Für Blindheit gibt es viele Gründe. Sie kann angeboren sein, zum Beispiel durch eine fehlende Ausbildung der Netzhaut im Auge oder erbliche Netzhauterkrankungen. Oder sie bildet sich im Laufe des Lebens, beispielsweise durch Netzhauterkrankungen, Diabetes, grüner Star oder Augenverletzungen. Aber auch Prozesse im Gehirn wie eine Blutung, Schwellung oder ein Gefäßverschluss kann zum Verlust der Sehkraft führen.
Wissenschaftler aus Deutschland, der Schweiz und Kanada forschen derzeit an einer Miniaturkamera, die Blinden helfen soll, wieder – zumindest bedingt – sehen zu können. Dabei sammelt Kamera visuelle Informationen, die dann als Signalmuster an Implantate im Gehirn übertragen werden, sodass Blinde wieder Seheindrücke haben.
Sprache des Gehirns lernen
Die geplanten Implantate sollen spezifisch im Gehirn Areale ansprechen, welche für die Verarbeitung von visuellen Informationen zuständig sind, erklärt Privatdozent Dr. Dirk Jancke, Neurowissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum (RUB). „Um solche Brain-Computer-Interfaces zu entwickeln, müssen wir lernen, mit mikro-elektrischen Mitteln die Sprache des Gehirns zu sprechen.“
Ziel des Projekts sei es, Menschen mit einer Erblindung technische Hilfsmittel bereitzustellen, „um ihnen visuelle Informationen zugänglich zu machen, die sie in alltäglichen Lebenssituationen nutzen können.“ Durch das Projekt würde man außerdem „wichtige Grundlagenkenntnisse für Diagnostik und Behandlung von neurophysiologischen Krankheitsbildern des Gehirns“ gewinnen, sagt der Forscher.
Für Gehörlose und Menschen, die ihr Gehör im Laufe des Lebens verloren haben, gibt es bereits seit geraumer Zeit Hörprothesen (Cochlea-Implantate). Prothesen für den Sehsinn sind jedoch nur bedingt möglich. So können elektronische Netzhautimplantate bei Erkrankungen der Netzhaut wie etwa Retinopathia pigmentosa genutzt werden. Bei zentralen Erkrankungen des Sehsystems, wie sie zum Beispiel durch Diabetes mellitus verursacht werden, sind Hilfen aber nur mittels direkter Ansteuerung der Gehirnaktivität möglich.
Weltweit rund 285 Millionen Betroffene
Laut Zahlen der WHO leiden weltweit rund 285 Millionen unter einer Sehbehinderung. Davon sind etwa 39 Millionen komplett blind. In Deutschland haben etwa 1,5 Millionen Menschen eine Sehbehinderung, rund 155.000 sind komplett blind. Das sind etwa 2 Promille der Bevölkerung. Natürlich könne man mit der Methode nicht allen blinden Menschen ihr Sehvermögen zurückgeben, sagt Jancke. Es käme immer darauf an, wodurch die Blindheit ausgelöst worden sei.
Noch ist das Projekt „I See“ eine Vision, die Wissenschaftler hoffen aber, den betroffenen Menschen künftig helfen zu können, Ihre Lebensqualität zu verbessern. „Störungen von Gehirnfunktionen gehen mit massiven Einschränkungen der Lebensqualität einher“, erklären sie. „Der Verlust der Sehfähigkeit ist in zunehmend visuell gesteuerten Welten besonders tragisch.“
EU-Förderung
Das Projekt wird von der Europäischen Kommission mit rund 900.000 Euro gefördert. Die Kooperationspartner sind Udo Ernst (Koordinator) und David Rotermund, Computational Neurophysics, Institute for Theoretical Physics, University of Bremen, Bogdan Draganski, Laboratory for Research in Neuroimaging, Department of Clinical Neurosciences, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois und University of Lausanne, Lausanne, Schweiz, Michael Herzog, Laboratory of Psychophysics, École Polytechnique Fédérale Lausanne, Lausanne, Schweiz, Dirk Jancke, Optical Imaging Group, Institut für Neuroinformatik, Ruhr-Universität Bochum und Christopher Pack, Department of Neurology and Neurosurgery and Montréal Neurological Institute, McGill University, Montréal, Kanada.