Die Blutalge zählt zur Gruppe der Schneealgen und hat die Eigenschaft, den Schnee blutrot zu färben. Schon vor zweihundert Jahren dokumentiert, ist der emfindliche Organismus immer noch weitgehend unerforscht. Jetzt wurde die Blutalge von der Sektion Phykologie der Deutschen Botanischen Gesellschaft zur Alge das Jahres 2019 gewählt.
Schneealgen sind an ihren kalten Lebensraum gebunden und sterben bei höheren Temperaturen ab. In der Wissenschaft nennt man die frostliebenden Lebewesen, die an Temperaturen unter Minus zehn Grad angepasst sind Kryophile. Der Schneealgenforscher Thomas Leya vom Potsdamer Fraunhofer IZI-BB hält in seiner CCCryo Biobank am IZI-BB eine Reihe kälteangepasster Algen. In einem aktuellen Projekt will er gemeinsam mit Kollegen der Universität von Kalifornien (UCLA) und des Geoforschungszentrums (GFZ) in Potsdam Erkenntnisse über kälteaktive Enzyme gewinnen, die sich zum Beispiel für medizinische und diagnostische Zwecke in der Lebensmittel-Prozesstechnik oder in der Kosmetik einsetzen lassen.
Die Blutalge – Chlamydomonas nivalis – ist nicht dabei. Diese ist noch weitgehend unerforscht und bisher ist es noch niemandem gelungen, den Organismus im Labor zu kultivieren. Weswegen zur Untersuchung der roten Zysten immer wieder neue Proben gesammelt werden müssen.
Vorkommen im ewigen Schnee
Die Blutalge zählt zu den Grünalgen und kommt weltweit im ewigen Schnee vor: in der Arktis, Antarktis und im Hochgebirge. Wissenschafter vermuten, dass sie wie ihre Verwandten an ihren kalten Lebensraum gebunden ist und bei höheren Temperaturen abstirbt. Belegt wurde dies noch nicht. Auch über den Entwicklungszyklus der Blutalge ist wenig bekannt. Leya: „Wir (…) wissen nicht wirklich, wie diese mikroskopische Alge es schafft, im Frühsommer, wenn noch mehrere Meter Neuschnee liegen, solche Massen an Zellen hervorzubringen, die es für das Phänomen des Roten Schnees benötigt.“
Ihren Namen dürfte sie eher zufällig bekommen haben, vermutet Leya. Denn auch ihre verwandtschaftliche Stellung innerhalb der Algen sei nicht vollständig geklärt.
Weltweite Verbreitung
Belegt ist, dass die weltweite Verbreitung in Form ihrer Zysten erfolgt. Aus aktuellen Studien am Potsdamer Fraunhofer IZI-BB geht hervor, dass sich die Blutalgen in Spitzbergen kaum von jenen aus den Rocky Mountains und dem Hochgebirge unterscheiden (…), so dass man wohl von einem weltweiten Genfluss ausgehen kann, sagt der Schneealgenexperte, der jahrelang am Doktor Breen-Gletscher in Spitzbergen forschte.
Forschung im Hochgebirge
Während das Phänomen im Polargebiet schon gut dokumentiert ist, gibt es im Hochgebirge noch kaum Studien. An der Universität Innsbruck beschäftigen sich Botaniker und Ökologen damit. Dort erklärt Andreas Holzinger vom Institut für Botanik, dass die rote Verfärbung des Schnees ein Resultat der Blutalgenblüte ist. Im Frühsommer, wenn der Schnee zu schmelzen beginnt und flüssiges Wasser vorhanden ist, beginnen die Algen der Chlamydomonas nivalis zu keimen. Sie steigen als einzelne, grüne Zellen in der Schneedecke hoch, bis sie genügend Sonnenlicht für die Photosynthese und ihr Wachstum zur Verfügung haben. Mit zunehmender UV-Strahlung beginnen sie dann rote Sporen zu bilden und es kommt zur roten Schneealgenblüte.
Sonnenschutz-Effekt
Die mikroskopisch kleinen roten Gebilde haben sich perfekt an den Lebensraum im Hochgebirge angepasst: Sie überstehen extreme Temperaturen, starke UV-Strahlung und Nährstoff-Mangel. Um sich zu vermehren, brauchen sie lediglich Licht, Wasser und Kohlendioxid aus der Atmosphäre“, so Holzinger, der sich mit Überlebensstrategien von verschiedenen Algengruppen und dabei auch mit jene der Chlamydomonas nivalis beschäftigt.
Um sich vor der hohen UV-Strahlung im Hochgebirge zu schützen, bilden die einzelligen Mikroorganismen den lipidlöslichen Farbstoff Astaxanthin aus der Gruppe der Carotinoide. Diese sind auch in anderen Algen zu finden. Der Farbstoff bietet eine äußerst gute UV-Schutzsubstanz und ist deshalb auch von industriellem Interesse, erklärt Holzinger.
Ein Forscher, der die Schneealgen für die Biotechnologie nutzbar machen will, ist Daniel Remias, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fachhochschule Oberösterreich. Er beschäftigte sich schon in seinem Doktorat an der Universität Innsbruck mit der Blutalge, musste aber auch zur Kenntnis nehmen, dass sich diese im Labor im Tiefschlaf befindet. Jedoch gelang es ihm grüne, gelbe und orange Schneealgen-Kulturen im Hinblick auf eine industrielle Nutzung im Labor zu kultivieren. Diese untersucht er auf wertvolle Inhaltsstoffe wie Pigmente, Antioxidantien und Fettsäuren und will sie für Medizin-, Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie nutzbar machen.
Abschmelzen der Gletscher
Birgit Sattler vom Institut für Ökologie an der Universität Innsbruck untersucht den Einfluss der Schneealgenblüte auf das Abschmelzen der Gletscher im Hochgebirge. Schnee und Eis haben ein hohes Rückstrahlvermögen des Sonnenlichts (Albedo), das bei bis zu neunzig Prozent liegt. Dem entsprechend gering ist die Absorption der einfallenden Sonnenenergie. Studien im Polargebiet zeigten, dass die Algen durch die großflächige Rotfärbung das Rückstrahlvermögen des Schnees um bis zu dreizehn Prozent verringern.
Die Ökologin forscht am Jamtalferner und beobachtet den Gletscher über den gesamten Saisonverlauf, um zu untersuchen, welche und wie viele Pigmente sich bilden und wie sich die Rückstrahlkraft verändert. Ihre ersten Ergebnisse legen nahe, dass das verringerte Rückstrahlvermögen im Hochgebirge die gleiche Größenordnung erreicht. Allerdings ist der Einfluss der Blutalge relativ gering. Deren Blütephase ist kurz und die Rotfärbung verschwindet, wenn das Schneepaket abgeschmolzen ist. „Der Großteil der eigentlich für die Schmelze verantwortlichen Algen kommt im Sommer und ist grau. Es sind die Eisalgen, die auf der Eisoberfläche wachsen und lange übersehen wurden, weil man sie mit freiem Auge nicht erkennt, so Sattler.
Sattler: „Es ist ein Kreis: Je wärmer es ist, desto mehr verflüssigt sich der Schnee zu Wasser, bilden sich Pigmente und schmilzt das Eis.“
Durch die tieferen Temperaturen fällt der Einfluss der Blutalge im Polargebiet geringer aus. In den Alpen sind die Sommer wärmer und die Gletscher schmelzen schneller.
Alge des Jahres
Die Sektion Phykologie der Deutschen Botanischen Gesellschaft kürt seit 2017 jährlich eine Alge des Jahres. Algen sind die wichtigsten Sauerstoffproduzenten der Erde. Dazu verbrauchen sie das Treibhausgas Kohlendioxid. Anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Entdeckung fiel die Entscheidung 2019 auf die Blutalge.
Auch interessant:
Statt Chemie: Biologischer Pflanzenschutz für Meeresalgen