© Michael Schwarzenberger via Pixabay
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Ich schaue keine Nachrichten mehr in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern. Twitter bringt mich inzwischen dermaßen auf die Palme, dass ich hin und wieder sogar mit dem Gedanken spiele, mich aus allen sozialen Medien zu verabschieden. Jetzt fragen Sie sich, was passiert ist?

Ich bin vor 14 Tagen 62 geworden, habe also so einiges durch die Jahrzehnte mitbekommen. Von den Warnungen des Club of Rome in den 70er, von der Ankündigung einer neuen Eiszeit Anfang der 70er, der Friedensbewegung in den 80ern, der darauf folgenden Ökobewegung, dem NATO-Doppelbeschluss, Demonstrationen und „Straßenschlachten“ gegen AKW und das Endlager Wackersdorf und und und.

Die Welt ist nicht immer so, wie man sie empfindet

Was ich aus heutiger Sicht weiß: Ich irrte mich nicht nur einmal fundamental.  Beispiel NATO-Doppelbeschluss. Tatsächlich machte der erst den Fall des „Eisernen Vorhangs“ möglich. 

Ende der 70er hatten ich und viele andere Angst vor einem Atomkrieg, der die Menschheit dahinraffen würde. Endzeit-Thriller wie „Damnation Alley“ oder „Mad Max“ postulierten den Untergang der Zivilisation – hier nach einem Atomkrieg, da nach dem Niedergang der Zivil-Gesellschaft mit folgender klimatischer  Apokalypse. Und schließlich „Soylent Green“, das das Thema Überbevölkerung und Hunger eindrucksvoll behandelt.

Sprung in die Gegenwart – Klimakrise, Energiekrise, Verkehrsinfarkt

Mehr denn je scheint Ideologie den öffentlichen Diskurs zu beherrschen, gemäß dem Motto: was nicht sein darf, kann auch nicht sein. In Deutschland nennt man das die Bullerbü-Haltung, benannt nach dem Buch von Astrid Lindgren „Wir Kinder von Bullerbü“. Die gleichnamige Haltung ist ein Synonym für inzwischen naive Realtätsverweigerung, die sich überall in der Gesellschaft breit macht. 

Realitätsverweigerung

Und genau die scheint in Deutschland inzwischen ungeahnte Höhen zu erreichen – genauso wie die Energiepreise. Nur dass die Realitätsverweigerung vornehmlich bei Politikern und gestandenen Wissenschaftlern gewisser Institute vorherrscht, die Energiepreise hingegen die Bevölkerung nachhaltig in der Realität belasten.

Beispiel Energie: Durch 16 Jahre Merkel wurde eine geradezu hirnlose, man verzeihe mir diese Bezeichnung, Energiepolitik gefahren. Man begab sich in die Abhängigkeit Russlands mit Kohle, Öl, Gas und sogar Uranbrennstäben. Mithin finanziert Deutschland den jetzigen Status Quo und Ukrainekrieg. Man beschloss auch die AKW VOR den Kohlekraftwerken abzuschalten und schluderte beim Aufbau von Wind- und Solarenergie.

Das fällt den Deutschen jetzt auf die Füße

Statt pragmatisch vorzugehen, und die letzten verbleibenden AKW übergangsweise weiterlaufen zu lassen, finden deutsche Ampel-Politiker immer neue Entschuldigungen, warum Atomkraft nicht zur Lösung gehört. Wohl aber CO2-ausstossende Kohlekraftwerke. Das ideologische Narrativ ist: wir haben ein „Wärmeproblem und kein Stromproblem“. 

Im gleichen Atemzug erklären die selben Protagonisten, dass die Wind- und Solarkraft ausgebaut werden müsse. Und zwar zügig. D’accord, nur hier zählt das „Wärmeproblem“-Narrativ plötzlich nicht mehr.

Die Sonne schickt keine Rechnung

Das ist das zweite Narrativ, das mir inzwischen bohrend auf die Nerven geht. Natürlich kommt keine Rechnung von Sol. Trotzdem sind die deutschen Energiepreise die höchsten in Europa und wahrscheinlich sogar auf der Welt. Und das, obwohl uns (vor allem) Berliner Institute ständig erzählen, dass die kWh Solarstrom konkurrenzlos günstig sei.

CO2 spielt keine Rolle mehr

In dieser deutschen Krise, kulminiert durch den Ukrainekrieg, spielt der CO2-Ausstoss ohnehin keine Rolle mehr, denn man stürzt sich auf CO2-intensive Kohlekraftwerke. Sollte der Strom im Januar 2023 knapp werden – und das wird er, weil die letzten AKW vom Netz gehen und Wind und Solar in dieser Zeit kaum eine Rolle spielen – können wir Deutschen immer noch die Defizite durch Einkäufe bei unseren Nachbarn kompensieren. Beispielsweise Frankreich. Da stehen zwar die vielverschmähten AKW, aber die deutsche Weste bleibt weiß.

Blöd nur, dass die kWh in Deutschland inzwischen bis zu 450 g CO2 ausstösst, während die „dummen“ Franzosen nur um die 50-70 g ausstossen. Dumm sind sie, so die lautstarke Meinung gewisser Kreise, weil sie auf CO2-arme AKW setzen.

Gaslieferungen und Fracking

Seit dem Ukrainekrieg versucht Deutschland die russischen Gaslieferungen durch andere Quellen zu kompensieren. In aller Hast baut man provisorische Flüssiggasterminals, die dann US-Lieferungen (zu unglaublich hohen Preisen) löschen sollen. Gas, das aus Fracking gewonnen wird. Mithin sind die USA neben Russland die größten Kriegsgewinnler.

Deutschland hat Gasvorkommen, die die russischen Lieferungen kompensieren könnten, (neben den AKW, die abgeschaltet wurden) allein: Fracking ist hierzulande verboten. Von anderen nehmen wir natürlich gerne Fracking-Gas. Die deutsche Weste bleibt weiß.

Die moralinsauren Besserwisser

Verstehen Sie nun, warum ich, sagen wir es diplomatisch, ziemlich von der Rolle bin? Ich verstehe diese Deutschen nicht mehr. Bestimmte Deutsche wohlgemerkt. 

Zu guter Letzt ein Fun-Fact

Die Ampel möchte, dass die CO2-Emissionen dramatisch sinken. Sie wollen private Gasheizungen zugunsten der Wärmepumpe verbieten, den Verkehr lieber heute als morgen elektrifizieren, die Industrie dekarbonisieren und der Welt zeigen, dass Deutschland „verstanden“ hat. Der Strombedarf wird sich durch diese Vorgaben mehr als verdoppeln. Allein die Dekarbonisierung der Chemieindustrie führt zu einem Strom-Mehrbedarf der so hoch ist, wie der derzeitige Gesamtverbrauch im Land.

Günstiger, sauberer Strom ist aber ein Garant für Wohlstand. Was wir momentan in Deutschland erleben ist eine Wohlstandsvernichtung und eine damit verbundene Deindustrialisierung. Die kommt zustande durch Industrien, die dank der explodierenden Strompreise nicht mehr wettbewerbsfähig sind, entweder ihren Betrieb einstellen oder mittelfristig abwandern werden.

Was rege ich mich auf. Die deutsche Weste bleibt weiß.

Über diese Kolumne:

In einer wöchentlichen Kolumne, die abwechselnd von Eveline van Zeeland, Eugene Franken, Katleen Gabriels, PG Kroeger, Carina Weijma, Bernd Maier-Leppla, Willemijn Brouwer und Colinda de Beer geschrieben wird, versucht Innovation Origins herauszufinden, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Kolumnisten, die manchmal durch Gastblogger ergänzt werden, arbeiten alle auf ihre Weise an Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Bitte lesen Sie hier die bisherige Episoden.