Wenn Krebszellen sich im Körper ausbreiten, entstehen oft Tochtergeschwülste, sogenannte Metastasen. Diese verbreiten sich in Allgemeinen über zwei Wege. Einer führt über die Lymphgefäße, Lymphknoten und Blutbahnen in andere Organe, der andere direkt aus dem Tumor in die Blutbahn und dann weiter in den ganzen Körper. Diese Metastasen sind für fast 90 Prozent der Todesfälle bei Krebspatienten verantwortlich. Forschern des Paul Scherrer Instituts ist nun gemeinsam mit Kollegen des Pharmaunternehmens F. Hoffmann-La Roche AG ein großer Schritt auf dem Weg zur Entwicklung eines Medikaments gegen die Ausbreitung von Metastasen gelungen.
In den Zellen aller Wirbeltiere – also auch den Menschen – gibt es 20 verschiedene Chemokin-Rezeptoren, die mit mehr als 40 Signalproteinen, sogenannten Chemokinen, interagieren können. „Jedes dieser Signalproteine passt nur zu ganz speziellen Rezeptoren. Bindet eines der Signalproteine an einen Rezeptor, löst das wiederum Prozesse innerhalb der Zelle aus, die zu einer spezifischen zellulären Antwort auf das Signal führt“, erklären die Wissenschaftler.
Bei der Ausbreitung der Metastasen im Körper spielt in erster Linie ein spezielles Membranprotein, der Chemokin-Rezeptor 7 (CCR7), eine wichtige Rolle, der in der Hülle der Zellen, der Zellmembran sitzt. Dort kann er äußere Signale empfangen und diese in das Innere weiterleiten. Dieser Rezeptor CCR7 ist einer jener Rezeptoren, der die Bewegung von Zellen im Körper steuert und eine Kettenreaktion auslösen kann, sobald das passende Signalprotein außerhalb der Zelle an ihn bindet. Dann bewegt sich die Zelle in Richtung der höchsten Konzentration des Signalproteins und folgt „wie ein Spürhund“ der Spur der Chemokine. Auf diese Weise werden auch weiße Blutkörperchen, wichtigen Zellen des Immunsystems des Körpers, zu den Lymphknoten gesteuert.
Mit Hilfe dieses CCR7 finden also auch Krebszellen ihren Weg vom Tumor in das Lymphgefäßsystem und können so auch in anderen Organen und Körpergeweben Metastasen bilden, die dann wiederum die Sterblichkeit der Betroffenen drastisch erhöhen. Könnte man diese Metastasierung der bösartigen Zellen verhindern, würde die Überlebensrate von Krebspatienten signifikant steigen.
Ein Wirkstoff wird bereits in klinischen Studien getestet
Die Wissenschaftler haben deshalb mithilfe von Röntgenkristallografie an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI die Struktur des CCR7-Rezeptors entschlüsselt, da diese Struktur als Grundlage für die Suche nach entsprechenden Wirkstoffen diente, die die Ausbreitung von Krebszellen – wie beispielsweise bei Darmkrebs – über das Lymphgefäßsystem verhindern könnte. „Das passende Molekül kann verhindern, dass das Signalprotein an den Rezeptor koppelt und in der Zelle zu einer Reaktion führt“, erklärt Steffen Brünle, der als PSI-FELLOW-II-3i und einer der beiden Erstautoren die Studie durchführte, die in der Fachzeitschrift Cell veröffentlicht wurde.
Die Struktur des Rezeptors zu entschlüsseln sei eine echte Herausforderung gewesen. „Das Schwierige daran war, die Proteine überhaupt so herzustellen, dass wir sie röntgenkristallografisch untersuchen konnten“, so Jörg Standfuss, Co-Leiter des Projekts und der Arbeitsgruppe Zeitaufgelöste Kristallografie am PSI. Um den Untersuchungsprozess zu beschleunigen entwickelte Roche eigens neue proteinverändernde Technologiebausteine, sogenannte Kristallisations-Chaperone.
Dank der Informationen über die genaue Struktur des Rezeptors konnten die Forscher ein passendes Molekül identifizieren, das den Rezeptor blockiert und der kein Signal an die Zelle weitergeben kann. „Unsere Experimente zeigen, dass das künstliche Molekül im Inneren der Zelle an den Rezeptor bindet. Dadurch wird verhindert, dass die Kettenreaktion, die zur Zellwanderung führt, gestartet wird“, so Brünle.
In Computersimulationen haben die Wissenschaftler nach passenden Wirkstoffen gesucht, die zum Blockieren des Signalproteins geeignet sein könnten. Dabei haben sie fünf Substanzen als mögliche Kandidaten zur Weiterentwicklung potenzieller Krebsmedikamente identifiziert, von denen eine in der Pharmaindustrie bereits als potenzielles Medikament gegen Metastasierung in klinischen Studien getestet wird. Bisher ging man jedoch davon aus, dass er an einen anderen Rezeptor bindet, und daher eine andere Funktion der Krebszelle hemmt.