr kalt war, als die Pflanze gelebt hat. Das kann man mit unseren alpinen Pflanzen vergleichen, die durch die globale Erwärmung immer weiter hinaufwandern. Aus diesen Eigenschaften kann man schließen, wie sich Nachkommen an veränderte Bedingungen angepasst haben und welche Formen günstig oder ungünstig waren.
Welche Folgerungen auf den Klimawandel ließe dies zu?
Wie die Pflanze mit Klimawandel zurechtkommt. Aber das könnte man parallel auch mit unserer alpinen Pflanzen machen. Das kann man nur sehr langfristig untersuchen.
Welchen Forschungsfragen werden Sie nachgehen?
Wir sind erst dabei, diese zu formulieren und möchten sie noch nicht veröffentlichen.
Welche Forschungsmethoden wenden Sie an?
Wie werden die Gewebekultur erhalten, das heißt, wir werden die Pflanze nicht ins Glashaus setzen. Dann werden wir den Phänotyp charakterisieren, das sind die sichtbaren morphologischen Eigenschaften eines Organismus. Diese entstehen durch das Zusammenwirken von Erbanlagen und Umweltfaktoren. Die Untersuchung der genotypischen Eigenschaften zeigt uns die genetische Zusammensetzung eines Organismus, beziehungsweise die Kombination von Erbanlagen, die hinter einem Merkmal stehen. Dabei möchten wir die Veränderungen des Genotyps in der heute lebenden Pflanze im Vergleich zur Urzeitpflanze analysieren.
Wie lange wird die Forschung dauern?
Drei bis vier Jahre.
Welchen Wachstumszyklus haben die Silenen?
Die Silene ist eine mehrjährige Pflanze, die in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen älter als zwei Jahre wird. Aber durch vegetative Kultivierung in vitro ist sie konstant immer gleich und theoretisch unsterblich, sofern man sie regelmäßig auf ein neues Nährmedium überführt.
Das heißt, die Silene geht in vitro nicht mit den Jahreszeiten?
Ja, bei kontinuierlichen 24 Grad Celsius plus/minus zwei Grad wird es nicht zu Blattfall und Ruhephase im Winter kommen. Aber es ist wichtig, das Medium vorsichtig zu steuern und der Pflanze über Lichtbedingungen und Nährboden Schwankung zu vermitteln. Das ist keine tropische Pflanze, die bei konstant gleichen Temperaturen lebt. Aber alte Pflanzen wachsen schneller, wenn man ihnen Schwankung vermittelt.
Wie war das Klima zur Zeit der Urpflanze?
Jetzt über das Klima von vor 30.000 Jahren zu sprechen, liegt jenseits meiner Kompetenz. Aber es war sicher kalt. Sonst wäre das Mammut nicht behaart gewesen – und auch die Lage des Fundorts in Sibirien lässt auf Kälte schließen. Wenn wir die Expedition in die Fundregion unternehmen, möchten wir auch herausfinden, ob Angaben zum Klima möglich sind. Zum Beispiel vermutet man, dass der Erdbau des arktischen Ziesels verschüttet wurde, weiß aber nicht wie. Deshalb werden Geologen mit im Team sein. Das wird ein fächerübergreifendes Forschungsprojekt.