Gemeinde Schnifis (c) Gemeinde Schnifis
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In Österreich kann jeder Bürger Teil der Energiewende werden – das wurde im Juli 2021 mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) beschlossen. Es ermöglicht lokale Bürgerenergiegemeinschaften, die Strom privat erzeugen und innerhalb der Gemeinschaft nachbarschaftlich austauschen. Die Regierung möchte mit dem Gesetz den Ausbau von erneuerbaren Energien beschleunigen und will bis 2030 jährlich eine Milliarde Euro investieren. Gefördert werden Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft und Biomasse.

Demokratisierung

Ein besonders ambitioniertes Pilotprojekt lief in Schnifis in Vorarlberg, eine Gemeinde, die in einem schmalen Tal auf 657 Meter Seehöhe liegt. Hier betreiben Gemeinde, ansässige Betriebe und 30 Bürger eine erneuerbare Energiegemeinschaft, die mehr ist, als nur Stromhandel unter Nachbarn. Vielmehr sieht man in der erneuerbaren Energiegemeinschaft die Chance zur Demokratisierung der Stromerzeugung. Und tatsächlich konnte man sich auf ein Carbon Insetting einigen. Das heißt, die Teilhaber investieren in die Produktion des Stroms um diese schrittweise zu ökologisieren – und somit lokal klimawirksam zu machen. Die faire Verrechnung der zusätzlich entstehenden Kosten erfolgt über den kWh-Preis.

In diesem Modell wird der Strom in der eEG nicht billiger, aber er wird auch nicht teurer als bei den Netzbetreibern. Denn per Gesetz entfallen auf innerhalb von eEG gehandelten Strom verschiedene Abgaben und die Netzentgelte sind reduziert. Einsparungen gemäß EAG u EIWOG §§16b u c werden in Schnifis zur Ökologisierung der Lieferkette reinvestiert.

Glokaler Green Deal

Projektleiter Mátyás Scheibler spricht von einem glokalen Green Deal. Dieser wurde durch eine quasi Sektorenkopplung von Landwirtschaft und Energiewirtschaft möglich. Diese ermöglicht es, agrarökologische Synergieeffekte zu nutzen. Die Wirtschaft der 809-Einwohner-Gemeinde fußt wesentlich auf der Landwirtschaft. Ausgangspunkt für die erneuerbare Energiegemeinschaft (eEG) war ein Milchviehbetrieb, der eine Biogasanlage besitzt sowie eine Sennerei, bei der jährlich 2 Millionen Liter Molke anfallen – als Abfallprodukt. In der erneuerbaren Energiegemeinschaft wird Molke wieder zum wertvollen Rohstoff – als Inputsubstrat für den Betrieb der Biogasanlage. Die Molke wird mit der Gülle ko-fermentiert, wobei Biogas gewonnen und in einem Blockheizkraftwerk verstromt wird. Dieser Strom versorgt den Betrieb und die eEG, zu der auch die Sennerei gehört. Damit schließt sich ein energetischer Wirkungskreis.

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(c) pixabay – photosforyou

Die Gärreste aus der Biogasanlage sind reich an Nährstoffen und werden im Sinne einer regenerativen Landwirtschaft als natürlicher organischer Landwirtschaftsdünger verwendet. Bringt man Gärreste korrekt dosiert, bodenschonend und zur richtigen Zeit in die Böden ein, dann führt das zu einer Verbesserung der Bodenstruktur und einer Erhöhung des Humusanteils. Folglich können also die Gärreste von den Landwirten in Schnifis genutzt werden und zu  einer Verbesserung der Böden beitragen.

Kreislaufwirtschaft

Das ist es, was Scheibler an Biogas schätzt – die low-tech Möglichkeit einer wertvollen Kreislaufwirtschaft, die das Potenzial zur lokalen Kohlenstoffsenke hat. In der Biogasanlage Vergorenes hat genau die Menge an C02 gebunden, die bei der Verbrennung des späteren Biogases wieder freigesetzt wird. Biogas ist also eine erneuerbare Energiequelle, die CO₂ neutral ist. Im Fall der Landwirtschaft ist die involvierte graue Energie in Abzug zu bringen, wie etwas Sprit für Heubergung und Fütterung. Aber man könne immer noch von klimaneutral sprechen, so Scheibler. Für Biogas spricht auch, dass es nicht wetterabhängig ist. Dadurch kann es Schwankungen im Stromnetz ausgleichen, die durch die Photovoltaik entstehen.

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Reduktion der Treibhausgase

Wichtig sei allerdings, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, so Scheibler. Denn in der Biogasoffensive der Nullerjahre habe man die wirtschaftliche Stromerzeugung in den Vordergrund gestellt. In der Folge haben Mais und andere Energiepflanzen im östlichen Voralpenraum und Teilen Deutschlands zu Energiepflanzen-Monokulturen geführt, so der Biologe und Experte auf dem Gebiet der Biogasanwendungen für Güllebetriebe im Alpenvorland. Zudem galten reine Gülle-Biogasanlagen lange als unwirtschaftlich. Jetzt ist es aber gerade die Gülle, die den Weiterbetrieb von bestehenden Biogasanlagen sichern soll. Denn die energetische Nutzung von Festmist und Gülle trägt maßgeblich zur Reduktion der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen bei. Durch den Vergärungsprozess können Methan- und Lachgasemissionen, die bei der Wirtschaftsdüngerlagerung unweigerlich auftreten, stark reduziert werden.

Womit auch die vielleicht größte Umweltleistung beschrieben wäre, mit welcher die Landwirte in Schnifis zur ökologischen Stromproduktion beitragen. Denn die Biogasanlage kann sowohl mit Molke als auch mit Gülle betrieben werden. Zusätzlicher Vorteil der Biogasanlage: Die vergorene Gülle führt zu einer deutlich geringeren Geruchsbelästigung für die Dorfeinwohner.

Darüber hinaus bieten die Landwirte ihre individuellen Wege zur Treibhausgas-Reduktion an. Niemand gibt ihnen etwas vor. Die Aufnahme ins Umwelt- und Klima-Portfolio der eEG Schnifis wird jährlich verhandelt. Ein Beispiel für eine ökologisierende Maßnahme ist etwa das Tierfutter.

Klimaschutz messbar machen

Die Szenarien zur Treibhausgas-Reduktion wurden maßnahmenspezifisch quantifiziert und preislich auf die erzeugte Strommenge umgelegt. Um die Güte der Umwelt- und Klimaleistungen bescheinigen zu können, etablierte die erneuerbare Energie Gemeinschaft zwei niederschwellige Qualitätssicherungsprozesse, die auch für kleine landwirtschaftliche Unternehmen gangbar sind: das Ökoprofit Modell und die Wiesenmeisterschaft.

Die Wiesenmeisterschaft ist ein Wettbewerb der Bewirtschafter standortgerecht genutzter Wiesen. Diese wird durch die Abteilung Umwelt- und Klimaschutz des Landes Vorarlberg organisiert und vom Vorarlberger Naturschutzrat unterstützt.  

Das Ökoprofit Modell (Ökologisches Projekt Für Integrierte Umwelt-Technik) ist ein Modell zur nachhaltigen Entwicklung einer Region. Es führt Betriebe in die Prinzipien  eines vorsorgenden betriebsspezifischen Umweltschutzes – Cleaner Production – ein und befähigt diese ein Umweltprogramm zu entwickeln, das kontinuierlich verbessert wird. Gleichzeitig bietet das Modell eine solide Basis für die Kooperation zwischen Kommune und örtlicher Wirtschaft.

Verrechnung

Zur Verrechnung von Stromproduktion und Stromkonsum wurden bei allen Teilnehmern der erneuerbaren Energiegemeinschaft intelligente Stromzähler – sogenannte Smart Meter -installiert. Die Verbindung zum Smart Meter des lokalen Netzbetreibers wurde mittels Sensor der Firma Cuculus hergestellt. Diese Verbindung ermöglicht es, Echtzeitdaten des Zählers auszulesen und über das WIFI Netzwerkes des Haushaltes, in eine Cloud zu senden. Die Daten werden im Viertelstundentakt geliefert. Für die Stromaufteilung unter den Prosumern wurde ein dynamischer Aufteilungsschlüssel entwickelt. Die User können die Daten von Einspeisung und Bezug auf einer Onlineplattform in Echtzeit verfolgen – und bekommen Tipps für einen smarten Energieeinsatz.

Die Software as a Service (SaaS)-Plattform wurde gemeinsam mit dem ETH-Spin-off Exnaton entwickelt. Wobei im Pilot zwei Lieferansätze abgebildet wurden: one-to-many und many-to-many. Ab Herbst 2022 ist jeder Netzbetreiber in Österreich in der Lage many-to-many zu realisieren.  

Projektteilnehmer:

Landwirt Familie Stachniss, Land Vorarlberg, illwerke vkw, Energieinstitut, Fachhochschule Vorarlberg

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