Neuromodulationsverfahren finden mehr und mehr Einzug in den klinischen Alltag. Die verbreitetsten Verfahren sind Neurofeedback bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bzw. beim Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) und die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) bei Depression. Wir beschäftigen uns im ersten Teil unserer zweiteiligen Übersicht mit dem Thema Depression und rTMS.
Was ist eine Depression? „Die ist doch depri“, heißt es schnell mal, wenn jemand traurig oder schlecht gelaunt ist. Hierbei muss es sich aber nicht um eine Depression im medizinischen Sinne handeln. Auch Trauer nach einem schlimmen Ereignis wie dem Tod eines geliebten Menschen, der Diagnose einer schweren Krankheit, einem erlebten Trauma oder dem Verlust der Arbeit, ist noch keine Depression. Erst wenn der Verlust an Lebensfreude und weitere Symptome wie innere Leere, Antriebslosigkeit, Müdigkeit und Verzweiflung länger als zwei Wochen andauern, spricht man von einer Depression. Oft leidet auch das Sozialverhalten der Betroffenen, sie ziehen sich beispielsweise von ihren Partnern, Familien und Freunden zurück oder können nicht mehr zur Arbeit gehen.
Menschen, die an einer Depression leiden, können sich in der Regel nicht selbst daraus befreien und sind auf therapeutische Hilfe angewiesen. Studien zufolge erkrankt einer von sieben Menschen einmal im Leben an einer Depression. Frauen sind doppelt so oft betroffen wie Männer, insbesondere wenn sie erblich vorbelastet sind und auch ein Elternteil bereits an Depression leidet bzw. in der Vergangenheit darunter litt.
„Leider hört man immer noch oft, es gebe die Depression eigentlich nicht.“, sagt Mag. rer. nat. Linda Wulf, Psychologische Psychotherapeutin im neuroCare-Therapiezentrum in München. „Sie ist so mannigfaltig in ihrer Entstehung und der Art und Weise, wie sie sich äußert, dass man unter dem Begriff Depression gar nicht mehr alles zusammenfassen kann. Eigentlich müsste der Begriff Depression bzw. Erkrankungsbild Depression daher in Unterbegriffe unterteilt werden.“
Die landläufige Behandlung von Depressionen mit Antidepressiva ist nicht immer von Erfolg gekrönt. Dank modernster Technik kann heutzutage auch Patienten geholfen werden, bei denen konventionelle Behandlungsmethoden an ihre Grenzen stoßen: beispielsweise durch eine Kombination aus Psychotherapie und repetitiver transkranieller Magnetstimulation (rTMS).
„Wir setzen repetitive transkranielle Magnetstimulation ein, wenn der Patient mit der führenden Diagnose einer Depression kommt und schon andere Interventionen der Primärtherapie ausprobiert hat“, erklärt Frau Wulf. „Zur Primärtherapie gehören die Behandlung mit Psychopharmaka, also Antidepressiva, und Psychotherapieverfahren wie zum Beispiel die kognitive Verhaltenstherapie. Wenn der Patient nicht ausreichend von dieser Primärtherapie profitiert hat, kann man als alternativen Heilversuch die Therapie mit einer repetitiven transkraniellen Magnetstimulation empfehlen.“
Wie wirkt die transkranielle Magnetstimulation (rTMS)?
rTMS stellt die interregionale Konnektivität im Gehirn wieder her. Bei dieser Behandlung wird mittels einer Magnetspule ein pulsierendes Magnetfeld im Stirnbereich des Patienten erzeugt. Die Wellen stimulieren dahinter liegende Gehirnareale. Die Kommunikation zwischen den Gehirnregionen, die mit Depression verbunden sind, wird auf diese Weise wieder ausbalanciert.
Aktuelle Studien zeigen, dass diese Behandlungsmethode bei 78 Prozent aller Patienten zu einem erfolgreichen Ergebnis führt. In München bietet das neuroCare-Therapiezentrum eine Kombination aus klassischer Psychotherapie mit rTMS an. Garantieren können die Therapeuten einen Erfolg aber nicht. „Das Problem ist, dass jeder Patient individuell auf verschiedene Behandlungsstrategien anspricht. Einige Patienten reagieren auf eine medikamentöse Behandlung sehr gut, andere profitieren von einer Psychotherapie.“, so Frau Wulf. „Man kann auch nicht pauschal für jeden Patienten sagen, dass er mit repetitiver transkranieller Magnetstimulation geheilt wird, denn sie wirkt nicht bei jedem gleich.“
Die rTMS-Therapie sei nicht nur für Menschen geeignet, die ihre erste depressive Episode haben und keine Psychopharmaka nehmen wollen, erklärt die Therapeutin. „Die Mehrheit der Patienten hat wiederkehrende depressive Phasen, man spricht in diesem Fall von einer rezidivierenden Depression. Sie haben oft schon viele Arztbesuche, Psychotherapien und Behandlungen mit verschiedenen Antidepressiva hinter sich. Wenn der Schweregrad der Depression nicht zu hoch ist, behandeln wir die Patienten ambulant. Liegt eine besonders schwere Depression vor, empfehlen wir allerdings einen Klinikaufenthalt. Daher arbeiten wir auch eng mit einem Oberarzt des Universitäts-Klinikums zusammen, der vor Beginn der Therapie eine Indikation für die Patienten stellt.“
Die Anzahl der Anwendungen variiert und wird individuell an den Patienten angepasst. In München kommen die Patienten meist zweimal pro Woche zu einer 50-minütigen Sitzung. „Um einen nachhaltigen Effekt zu erzielen, sind rund 20 Sitzungen erforderlich. Je nach Schweregrad der Depression kann man zu Beginn die Behandlungen auch in kürzeren Abständen durchführen.“, sagt Frau Wulf.
Wie läuft eine Behandlung ab?
„Eine rTMS-Therapie ersetzt nicht zwangsläufig die Medikamente“, betont Frau Wulf. „Wenn ein Patient mit einer bestehenden Medikation kommt, ist dies kein Ausschlusskriterium.“ Eine Kombination von Medikation und rTMS-Therapie ist durchaus sinnvoll und kann unter Umständen den Effekt sogar verstärken.
Grundsätzlich ist eine Kombinationstherapie von rTMS und Psychotherapie empfehlenswert. „Die rTMS wirkt vor allem frontal im Gehirn, Psychotherapie wirkt im limbischen System. Man könnte auch sagen, man greift von zwei Seiten an, um die Depression zu behandeln.“ Während der rTMS-Sitzung erhält der Patient einmal pro Sekunde einen Magnetpuls, während parallel dazu psychotherapeutische Gesprächstherapie stattfindet.
Neben der rTMS-Therapie gibt es auch andere Behandlungsverfahren, bei denen über Hirnstimulation die Verbesserung einer depressiven Symptomatik erreicht wird. „Bei der Elektrokrampf- oder Elektrokonvulsionstherapie (EKT) wird beispielsweise im Gegensatz zur rTMS-Therapie mit sehr hohen Stromstärken gearbeitet.“, erklärt Linda Wulf. „Dabei werden über eine Übererregung der Neuronen Krampfanfälle ausgelöst. Hierfür ist allerdings eine Narkotisierung des Patienten notwendig.“ Bei der rTMS-Therapie wird hingegen mit Magnetpulsen gearbeitet, weshalb die Behandlung bei vollem Bewusstsein durchgeführt werden kann. Als Nebenwirkungen können leichte Kopfschmerzen vorkommen, die allerdings vorübergehend sind.
Die schlechte Nachricht für alle Kassenpatienten ist, dass eine rTMS-Therapie aktuell nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird. Private Krankenkassen kommen jedoch meist für die Therapiekosten auf.
Fotos: neuroCare
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