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Laut Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden in Deutschland mehr als vier Millionen Menschen unter einer Depression. Und glaubt man Psychologen, könnte diese Zahl aufgrund der Corona-Beschränkungen in nächster Zeit noch bedeutend anwachsen. Schon jetzt schlägt aber die Standardtherapie bei etwa einem Drittel der Patienten nur unzureichend an, bei einem weiteren Drittel gar nicht. Als Ursache vermuten die Wissenschaftler individuelle Unterschiede des Gehirnstoffwechsels.

Bei schweren Depressionen und insbesondere bei einer akuten Selbstmordgefahr ist schnelle Hilfe aber unbedingt notwendig. Ärzte sehen in dem Medikament Ketamin, das seit kurzem als Antidepressivum zugelassen ist, eine mögliche Lösung für dieses Problem. Ketamin wurde ursprünglich als Narkosemittel entwickelt und greift biochemisch in die Informationsübertragung der Hirnzellen ein. Auf diese Weise kann auch die Lernfähigkeit des Gehirns verbessert werden.

„Wir gehen davon aus, dass bei den sehr schweren Depressionen traumatische oder Angsterfahrungen so tief ins Gedächtnis eingebrannt sind, dass sie nicht so einfach verlernt werden können“, sagt Professor Martin Walter, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Jena. „Ketamin kann das therapeutische Fenster für neue, positive Erfahrungen öffnen und so zusammen mit anderen Therapieformen die lähmende Erinnerung überschreiben helfen. Gerade bei suizidalen Patienten bedarf es außerdem schneller Linderung, die bisherige Medikamente meist nicht erbringen.“

Auf der Suche nach einem Prognosemarker für die Ketamintherapie bei Depression messen Prof. Dr. Martin Walter (r.) und Dr. Florian Götting vom UKJ die Hirn-Netzwerkaktivität im MRT. Foto: Michael Szabó/UKJ

Vor Risiken und Nebenwirkungen wird gewarnt

Allerdings ist auch Ketamin nicht der Stein der Weisen, denn nur etwa die Hälfte der Betroffenen spricht auf eine Behandlung mit diesem Wirkstoff an. Und auch die Nebenwirkungen, wie erhöhter Blutdruck oder vorübergehende psychose-artige Symptomen, erfordern oft weitere Behandlungen. Professor Walter hat nun gemeinsam mit Wissenschaftlern in Mannheim, Tübingen, Turku in Finnland und dem französischen Straßburg ein Forschungsprojekt gestartet, mit dem Ziel, einen Biomarker für das Ansprechen der Therapie mit Ketamin zu etablieren.

Im Rahmen einer klinischen Studie sollen Nutzen und Risiken des Medikaments individualisiert abgewogen werden. Die Forscher untersuchen dazu bei 100 Patienten, die an einer schwer behandelbaren Depression leiden, Stoffwechselparameter im Blut und im Gehirn sowie MRT-Bilddaten zur Netzwerkaktivität im Gehirn. Die Parameter werden einen Tag vor der und 22 Tage nach Beginn der Ketamintherapie erfasst und mit dem Verlauf der Behandlung korreliert.

So solle ein „multimodaler Marker entstehen, der anzeigt, ob ein Patient von der Therapie mit Ketamin profitieren wird“, erklären die Wissenschaftler. „Bei den Untersuchungen wird die funktionelle Netzwerkaktivität des Gehirns erfasst und in einer magnetresonanzspektroskopischen Messung auch die Konzentration des Botenstoffs Glutamat im Gehirn.“ Parallel dazu läuft eine weitere Studie im Tiermodell.

Weitere Studie zur Bestätigung der Ergebnisse

In bisherigen Untersuchungen zeigte sich bereits ein Einfluss von Ketamin auf die einzelnen betrachteten Signalwege und Stoffwechselprodukte. Darüber hinaus habe man laut Aussagen der Ärzte Veränderungen dieser Hirnbotenstoffe und der Netzwerkkommunikation im Gehirn mit Depression in Zusammenhang gebracht. „Wir nutzen modernste Verfahren der Proteomik und Neurobildgebung, um die physiologischen und molekularen Wirkungsmechanismen des Ketamins bei Depression besser zu verstehen. Anhand dessen wollen wir den oder die Parameter identifizieren, die als Biomarker helfen können, den individuellen Nutzen einer Ketamintherapie besser einzuschätzen“, so Prof. Walter.

Als nächster Schritt ist eine Studie mit zwei Patientengruppen mit unterschiedlichen Biomarkern geplant, um die Ergebnisse der ersten Untersuchung zu bestätigen. Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt und wird von der EU und dem BMBF im Rahmen des NEURON-Netzwerkes mit 800.000 Euro gefördert.