Im August berichteten wir, dass es erstmals gelungen ist, ein zweidimensionales suprasolides Quantengas im Labor zu realisieren. Das Forscherteam aus Innsbruck konnte einen Kristall und eine suprafluide Flüssigkeit gleichzeitig formen. Suprafluide sind Flüssigkeiten, die widerstandsfrei fließen. Der Versuch basierte auf magnetischen Atomen und einem ultrakaltem Quantengas, dem sogenannten Bose Einstein-Kondensat. Dieses entsteht, wenn ein Gas bis knapp über dem absoluten Nullpunkt (minus 273 Grad Celsius) abgekühlt wird.
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In Alltag können wir nur drei Aggregatzustände beobachten: gasförmig, flüssig und fest. Stoffe wechseln ihren Aggregatzustand zum Beispiel durch Temperaturveränderung und üblicherweise sind Stoffe bei niedrigen Temperaturen fest und bei hohen Temperaturen gasförmig. Nimmt man aber ein stark verdünntes Gas und kühlt es extrem ab, dann wird es weder flüssig noch fest, sondern bleibt gasförmig. Dennoch verlieren die Teilchen mehr und mehr Energie und unterhalb einer kritischen Temperatur werden die Quanteneigenschaften dieser Teilchen so dominant, dass das sogenannte Bose-Einstein-Kondensat entsteht. In diesem sind die einzelnen Atome vollständig delokalisiert. Das bedeutet, dass das gleiche Atom zu jedem Zeitpunkt an jedem Punkt innerhalb des Kondensats vorhanden ist. Bose-Einstein-Kondensate sind also auch Suprafluide.
Suprasolide in Quantengas
Das Team um Francesca Ferlaino nutzte das Bose-Einstein- Kondensat schon vor zwei Jahren um eindimensionale Suprasolide zu erzeugen. Die Forscher vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck. Die Forscher brachten magnetische Atome dazu, sich in dem ultrakaltem Quantengas zu Tröpfchen zu organisieren und sich kristallartig anzuordnen. Dabei waren aber alle Teilchen weiterhin über alle Tröpfchen hinweg delokalisiert wodurch das Gas weiterhin suprafluide bleibt. Die Kombination der Kristallstruktur mit gleichzeitiger Suprafluidität wird Suprasolid oder auch Superfestkörper genannt.
Jetzt gelang es dem Team Ferlaino dieses Phänomen auf zwei Dimensionen zu erweitern. Sie erzeugten Systeme mit zwei oder mehr Reihen von Tröpfchen. Mit im Team waren die beiden Theoretiker Luis Santos von der Universität Hannover und Russell Bisset von der Universität Innsbruck.
Erweiterte Forschungsperspektiven
Dieser Durchbruch erweitert die Forschungsperspektiven entscheidend. So kann man zum Beispiel in einem zweidimensionalen suprasoliden System untersuchen, wie sich in der Öffnung zwischen mehreren beieinanderliegenden Tröpfchen Wirbel bilden. Diese in der Theorie beschriebenen Wirbel wurden bisher noch nicht nachgewiesen, stellen aber eine wichtige Folge von Suprafluidität dar.
Bisher wurden Wirbel erst in gleichförmigen Suprafluids nachgewiesen – und das in quantisierter Form. „Ein quantisierter Wirbel ist im Grunde ein Loch im System und um dieses Loch zirkuliert das Suprafluid mit einer bestimmten Menge an Zirkulation“, erklärt Matthew Norcia aus dem Team Ferlaino. „In Suprasolids dürften die Wirbel aber nicht auf diese Weise quantisiert sein – und sie müssten in Regionen mit geringer Dichte zu finden sein. Das ist zwischen den Tröpfchen der Fall und nicht innerhalb eines Tröpfchens, wo die atomare Dichte hoch ist.“
„Ein quantisierter Wirbel ist im Grunde ein Loch im System und um dieses Loch zirkuliert das Suprafluid mit einer bestimmten Menge an Zirkulation.”
Matthew Norcia aus dem Team Ferlaino
Quantisierte Wirbel
Wenn die Forscher in suprafluiden Systemen von quantisierten Wirbeln sprechen, dann betrifft das insbesondere den Drehimpuls pro Teilchen. Das ist eine eindeutige Signatur der Supraflüssigkeit, die sich aus einer quantenmechanischen Behandlung des Systems ergibt. Norcia: „Wir nehmen an, dass diese Quantenbedingungen in Suprasolids gelockert werden, und zwar so, dass der Drehimpuls pro Teilchen, der mit einem Wirbel assoziiert ist, unterschiedlich sein kann, je nachdem, wie die Dichte des Zustands moduliert ist. Wenn wir also den Drehimpuls dieser quantisierten Wirbel betrachten, könnten wir ein Maß dafür haben, wie suprafluid verschiedene Suprasolide sind.“
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Die Beobachtung der Phänomene von Suprasolids in Quantengas verspricht aber noch mehr Forschungserkenntnisse. Denn einige Schlüsseleigenschaften von Suprasolids können nur in zwei Dimensionen untersucht werden. So können sich beispielsweise die Rotationseigenschaften eines Suprafluids drastisch von jenen eines normalen Fluids oder eines anderen Systems unterscheiden. Auch Größen wie die Viskosität, für die Superfluide einzigartig sind, machen nur in Systemen mit mehr als einer Dimension Sinn.
Folgen von Symmetrien verstehen
Diese Laborbefunde helfen den Forschern aber auch die Folgen von Symmetrien zu erforschen. Norcia: „Wenn in Suprasolids kristalline Struktur und Suprafluidität gleichzeitig auftreten, dann hängt das mit der Kombination von Translations- und Phasensymmetrien zusammen, die in einem Suprasolid jeweils ‚gebrochen’ sind. Das generelle Verständnis von Symmetrien ist für die Physik im Allgemeinen und für Werkstoffsysteme im Besonderen von entscheidender Bedeutung. In diesem Sinne kann uns die Erforschung der Auswirkungen dieser Symmetrien helfen, andere physikalische Systeme besser zu verstehen – sowohl im Labor als auch für praktische Anwendungen.“
Laserlicht versus magnetische Atome
Schon 2017 haben verschiedene Forschergruppen ähnliche Versuche unternommen, mit Laser und Quantengasen aus Natrium- oder Rubidiumatomen. Die Atome waren dabei an durch Laserlicht erzeugte periodische Strukturen gekoppelt. Das heißt, die kristalline Struktur des atomaren Zustands wurde durch das Laserlicht definiert. Dadurch war der erzeugte Suprafestkörper sehr steif, weil das Laserlicht die Schwingungen der kristallinen Struktur von Festkörpern nicht unterstützt.
Bei den magnetischen Atomen der Gruppe Ferlaino ist es hingegen die direkte magnetische Wechselwirkung zwischen den Atomen, die die Dichtemodulation erzeugt. Infolgedessen kann das Suprasolid komprimiert und in Schwingungen versetzt werden. Diese Wechselwirkung ist es auch, die in Verbindung mit dem Fallenpotenzial den kristallinen Anteil bestimmt.
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