(c) GDJ - Pixabay
Author profile picture

Künstliche Intelligenz könnte Menschen mit Demenz wieder selbstständiger werden lassen. Ein auf einem Sensornetzwerk basierendes elektronisches Gerät soll die Betroffenen in Verwirrtheitsphasen an ihre Vorhaben erinnern.

Von Demenz spricht man, wenn es zu einer Beeinträchtigung von kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten kommt. Kennzeichnend ist der Verlust von Denkfähigkeiten, die bereits im Lebensverlauf erworben wurden. Im Alltag von Betroffenen äußert sich dies unter anderem durch Vergesslichkeit und Desorientierung. Sie sind auf Hilfe in ihrer Umgebung angewiesen. Derzeit leiden in Österreich rund 115.000 Menschen an Demenz. Heilung gibt es bisher noch keine. Die Forschung wendet enorme Anstrengungen auf, um neue Fortschritte bei der Diagnose und Therapie zu machen.

Neu fokussieren

Wissenschafter an der Johannes Kepler Universität (JKU) forschen an einem System das Betroffene wieder selbstständiger machen soll – indem es Zustände akuter Verwirrtheit erkennt und das Kurzzeitgedächtnis unterstützt – mit einer automatisierten Erinnerung, welche die Patienten erneut fokussiert.

Das Sensornetzwerk zur Exploration von Demenz (SENEX) könnte in der Praxis so funktionieren: Jedes mal wenn der Patient etwas machen möchte, spricht er es laut aus. Er sagt zum Beispiel: „Ich werde jetzt zum Bäcker gehen.“ Ein elektronisches Gerät zeichnet die Äußerung automatisch auf. Der Patient muss diese Funktion nicht aktiv auslösen. Wenn der Patient auf dem Weg zum Bäcker in eine Phase der Verwirrtheit gerät, erkennt dies das Sensornetzwerk. Die Audio-Aufnahme wird automatisch abgespielt und der Patient kann wieder auf den Bäcker fokussieren.

Sensornetzwerk

Bevor die automatisierte Erinnerung Realität werden kann, muss allerdings erst erkannt werden, was sich im Körper ändert, wenn eine Verwirrtheitsphase einsetzt. Zur Sammlung von Daten läuft derzeit eine Studie im Kepler Universitätsklinikum Linz. Die Probanden werden mit einem Sensorennetzwerk ausgestattet: Eine Brille mit vier Infrarotkameras registriert Pupillenweite und –bewegungen. Beschleunigungssensoren an Kopf und Füßen erfassen die Kopf- und Gehbewegungen. Myoelektrische Armbänder an den Unterarmen messen Muskelkontraktionen, ein Sensor auf der Brust verfolgt Atmung und Herzfrequenz und eine Smart Watch am Handgelenk erfasst unter anderem den Hautwiderstand. Insgesamt sind es sechzig Sensorsignale, die aufgezeichnet werden.

In der Studie werden die Probanden durch das Klinikum zu einem Untersuchungsraum geführt und sollen dann selbstständig den Weg zurück finden – begleitet von einem Projektmitarbeiter, der diese beobachtet und Phasen der Verwirrtheit zeitlich erfasst. Aufgrund dieser Notizen versucht man später am Computer die auffälligen Messungen zu finden. Die Auswertung der Daten des Senex Sensors erfolgt in Kooperation mit dem Linz Institute of Technology.

Erste Erkenntnisse

Studienleiter Wolfgang Narzt vom Institut für Wirtschaftsinformatik, Bereich Software Engineering, an der Johannes Kepler Universität berichtet in der Kepler Tribune (1/19) von den ersten Erkenntnissen. Demnach seien bei zunehmendem Demenzgrad in den Verwirrtheitsphasen bestimmte Muster zu erkennen. Zum Beispiel komme es zu einer gesteigerten Herzfrequenz, einer Erweiterung der Pupillen und zu einem bestimmten Gangmuster. „Die Hinweise sind allerdings so komplex, dass ein oder zwei Sensoren lange nicht ausreichen, um eine Verwirrtheitsphase zu identifizieren“, so Narzt. Er forscht gemeinsam mit Tim von Oertzen, Vorstand der Klinik für Neurologie des Kepler Universitätsklinikums und dem Industriepartner Sew Systems.

Maschinelles Lernen

Einzelne Sensorergebnisse müssen also immer in Zusammenhang mit anderen interpretiert werden. Die Trefferquote zum Identifizieren von Verwirrtheitsphasen steige mit der Anzahl an parallel betrachteten Signalen. Das System erkenne solche Zusammenhänge zunehmend, so Narzt. Wenn die Sensoren zum Beispiel registrieren, dass der Patient eine Treppe hinaufsteigt, ist die gesteigerte Herzfrequenz nicht als Verwirrtheitsphase zu deuten.

Mit jedem Versuch lernt SENEX dazu, auch mit Methoden des sogenannten Deep Learning, einer Reihe von Algorithmen, die dem menschlichen Gehirn nachempfunden sind. Wenn das System ausgereift ist, kann auch die Idee mit der automatisierten Erinnerung umgesetzt werden.

Neues Diagnoseverfahren

In den meisten Fällen tritt Demenz erst im fortgeschrittenen Alter auf. Die Grenzen zwischen Senilität und beginnender Demenz sind in den Anfängen fließend. Die Diagnose ist nach wie vor schwierig und mit langwierigen Ausschlussverfahren verbunden. Im Fall der Lumbalpunktion ist diese auch unangenehm und riskant. In einem weiteren Forschungsprojekt an der JKU will Martin Kaltenbrunner, Dozent für Soft Matter Physics ein neues Verfahren zur Diagnose von Alzheimer entwickeln. Kaltenbrunner will die auf Alzheimer hinweisenden winzigen Proteinkonzentrationen in der Blutprobe erkennbar machen. Mit einem Maß von 0,001 Pikomol sind diese für herkömmliche Verfahren unter der Nachweisgrenze.

In dem neuen Verfahren werden aus einem Tropfen Blut durch ein elektrisches Feld Mikrotropfen herausgelöst und auf eine hochsensible, mit Biomarkern bestückte Oberfläche geworfen. Die Biomarker erkennen spezifisch nur die Alzheimerproteine. Weil in kurzer Zeit viele Mikrotropfen auf die Oberfläche geworfen werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Protein an einem Biomarker hängenbleibt. Im Labor funktioniert die Analyse bereits. Das Projekt läuft unter dem Titel Sensapp und wird auch von der Europäischen Union gefördert.

 

Auch interessant:

LMU-Studie: Defekte Immunzellen im Gehirn lösen Alzheimer aus

Neue Therapien gegen Atherosklerose und Alzheimer-Demenz möglich

Gratwanderungen: Künstliche Intelligenz in der Medizin