Als am 13. September 2014 in Peking der Startschuss für eine revolutionäre, neue Rennserie fiel, wurde sie von eingefleischten Rennsportfans nur müde belächelt und als Rohrkrepierer abgestempelt: die Formel E. Eine Rennserie mit Autos, die kaum schneller waren als ein Straßensportwagen und deren Elektromotoren nur müde summten anstatt ohrenbetäubenden Lärm zu machen? Das kann ja nichts werden. Und was soll das überhaupt? Reicht es nicht, dass die Formel 1 2009 die erste Rennserie wurde, die mit dem KERS-System einen neuen Weg in puncto erneuerbarer Energien beschritten hat? Muss man denn jetzt gleich so übertreiben und mit reinen Elektromotoren fahren, die nicht einmal eine Renndistanz durchhalten?
Sicher, ein Großteil der langjährigen Renn- und Formel-1-Fans denkt wohl immer noch so, aber das ändert sich immer mehr. „Ich kann nicht in die Zukunft schauen, aber mit dieser Technologie im Hintergrund, sieht es so aus, als ob die Formel E die richtige Serie wäre, in der fahren muss – wenn man in die Zukunft sehen könnte“, sagte Ex-Formel-1-Pilot Nick Heidfeld schon bei der Formel-E-Vorstellung in London. „Jeder, mit dem man spricht, sogar die Sponsoren, scheinen sehr interessiert zu sein, weil die Serie viel umweltfreundlicher ist. Das ist auch der Grund, wieso ich sie mag, weil sie zu etwas ganz Großem werden kann.“
Ein „echter Racer“, der viermalige Formel-1-Champion Alain Prost, hat die Zeichen der Zeit gleich erkannt und betreibt seit Beginn sein eigens Formel-E-Team. Und der vierfache Champion ist nicht der einzige große Name, der zu finden ist. Andretti Motorsport aus den USA, SuperNova, DAMS oder auch Audi Sport Abt waren dort ebenso seit der ersten Stunde zu finden wie Richard Branson mit Virgin.
Letzterer wurde jedoch gerne als Negativbeispiel angeführt, dass die Formel E zum großen Teil aus Leuten bestand und zum Teil noch immer besteht, die in der Formel 1 gescheitert sind. In Saison 1 suchten eine ganze Reihe ehemalige Grand-Prix-Piloten ebenfalls ihr Glück bei den Elektroautos wie Jarno Trulli, Sébastien Buemi, Bruno Senna, Jaime Alguersuari, Lucas di Grassi, Karun Chandhok, Franck Montagny, Stéphane Sarrazin, Vitantonio Liuzzi, Jean-Eric Vergne, Charles Pic, Scott Speed, Justin Wilson, Takuma Sato und natürlich Nick Heidfeld.
„Natürlich hätten wir noch zehn Jahre warten können“
Zahlreiche Fans, die die Rennen der ersten vier Saisons verfolgt haben, zeigen sich mittlerweile aber geläutert und geben der Formel E eine Zukunft. Der größte Pluspunkt ist nun nicht mehr nur eine zukunftsträchtige grüne Technologie, auf die man ursprünglich den Hauptaugenmerk gelegt hatte. Die Formel E bietet nämlich richtig spannende Rennen, auch wenn es den Autos im Vergleich zur Formel 1 (noch) gewaltig an Leistung mangelt.
„Erinnern Sie sich, als die Mobiltelefone noch ein Kilo wogen? Auf dem Stand sind wir jetzt. Wir haben uns aber entschlossen, den Sprung zu wagen. Irgendwie fühlen wir uns wie Pioniere“, erklärte Serienchef Alejandro Agag 2014. „Wir haben uns entschieden, bevor die Technologie bereit war. Natürlich hätten wir noch zehn Jahre warten können, aber dann wäre uns jemand anders zuvorgekommen.“
Und die Entscheidung war offenbar goldrichtig. Seit dem ersten Rennen auf dem Gelände des Olympiaparks in Peking 2014 hat die Formel E immer mehr an Popularität gewonnen und trägt ihre Rennen auf eigens entworfenen Straßenkursen direkt in den Stadtzentren aus. Man will das Event zu den Zuschauern zu bringen, ohne lange Anfahrtswege zu Rennstrecken irgendwo im Nirgendwo. Im Laufe der Zeit standen neben Peking auch Weltmetropolen wie Paris, London, Rom, Berlin, Hongkong, Mexico City, Marrakesch, Santiago und auch New York City auf dem Rennkalender. Insbesondere letztere freute Alejandro Agag besonders. „Ich denke, wir haben unsere kühnsten Hoffnungen weit übertroffen. Die Serie hat sich unglaublich entwickelt”, betonte Agag vor dem ersten New York ePrix 2017.
„Die Botschaft aussenden, dass das Elektroauto eine Lösung für Mobilität in der Stadt sein kann”
„Als ich in Peking war, war es mein Traum, vielleicht im folgenden Jahr zurück zu kommen und weiterzumachen. Stattdessen sind wir gewachsen, wir sind hier, mit Manhattan im Hintergrund, in Brooklyn, an einem erstaunlichen Ort, an dem viele Leute versucht haben, ein Rennen auszutragen, aber nur wenige haben es geschafft”, spielte der spanische Unternehmer auf die vergeblichen Versuche der Formel 1 an, einen Grand Prix in New York auszutragen. Ex-Formel-1-Boss Bernie Ecclestone träumte nämlich bereits 2012 von einem Grand Prix von Amerika vor der Skyline des „Big Apple“ – ein Unterfangen, das die Königsklasse bis heute nicht geschafft hat zu realisieren.
Die Formel E und New York würden gut zusammenpassen, betonte Agag. Nicht nur, weil die Stadt das größte elektrische U-Bahn-Netz der Welt hat. „Wir vertreten beide dieselben Werte. Wir wollen Elektromobilität fördern. Wie wollen die Stadt reinigen. Wir wollen die Luftverschmutzung reduzieren. Und all das kann mit Elektroautos erreicht werden. Ich denke, das Symbol, die Formel E hier in der Stadt zu haben, wird das zeigen.”
Genau darum geht es nämlich bei der Formel E. „Die Botschaft aussenden, dass das Elektroauto eine Lösung für Mobilität in der Stadt sein kann und die Luftverschmutzung durch Elektroautos wirklich gesenkt werden kann. Das ist die Botschaft, die wir aussenden wollen.” Im Zentrum der Formel E stehen Werte wie Nachhaltigkeit, Effizienz und technologischer Fortschritt, für den die Serie der Automobilindustrie als Umfeld für die Entwicklung von Elektroautos diesen soll.
Aktuell sind bei den 13 Rennen in 12 Städten auf 5 Kontinenten 11 Teams mit 22 Fahrern am Start und die Meisterschaft zieht Motorsport-Teams und -Talente aus der ganzen Welt an. In Saison 5 sind insgesamt neun Hersteller an Bord – darunter Renault, Audi, BMW, Mercedes (aktuell noch als HWA), Jaguar, und Nissan. Die neuen Batterien stammen aus dem Hause McLaren Applied Technologies und die Zeiten, in denen die Fahrer wegen leerer Batterien gegen Rennmitte in ein anderes Auto umsteigen mussten, das voll aufgeladen war, sind seit Beginn der aktuellen fünften Saison auch vorbei.
Wie es mit der Formel E in ein paar Jahren aussieht, lässt sich momentan nur erahnen. Nimmt man den Ehrgeiz der Menschen, sich immer wieder auf neue Art und Weise miteinander zu messen, als Anhaltspunkt, könnte die Formel E durchaus die Zukunft sein und „etwas ganz Großes“ werden. Die Formel 1 muss sich auf lange Sicht wohl warm anziehen – trotz leise summender Elektromotoren der Formel E.
Konkurrenz für die Formel 1?
Nico Rosberg, Formel-1- Weltmeister 2016 hat auch „das immense Potenzial grüner Technologie“ erkannt und schon vor einigen Jahren in die Serie investiert. Er glaubt zwar nicht, dass die Formel E der Königsklasse komplett den Rang ablaufen wird, sieht in Elektromobilität aber die Zukunft, auch im Rennsport. „Die Formel 1 ist und bleibt die Spitze des Motorsports“, erklärte er vor Kurzem gegenüber der Sport Bild. „Das wird auch so bleiben. Und ich bin auch immer noch ein Riesenfan. Aber in Sachen Antrieb muss die Formel 1 sich irgendwann Gedanken machen. Noch nicht heute, aber in zehn Jahren. Wenn nur noch E-Mobilität verkauft wird, dann muss die Formel 1 im Zeitgeist bleiben und kann nicht auf einer Tangente weiter Verbrennungsmotoren fahren.“ Rosberg hält sogar eine Fusion beider Serien für möglich: „Die Formel E hat die Rechte an E-Motoren in Formel-Autos für die nächsten 20 Jahre. Deshalb kann ich mir eine Fusion beider Serien gut vorstellen. Sie haben ja auch den gleichen Besitzer. Das würde das Sinn machen. Nicht morgen, aber überübermorgen.“
In der Saison 2018/19, die eine neue Ära der Formel E einläutet, löst das Gen2-Auto seinen Vorgänger der ersten vier Saisons ab. Nun können die Boliden mit der doppelten Energiespeicherkapazität des Gen1-Autos die gesamte Renndistanz zurücklegen – ohne Autowechsel bei Rennmitte. Darüber hinaus haben die Autos seit der ersten Saison auch an Tempo zugelegt und beschleunigen mit 250 kW Leistung in 2,8 Sekunden von 0-100km/h, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 280km/h.
Einen genaueren Einblick in Saison 5 der Formel E und deren Technik gibt es in Teil zwei über die Formel E.
Titelbild © BMW