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Sharing ist eine gute Sache. Da braucht es nicht das eigene Auto, den eigenen Motorroller oder, wie nun bald auch in Deutschland, den eigenen E-Roller. Einfach sich bei der entsprechenden App anmelden, Vehikel freischalten und schon kann’s losgehen. Dem bequemen Cruisen durch die Stadt steht nichts mehr im Weg. In vielen europäischen Städten sind die Roller bereits sehr verbreitet.

E-Roller nerven viele

Was so einfach klingt, bringt aber auch viele Menschen auf die Palme. Die Bewohner von Paris beispielsweise. E-Roller gehören hier schon seit Längerem zum Verkehrsgeschehen. Die praktischen, zusammenfaltbaren Roller sind fix und wendig. Da ist es für manchen E-Roller-Fahrer in der französischen Hauptstadt auch kein Problem mitten im Stoßverkehr – und den gibt es dort fast rund um die Uhr – sich gegen Lastwagen, Autos, Motorräder und andere Verkehrsteilnehmer durchzusetzen. Vielleicht wäre gegen sie zu kämpfen der bessere Ausdruck dafür.

Rücksichtslos

Wer erst kürzlich in Paris war, wird schnell merken, dass E-Roller-Fahrer in der Stadt der Liebe entweder völlig verrückt sind oder nahezu lebensmüde. Viele Fahrten mit den elektrischen Rollern gleichen Himmelfahrtskommandos. Sei es gegen Lastwagen auf einer dreispurigen Straße anzutreten. Oder rasch mal über den überfüllten Gehsteig vor dem Eiffelturm durch die Touristenmassen zu düsen. Für E-Roller-Fahrer kein Problem. Für andere Verkehrsteilnehmer ein riesiges Ärgernis. Ganz zu schweigen von der Unfallgefahr. Klingt nach Kamikaze – ist es auch.

Das ist nicht nur die Meinung der genervten Pariser Bewohner. Sondern auch dem E-Roller-Verleihdienst Lime kommen Zweifel. Das amerikanische Unternehmen bietet Micro-Mobility-Lösungen für Leute an, die in und um Städten leben. Eben auch in Paris.

Sharing-Albtraum

Keine Frage, Sharing ist eine gute Sache. Doch was Lime gerade erlebt, damit hat wohl auch deren Krisen-Kommunikations-Manager nicht gerechnet. In Paris benutzt einer von zehn Personen bereits einen ausleihbaren E-Roller. Jeder Vierte plant, E-Roller-Sharing zu nutzen. Wäre das nicht ein Grund für Lime zu jubeln? Ganz und gar nicht.

Lime hat die Rechnung nicht dem Mensch gemacht. Und der agiert, sobald er einen geliehen E-Roller fährt, meist rücksichtslos und egoistisch. Vom verantwortungsbewussten Umgang keine Spur. Geschweige denn respektvollem Verhalten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern.

Nicht meins, also egal

Ausbaden muss das rüpelhafte, egoistische Verhalten der E-Roller-Fahrer nun Lime. Viel negative Schlagzeilen hat es der US-Firma schon beschert. Auch Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris hat bereits angekündigt, die Zahl der E-Roller und den widrigen Umgang mit ihnen massiv einschränken zu wollen.

Wer hätte auch derartiges menschliches Verhalten voraussehen können? Oder doch? Es ist eigentlich kein Geheimnis, dass Menschen in der Regel mit eigenen Sachen pfleglicher umgehen, als mit geliehenen. Kein Wunder, denn für den eigenen Roller muss ein Fahrer zunächst wesentlich mehr Geld berappen, als für einen Leihroller. Da ist es auch nicht weiter schlimm, wenn etwas kaputt geht oder das Verhalten im Straßenverkehr nicht vorbildlich ist. Ist ja nicht der eigene E-Roller. Übrigens ist das nicht nur ein französisches Phänomen. In Schweden hat die Fahrt mit dem elektrischen Roller einem 27-Jährigen das Leben gekostet.

Teure Kampagne

Lime will nun mit einer kostspieligen Print-Kampagne in den französischen Metropolen gegen das negative Image der flinken E-Roller steuern. Zudem sollen die Fahrer zu einem respektvollen Umgang angehalten werden. Mit knallgrünen Kampagnen-Lettern will das Unternehmen E-Roller-Fahrer zur Vernunft bringen. Ob das Wirkung zeigen wird?

Vielleicht täte Lime schon mal gut daran, die Mitarbeiterzahl im Krisenmanagement zu erhöhen. Nur für den Fall, dass die Kampagne ein Flop werden sollte.

Und Deutschland?

In Deutschland warten wir schon sehnsüchtig auf die endgültige Straßenzulassung er handlichen E-Flitzer. Mitte des Monats soll es endlich soweit sein. Offensichtlich gibt es keine anderen Verkehrsmittel mehr, die wir ansonsten benutzen könnten. Nicht nur E-Roller-Verleiher scharren mit den Hufen. Auch potenzielle Nutzer können es kaum erwarten, auf E-Roller steigen.

Und wenn es dann soweit ist? Erleben wir das gleiche Phänomen wie in französischen Städten? Keine Rücksichtnahme, kein Respekt vor anderen Verkehrsteilnehmern? Denn inzwischen gilt auf den Straßen nicht mehr das Recht des Stärkeren, sondern des Schnelleren. Egal wie. Hauptsache schnell von A nach B. Fahrradfahrer machen es bereits vor, wie das geht. Nicht mal rote Ampeln, Staus oder Fußgänger können sie aufhalten.

Wunsch und Realität

Jetzt kommen E-Roller-Fahrer noch dazu. Wie schön wäre es da, wenn sie zeigen würden, wie Rücksichtnahme und Respekt im Straßenverkehr funktionieren. Einfach mal bremsen, wenn der Weg gerade nicht frei ist. Sich nicht mal schnell irgendwo vorbei quetschen. Pfleglich mit Leih-Fahrzeugen umgehen. Hach, wär‘ das grandios – ganz ohne Regeln und massive Kontrollen. Ohne gesellschaftliche Proteste und Einschränkungen.

In Städten wie etwa München ist das allerdings schwer vorstellbar. Hier gibt es schon genug Schwierigkeiten mit rechthaberischen Auto-, Motorroller-, Motorrad- und Fahrradfahrern. Ach ja, Fußgänger nicht zu vergessen. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Denn Sharing ist eigentlich eine gute Sache.

 

Mehr über Sharing auf unserer englisch-sprachigen Seite:

Tomorrow is good: From ownership to access – and back again