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Ein ver-rücktes Jahr geht zu Ende. Nichts war in diesem Jahr normal – zumindest seit Februar nicht. Covid-19, ein einfacher DNA-Schnipsel, hat alles auf den Kopf gestellt. Kleiner geht es in der Natur kaum noch. Eine größere Auswirkung auf unsere Welt, die Menschen, die Wirtschaft und politische Systeme ist kauf vorstellbar. Wie viele andere auch, so habe auch ich schon lange vor Covid-19 damit gerechnet, dass sich die boomende Weltwirtschaft irgendwann wieder abkühlen würde. Ausgelöst durch überhitzte Märkte, die Pleite eines sehr großen Unternehmens oder politische Turbulenzen. Nichts der Gleichen.

Ein kleiner Virus sorgt dafür, dass die Welt, so wie wir sie gekannt haben, zumindest zeitweise stehen bleibt und damit in ihren Fundamenten erschüttert und verändert.
Viele Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten unseres Alltags waren plötzlich nicht mehr möglich. Reiseverbote, Homeoffice, Beschränkungen beim Einkaufen, Kontaktverbote – vieles, von dem, was wir noch vor einem Jahr als selbstverständlich und unantastbar angesehen haben, war plötzlich untersagt.

Die Sicherheit ist plötzlich nicht mehr da

Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten geben uns Sicherheit. Wir verlassen uns darauf, dass Dinge so passieren, wie wir sie geplant haben, und wenn sie dann auch so eintreten, dann fühlen wir uns bestätigt – als sicher. Das galt für viele Bereiche. Und es gilt für viele Bereiche nicht mehr. Die Sicherheit im Außen ist plötzlich nicht mehr da. Rechte werden eingeschränkt (z.B. Reisefreiheit), menschliche Bedürfnisse werden eingeschränkt (z.B. soziale Kontakte) und unsere Regierungen scheinen (teilweise) mit dem Umgang überfordert und unsicher. Unternehmen spüren dies, wenn langjährige Kunden plötzlich Insolvenz anmelden, Lieferketten zusammenbrechen und MitrbeiterInnen anstatt im Büro plötzlich im Homeoffice arbeiten (müssen). Wenig blieb 2020 so wie es war.
Wir Menschen brauchen Sicherheit, Routinen und Gewohnheiten. Unternehmen im Übrigen auch. Ohne Strukturen und Prozesse können Organisationen nicht bestehen. Ohne Routinen und Gewohnheiten wären Menschen kognitiv überfordert. Unser Gehirn ist nicht darauf ausgelegt, laufend neue Entscheidungen treffen zu müssen. Wir bedienen uns Handlungs- und Denkmuster, die sich bewährt haben. Gleiches tun Unternehmen. Sie etablieren Strukturen und Prozesse, mit denen sie erfolgreich sind. Was passiert, wenn diese zusammenbrechen und nicht mehr funktionieren. Es entsteht Chaos, weil die MitgliederInnen einer Organisation nicht mehr wissen, was und wie sie ihre Aufgaben erledigen sollen. Und für Menschen bedeutet dies, dass sie sich nicht mehr auf Äußerliches verlassen können, dass Äußerlichkeiten keinen Wert mehr haben und keine Orientierung mehr bieten.

Auseinandersetzung mit uns selbst

Wenn Sicherheit oder Orientierung eines der wesentlichen Grundbedürfnisse von uns Menschen sind, wo können wir diese finden, wenn sie im Außen nicht mehr da sind. Wir müssen uns auf uns selbst besinnen. Wer sind wir? Was können wir? Was brauchen wir? Und was wollen wir? Covid-19 zwingt uns zur Auseinandersetzung mit uns selbst, weil wir die Sicherheit wieder in uns selbst und nicht in Äußerlichkeiten finden müssen. Covid-19 zwingt Unternehmen aufgrund sich veränderter Rahmenbedingungen in Frage zu stellen und zu prüfen, was ihre wirkliche Existenzberechtigung ist.
Wer bin ich? Was sind meine Werte? Was ist meine Identität? Wofür stehe ich aus einer inneren Überzeugung heraus?
Was kann ich? Welches sind meine Fähigkeiten, Kompetenzen und Erfahrungen, die mich ausmachen?
Was will ich? Was will ich im Grund meines Herzens wirklich für mich tun? Welche Arbeit macht mir Freude und schenkt mir Erfüllung?
Was brauche ich? Wie steht es um meine Grundbedürfnisse Autonomie, soziale Bindung und Selbstwirksamkeit aus?

Die besten Voraussetzungen für Innovation.

In einer ver-rückten Welt steht vieles nicht mehr an dem Platz, wo es einmal war. Covid-19 zwingt uns zur Langsamkeit, zur Reflektion und Neuorientierung. Die besten Voraussetzungen für Innovation.
Im ersten Schock im Frühjahr dieses Jahres haben sich viele erst einmal gewünscht, dass wir möglichst schnell wieder aus der Krise zurück in die „Normalität“ kommen. Verständlich. Aber war diese „Normalität“ wirklich so gut, dass wir zu ihr zurückwollten? Dieses Jahr hat viele Menschen, UnternehmerInnen, MitarbeiterInnen, PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen usw. die Möglichkeit dazu gezwungen, langsamer zu werden und darüber zu reflektieren, wie Covid-19 die Grundlage für eine bessere, gesündere, gerechtere, klimaneutralere, glücklichere Welt werden könnte.
Innovationen sind kein Selbstzweck. Vielmehr dienen sie dazu, erkannte Fehler und Missstände in Unternehmen und Gesellschaft, in der Technik und bei uns Menschen zu beheben. Es liegt an uns, ob wir die Chancen, die in dieser Zeit und ihren aufgebrochenen und ver-rückten Strukturen stecken für eine bessere Welt nutzen.
Frohe Weihnachten.

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