Die medizinische Anwendung von Substanzen aus dem Alpenedelweiß hat in der Volksmedizin schon eine lange Tradition. Der Pharmazeut Hermann Stuppner von der Universität Innsbruck forscht an wissenschaftlichen Belegen für deren Wirkung. Er konnte bereits über sechzig Einzelsubstanzen beschreiben – darunter auch die zwei bislang unbekannten Stoffe – Leoligin und Edelweiß-Säure.
Die jüngste Entdeckung ist die Substanz Leoligin, welche der Forscher in der Wurzel der Pflanze entdeckte. Wie Versuche zeigten, beeinflusst Leoligin das Dickenwachstum der Gefäßwände. In dieser Eigenschaft könnte es bei verstopften Arterien eingesetzt werden. Bis dato hat die Medizin zwei Möglichkeiten, verstopfte Arterien beziehungsweise Arterienverkalkung zu therapieren:
- das Einsetzen eines Stents, welcher das Gefäß aufweitet;
- das Ersetzen des verstopften Gefäßes durch eine Beinvene;
Problematisch an diesen Therapien sei allerdings, dass das Dickenwachstum der Gefäßwand innerhalb relativ kurzer Zeit wieder zunimmt. So könne es innerhalb eines Jahres wieder zu einer signifikanten Beeinträchtigung des Durchflusses durch das Gefäß kommen, so Stuppner. Hingegen könnte die Anwendung von Leoligin vielen Patienten eine langfristig wirksame Therapie vermitteln.
Leoligin hat regenerierende Wirkung
Den Forschern ist es bereits gelungen, Leoligin synthetisch im Labor herzustellen. Damit wurde der Weg in die industrielle Produktion als Medikament bereitet. Zusätzlich wurden noch an die hundert Derivate hergestellt. Das sind Verbindungen, die dem Leoligin strukturell ähnlich sind, um so die Wirkung dieser Verbindung noch zu steigern. Entsprechende Untersuchungen sind noch im Gange.
Bereits in vorangehenden Studien wurde belegt, dass Leoligin zur Behandlung von Herzinfarktpatienten eingesetzt werden kann. Im Tiermodell wurde die Substanz direkt in den Herzmuskel injiziert und bewirkte eine Regeneration der Herzmuskelzellen. An der Studie waren Experten von sechs österreichischen Universitäten beteiligt. Im Folgeprojekt soll der Wirkstoff zur Nutzung in den klinischen Alltag gebracht werden. Nähere Informationen dazu finden Sie unter diesem Link.
Edelweiß-Säure ist antibakteriell und entzündungshemmend
Die medizinische Anwendung von Substanzen aus dem Alpenedelweiß hat in der Volksmedizin schon eine lange Tradition. Extrakte aus verschiedenen Pflanzenteilen werden zur Behandlung von Bauchschmerzen, Erkrankungen der Atemwege und Herzkrankheiten eingesetzt – vor allem aber gegen Ruhr und Durchfall, erklärt Stuppner. In einem ersten Ansatz untersuchte er das Alpenedelweiß deshalb nach antibakteriellen und entzündungshemmenden Eigenschaften. Meist sind es Entzündungen und Bakterien, die Durchfallerkrankungen auslösen.
Dabei gelang es ihm, einige Verbindungen, Substanzen und Naturstoffe zu isolieren, die antioxidative Aktivität aufweisen. Darunter waren viele Flavonoide. Weit aufregender war jedoch die Entdeckung der Edelweiß-Säure, eine bisher noch nicht bekannte Substanz, die in den weißen Hochblättern, den Brakteen, enthalten ist. Dort kommt die Edelweiß-Säure in relativ großen Mengen vor. Die Forscher fanden bis zu acht Prozent davon.
„Die Edelweiß-Säure ist ein relativ einzigartiges Molekül und weist eine der stärksten antioxidativen und Radikalfängereigenschaften auf – im Vergleich zu anderen Naturstoffen. Das ist sicher eine Komponente, die für die Gesamtwirkung des Extraktes im Hinblick auf die Entzündungshemmung verantwortlich ist.“ Hermann Stuppner
Leoligin und Edelweiß-Säure sind bereits patentiert, aber noch nicht in medizinischen Produkten verfügbar. Zur Marktfähigkeit sind weitere Untersuchungen notwendig, wie etwa toxikologische Studien am Menschen.
Österreichische Arzneipflanze des Jahres 2019
Stuppner forscht bereits seit zwanzig Jahren an der medizinischen Wirkung des Alenedelweiß. 2019 ist ein besonderes Jahr für ihn: Die Pflanze wurde von der Herbal Medicinical Products Platform Austria (HMPPA) zur Österreichischen Arzneipflanze des Jahres gewählt. Pflanzen, denen dieser Status zuteil wird, erfüllen höchste Qualitätskriterien.
Die HMPPA ist ein wissenschaftliches Netzwerk, das auf die Erforschung und Entwicklung von Naturstoffen und pflanzlichen Arzneistoffen abzielt. Gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft sollen Erkenntnisse nach aktuellsten wissenschaftlichen Standards umgesetzt werden.
Um das Alpenedelweiß in der Pharmazie nutzbar zu machen, wurde dieses in der Schweiz bereits domestiziert. Die so entstandene Sorte Helvetia wird in sonnigen Berglagen in der Südschweiz systematisch angebaut. Deren Vorteile liegen in homogenem Wuchs und Wirkstoffgehalt, gleichzeitiger Blüte und gutem Ertrag.
Interdisziplinäre Forschung
Um einzelne Wirkstoffe zu isolieren, zu identifizieren und zu beschreiben, arbeitet Stuppner fächerübergreifend mit verschiedenen anderen Forscherteams zusammen. Im ersten Schritt werden Pflanzenstoffe von gezüchteten Alpenedelweiß getrocknet und zerkleinert. Mithilfe eines Lösungsmittels wie etwa reinem Alkohol werden die Substanzen aufgenommen. Anschließend wird der Alkohol durch Vakuumdestillation schonend verdampft. Zurück bleibt das Konzentrat der Pflanzeninhaltsstoffe. Dieses wird zunächst in relativ einfachen Modellen getestet. Zum Beispiel sind es Mikrotiterplatten, welche die Testung auf antibakterielle Aktivität ermöglichen. Weiters versucht man einzelne Bestandteile aus dem biologisch aktiven Extrakt zu isolieren und jene Komponenten zu finden, die eben für diese Aktivität verantwortlich sind. Das Pflanzenextrakt ist ein komplexes Stoffgemisch. Um einzelne Komponenten in Reinform zu erhalten, werden verschiedene Trennverfahren angewandt, wie etwa Säulenchromatographie.
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