Cyanobakterien oder Blaualgen zählen zu den ältesten Lebensformen überhaupt und sind von großer ökologischer Bedeutung. In den letzten Jahren machten sie allerdings meist negative Schlagzeilen. Da einige Arten Gifte produzieren, können sie, wenn sie in großer Menge auftreten, bei Kontakt mit dem Wasser Hautausschlag, Durchfall, Erbrechen oder sogar Atemnot auslösen. Noch schlimmer können die gesundheitlichen Folgen sein, wenn das verseuchte Wasser getrunken wird.
Andererseits könnten einige Arten von Cyanobakterien gerade aufgrund der großen globalen Herausforderungen wichtig werden: Immer knapper werdende Ressourcen und Nutzflächen bei gleichzeitig wachsender Weltbevölkerung, Klimawandel und Rückgang der Artenvielfalt.
Großes Potenzial
Bestimmte Cyanobakterien haben nämlich großes genetisches Potenzial im Hinblick auf die Produktion von neuen Wirkstoffen und die Auslotung des Anwendungspotentials in der Biotechnologie. Ein Team von Wissenschaftlern unter Leitung von Dr. Paul D’Agostino an der TU Dresden hat für die Erschließung dieses Potenzials einen der begehrten Sequencing-Grants des Joint Genome Institutes (JGI) in den USA eingeworben.
Im Wissenschaftsjahr 2020/21 widmen sich die Forscher an der Professur für Technische Biochemie der TU Dresden in Kooperation mit Michelle Gehringer von der TU Kaiserslautern sowie Michael Lakatos und Patrick Jung von der Hochschule Kaiserslautern dem Thema Bioökonomie.
Dabei wollen sie diese ältesten, aber bisher wenig erforschten, Cyanobakterien genauer untersuchen. Von den insgesamt etwa 2.000 Arten wollen Dr. Paul D’Agostino, Professor Tobias Gulder und ihr Team 40 ungewöhnliche Cyanobakterien sequenzieren. Sie hoffen, dadurch „vielversprechende Ergebnisse und einen innovativen Beitrag zur Bioökonomie” leisten zu können.
Entdeckung neuer, bioaktiver Moleküle essenziell
„Mikroorganismen produzieren wertvolle organische Moleküle mit großem Anwendungspotential. Dabei ist wichtig zu wissen, dass ungewöhnliche Organismen oftmals auch neuartige, ungewöhnliche Wirkstoffkandidaten produzieren“, erläutert Gulder. „Die Entdeckung solcher neuen, bioaktiven Moleküle ist essenziell, denkt man zum Beispiel an medizinische Herausforderungen wie das neuartige Coronavirus und die fortschreitende Entwicklung von Resistenzen gegen etablierte Wirkstoffe. Im Rahmen dieses Projektes wollen wir daher das genetische Potential sehr ungewöhnlicher, bislang kaum erforschter Cyanobakterien zur Produktion von Wirkstoffen untersuchen.“
Als erstes wollen die Wissenschaftler eine Vorhersage des Naturstoffpotenzials treffen, indem sie die Genome sequenzieren und anschließend bioinformatisch analysieren. Im Anschluss daran könnten die Ergebnisse „durch moderne Methoden der synthetischen Biologie und Biotechnologie in die gezielte Entdeckung neuer Wirkstoffmoleküle übersetzt werden“, erklären die Forscher.
Als letzten Schritt des Projekts sollen diese natürlichen Wirkstoffe produziert und charakterisiert werden. Um nachhaltige, chemische Prozesse entwickeln zu können, konzentrieren sich die Wissenschaftler „auf die Anwendung der diese Verbindungen produzierenden Enzyme als Biokatalysatoren“.
Titelbild: Das Team unter der Leitung von Dr. Paul D’Agostino wird 40 symbiotische und seltene Cyanobakterien sequenzieren, um daraus neue Wirkstoffe sowie Anwendungen in der Biotechnologie abzuleiten. © Paul D’Agostino