Der Bausektor ist für etwa ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Gleichzeitig ist die Bauindustrie unverzichtbar für die Schaffung von neuem Wohnraum, Arbeitsplätzen und Infrastruktur. Es ist also Zeit für einen Wandel. Die Digitalisierung ist einer der wichtigsten Aspekte, um die Bauwirtschaft nachhaltiger zu gestalten.
Stellen Sie sich folgendes vor: Sie wollen ein Haus umbauen. Alle Materialien, die Sie normalerweise einfach „wegwerfen“ würden, können jetzt mit einer App gescannt werden. Die App erkennt jedes Produkt und sieht, in welchem Zustand es sich befindet. So wissen Sie sofort, wie Sie es wiederverwenden können. Es ist auch sofort klar, für welche Produkte es einen Second-Hand-Markt gibt. Laut Tilmann Koster, Forscher und Dozent am InHolland, kann dies den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft erheblich beschleunigen. Er hat mit der Entwicklung eines Algorithmus zur Erkennung von Dachziegeln begonnen. Koster trainiert den Algorithmus mit Fotos verschiedener Dachziegel – es gibt Dutzende von Modellen – um sicherzustellen, dass er zwischen den verschiedenen Ziegeltypen unterscheiden kann. Letztendlich soll dies für alle Materialien und Produkte möglich sein.
Warum ist das wichtig?
Die Digitalisierung bietet unendlich viele Möglichkeiten in verschiedenen Bereichen, auch im Bauwesen. Intelligente Systeme wie digitale Zwillinge erleichtern sowohl die Erstellung als auch die Wartung von Gebäuden erheblich. Aber die Digitalisierung wirft auch neue Fragen auf, zum Beispiel in Bezug auf den Datenschutz. Deshalb ist es wichtig, über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben.
Voneinander lernen
Kosters Vortrag auf dem Forschungstag zur Digitalisierung von 4TU.Built Environment, einer Partnerschaft zwischen den vier technischen Universitäten und vierzehn Fachhochschulen in den Niederlanden, war einer von vielen. Wissenschaftler/Forscher und Studenten stellen sich gegenseitig ihre laufenden Forschungsarbeiten vor und tauschen Wissen und Erfahrungen aus. Von praktischen Fragen der Cybersicherheit und des Datenschutzes bis hin zum Einsatz völlig neuer Instrumente ist alles dabei. „Durch den Austausch von Informationen lernen wir von den Erfahrungen der anderen. So erreichen wir letztlich das beste Ergebnis”, sagt Giorgio Agugiaro, Assistenzprofessor für 3D-Geoinformation an der TU Delft und Mitorganisator des Forschungstages.
Digitale Zwillinge in der Hauptrolle
Volker Coors, Vizepräsident für Forschung und Digitalisierung an der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT), sagte in seiner Keynote, dass Zusammenarbeit für die Lösung der großen Herausforderungen unserer Zeit unerlässlich sei. Wie viele andere Redner sieht auch er in digitalen Zwillingen ein wichtiges Werkzeug, um unsere Städte nachhaltiger zu machen.
Durch die Erfassung des Energiebedarfs eines Gebäudes kann ein digitaler Zwilling zum Beispiel den Energieverbrauch optimieren. Auf der Grundlage der Daten können – automatisch oder nicht – Entscheidungen über den Einsatz von erneuerbaren Energien und Energiesparmaßnahmen getroffen werden. Bei der Entwicklung und Nutzung von digitalen Zwillingen ist es laut Coors wichtig, den Menschen – den Endnutzern – eine Stimme zu geben. „Die Menschen müssen sich an dem System beteiligen; mit Tools allein kommt man nicht weiter. Aber das menschliche Verhalten ist schwer vorherzusagen, was es zu einem komplexen Ganzen macht.“
Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit
Neben den digitalen Zwillingen ist die Gebäudedatenmodellierung (Building Information Modeling, BIM) eine vieldiskutierte Technologie. BIM ist ein digitales 3D-Modell eines Bauwerks, das aus Objekten besteht, mit denen Informationen verknüpft sind. So kann man zum Beispiel auf einen Blick sehen, wo in einem Gebäude alle Kabel und Rohre verlaufen. Dies erleichtert die Zusammenarbeit verschiedener Parteien beim Bau oder bei der Instandhaltung eines Gebäudes. Mehrere Forscher und Studenten befassen sich mit der Verbesserung verschiedener Aspekte von BIM. So möchte die Forscherin Julia Kaltenegger von der Technischen Universität Eindhoven (TU/e) BIM detaillierter gestalten, indem sie Informationen über Materialien einbezieht.
Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) sind ebenfalls ein Teil der Digitalisierung in der gebauten Umwelt. Rizal Sebastian, Professor für Future Urban Systems an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Den Haag und Mitorganisator des Forschungstages, spricht über ein Projekt, bei dem AR eingesetzt wird, um den Campus, zu dem die Hochschule gehört, klimaneutral zu gestalten. Diese Technologie kann zum Beispiel bei der Instandhaltung der Wohnungen und auch bei der Aufklärung über klimaneutrale Gebäude nützlich sein.
Die Digitalisierung ist für die Lösung von Bauproblemen unerlässlich. Agugiaro: „Neue Modelle und Technologien wie digitale Zwillinge und künstliche Intelligenz machen rasche Fortschritte, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Wir müssen uns weiter verbessern. So ist es beispielsweise wichtig, dass wir die Standardisierung von Daten weiter vorantreiben und weiterhin eine Kultur der Datenoffenheit (wo immer möglich) und der Wiederverwendung von Daten fördern. Nur dann können wir neue Technologien in großem Maßstab anwenden. Es gibt noch viele Schritte, die wir in den kommenden Jahren unternehmen können.“