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Als im März diesen Jahres das Ausmaß der Corona-Epidemie einigermaßen deutlich wurde habe ich meine Kinder (19 und 17) zur Seite genommen und sie darauf hingewiesen, dass sie in den nächsten Wochen und Monaten Zeuge eines großen gesellschaftlichen Experiments werden würden. Alles was sie tun müssten wäre sich zurückzulehnen, die Sicherheit des elterlichen Haushalts zu genießen, und zu beobachten.

Für mich war es damals ein Experiment. Wir wussten nicht welche Ausmaße Cobid-19 annehmen könnte, welche Maßnahmen wirksam helfen und wie lange alles dauern würde. Maximale Unsicherheit – oder eben VUCA: volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig.

Viel dazu gelernt

Zwischenzeitich haben Regierungen, Politiker, Virologen, Epidemiologen und andere Experten und Nicht-Experten viel dazu gelernt. Wir wissen mehr über den Virus, wenn auch nicht alles. Wir wissen, welche Maßnahmen wirken und welche Ereignisse und Ursachen zu steigenden Infektionszahlen führen. Eigentlich sollten wir nach acht Monaten wissen, wie wir als Gesellschaft mit Covid-19 umgehen sollten und welche Maßnahmen wirksam sind. Es sollte nicht schwierig für die Regierungen sein, jetzt gute Entscheidungen zu treffen und die Zustimmung breiter Teile der Bevölkerung zu bekommen.

Gefühlt ist das Gegenteil der Fall. Die Akzeptanz für Teile der aktuellen Maßnahmen gegen die zweite Welle ist nur bedingt vorhanden, die Glaubwürdigkeit von Regierungsvertretern, Politikern und Experten erschüttert und innerhalb der Politik regt sich Widerstand von Parlamentariern gegen Sonderrechte für die Regierung und die Nicht-Einbindung des Parlaments in die Entscheidungsfindung. Während dies im März und April aufgrund der Dynamik der Ereignisse richtig und angemessen war, um schnell reagieren zu können, so stellt sich nach acht Monaten die Frage, warum diese Dringlichkeit angeblich immer noch gegeben ist und was in der Zwischenzeit geschehen ist.

Autorität und Führungsverhalten

Mein Ziel ist hier nicht eine Antwort auf die Komplexität der Gesamtlage zu geben. Im Rahmen meiner Forschungsarbeiten für meine Dissertation beschäftige ich mich mit der Frage, wie sich Macht, Autorität und Führungsverhalten auf die Motivation und Kreativität von Mitarbeitern auswirken. In Experimenten konnte gezeigt werden, dass dominanzorientierte Führungskräfte dazu neigen, kompetente und leistungsstarke MitarbeiterInnen, die ihrer Machtposition und ihrem Einfluss gefährlich werden könnten, zu separieren. Dies geschieht typischerweise durch weniger verantwortungsvolle Projekte, die Nichteinbeziehung in Entscheidungsprozesse oder räumliche Trennung. Viele Politiker sind aufgrund ihrer Macht dominant oder aufgrund ihrer Dominanz mächtig. Wie auch immer.

Neben Dominanz ist Prestige bzw. Beliebtheit ein weiteres Motiv für die Übernahme von einflussreichen Führungspositionen. Prestigeorientierte Führungskräfte neigen dazu ihren MitarbeiterInnen Informationen vorzuenthalten, die ihren Ruf und ihre Beliebtheit schädigen könnten.
Politiker und Führungskräfte, die sowohl dominanz- wie auch beliebtheitsorientiert sind, bergen ein besonderes Risiko. Wenn ihre Beliebtheit (bei Politiken die Wiederwahl) bedroht wird und gleichzeitig Kollegen und Experten ihre Kompetenz in Frage stellen, werden sie dazu neigen diesen Experten keine Einflussmöglichkeit zu geben und ihre eigene Machtposition und Beliebtheit durch ein vermeintlich entschiedenes Handeln zu festigen.

Deutlich weniger Akzeptanz

In den letzten Monaten konnten wir genau dies beobachten. Regierungen nahmen sich Sonderrechte und versuchten durch eine starke Hand ihre Beliebtheit zu sichern und unterdrückten alternative Expertenmeinungen zu Covid-19. Alternative Meinungen wurden nicht gefragt und nicht diskutiert. Der eingeschlagene Weg war vermeintlich „alternativlos“ und Alternative Sichtweisen und Strategien wurden gar nicht erst diskutiert. All dies führt in der von mir wahrgenommenen Konsequenz dazu, dass die für die zweite Welle verordneten Maßnahmen deutlich weniger Akzeptanz in der Bevölkerung erhalten, die Glaubwürdigkeit der Politik massiven Schaden erlitten hat und die politische Führung sich nur noch durch Demonstration ihrer Macht in dieser schwierigen Zeit ihren Einfluss sichern kann.

Diese Beobachtung lässt sich auf Unternehmen übertragen. Hybris, also extreme Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen ist eine der Hauptursachen, warum Unternehmen scheitern. Das gilt für Start-ups und Grown-ups gleichermaßen. GründerInnen und UnternehmerInnen haben oft einen dominanten Anteil. Den brauchen sie auch, um ein Unternehmen in einem Markt zu etablieren oder später gegen Wettbewerber verteidigen zu können. Mittel und langfristig erfolgreiche UnternehmerInnen sorgen dafür, dass ihre eigene Perspektive immer wieder hinterfragt und herausgefordert wird, um das Risiko falscher Entscheidungen aufgrund von Selbstüberschätzung zu vermeiden. Gleiches gilt für Unternehmenslenker, für die Beliebtheit ein wichtiges Motiv ist. Sie laufen Gefahr, sich selbst und ihre Mitarbeiter mit unvollständigen oder falschen Informationen zu belügen und damit wichtige und richtige Entscheidungen für den Erfolg und Fortbestand von Unternehmen zu unterbinden. Beliebtheit ist nichts Schlechtes und viele erfolgreiche Unternehmen haben sehr beliebte Chefs. Aber auch diese Chefs sorgen dafür, dass ihre eigene Sicht der Dinge durch kompetente und komplementäre Menschen in ihrem Umfeld ergänzt wird und damit eine Vielfalt von Perspektiven und Meinungen in strategische und wichtige operative Entscheidungsprozesse einfließen.

Nur als Team

Covid-19 fordert uns als Individuen, Führungskräfte und Politiker heraus. Es bedroht unsere Gewohnheiten und liebgewonnenen Routinen. Es zwingt uns, die Welt neu zu sehen und neue Wege einzugehen. Eine Aufgabe, die nur als Team und unter Einbeziehung verschiedenster Perspektiven erfolgreich sein kann. Für Unternehmen und die Politik gleichermaßen.