Unbestritten ist: der Carsharing-Markt wächst. Unbestritten ist aber auch: das Wachstum liegt weit hinter den Prognosen und Potenzialen zurück, die dieser Branche vorausgesagt wurden. Auch wird der Nutzen widersprüchlich beurteilt. Liegt im Carsharing die Zukunft der individuellen Mobilität? Oder ist es nur ein weiteres Zusatzangebot? Entlastet es den Verkehr und reduziert die Schadstoffbelastung? Oder erschließen sich Autohersteller geschickt neue Nutzergruppen? All das wird heftig diskutiert. IO sprach mit Wiebke Zimmer. Sie ist studierte Chemikerin und seit 2013 stellvertretende Leiterin des Bereichs Ressourcen und Mobilität im Berliner Büro des Öko-Institutes.
Immer mehr und vielfältige Angebote an Carsharing in Deutschland
Die deutsche Hauptstadt des Carsharing ist nicht Berlin, sondern Karlsruhe. 2,15 Sharing-Fahrzeuge kommen hier auf Eintausend Einwohner. Es folgen München und Hamburg. Auf seinem vierten Platz kann sich Berlin aber auch einen Titel anheften, es ist die Stadt mit der größten Anzahl unterschiedlicher Anbieter. Berlin ist divers, auch was den Carsharing-Markt betrifft. Acht große Anbieter gibt es in der Stadt. Für jeden ist etwas dabei. Grundsätzlich unterscheidet man die stationsbasierten und die flexiblen oder free-floating-Angebote. Je nach Nutzungsart ist das eine oder andere passender.
Bei einer festen Station abholen und zu ihr zurückbringen lohnt sich für längere Fahrten, denn es ist preisgünstiger. Für die spontane Fahrt in der Stadt ist das flexible Angebot bequemer – die Wagen werden per App ausfindig gemacht und können an beliebigem Ort innerhalb der City wieder abgestellt werden. In Berlin gehören die Aufschriften auf den Autos von MILES oder FLINKSTER inzwischen zum Stadtbild. Abrechnung nach Kilometern oder nach Minuten oder in Kombination – je nach Bedarf. Eine Besonderheit bietet WeShare, das Angebot von Volkswagen. Hier werden nur Elektroautos bereitgestellt. Zwei andere Big Player aus der Autobranche haben sich in ShareNow zusammengeschlossen – Daimler und BMW. Autoverleiher Sixt hat sich mit SIXT SHARE an die Entwicklung angepasst.
Nutzen für Umwelt und Verkehr muss differenziert betrachtet werden
Die Branche selbst ist vom Nutzen des Carsharing für Verkehr und Umwelt überzeugt. So heißt es auf der Webseite des Bundesverbands Carsharing: „CarSharing reduziert die Zahl der Pkw und der benötigten Stellplätze. CarSharing führt zur Abschaffung privater Pkw und bündelt die Pkw-Nutzungswünsche mehrerer Haushalte auf wenigen Fahrzeugen. CarSharing verändert das Mobilitätsverhalten.“ Eine im Frühjahr diesen Jahres erschienene Studie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) zur Nutzung flexiblen Carsharings stützt dies Aussagen.
Andere Studien sehen das differenzierter. Unbestritten ist, dass es auf die Sharing-Methode ankommt. Nutzer stationsbasierter Angebote schaffen tatsächlich etwas häufiger das eigene Auto ab. Allerdings sind es gerade die free-floating-Angebote, die gerade den Markt erobern. Und hier ist der positiver Einfluss auf Umwelt und Autokauf umstritten, teilweise tritt sogar ein negativer Effekt auf. Das ergab eine Studie, die vom Öko-Institut gemeinsam mit dem ISOE, dem Institut für sozial-ökologische Forschung, durchgeführt wurde. Die Studie beschäftigte sich ausschließlich mit dem free-floating Angebot von Car2go.
Egal welches Angebot ich als Alternative biete – notwendige Voraussetzung dafür, dass diese Angebote mehr und eigene Pkws weniger genutzt werden, sind Restriktionen für den Privatverkehr.
Im Ergebnis wird festgestellt, dass das frei verfügbare Auto in erster Linie ein Zusatzangebot darstellt, die Nutzer sind zum Teil eher auto- als umweltaffin. Ausschlaggebend für die Nutzung von Carsharing sind die Kostenersparnisse. Der bewusste Verzicht aufs eigene Auto aus Umweltgründen kommt weitaus seltner vor. Die Carsharing-Nutzer sind im Durchschnitt 36 Jahre (45 Jahre bei Nutzern stationsgebundener Angebote), vornehmlich männlich, gebildet, gutverdienend. Ältere, Familien, Frauen und einkommensschwächere Personen nutzen das flexible Carsharing kaum.
Zu einer klaren Aussage über Vor- und Nachteile des Carsharing zu kommen, ist nicht einfach. So stellt die Studie des Öko-Institutes fest: die Gruppe der Sharing-Nutzer schaffte im untersuchten Zeitraum zwar mehr Autos ab, als die Vergleichsgruppe. Es wurden aber auch häufiger Autos angeschafft. Es scheint einiges mehr an Bewegung in dieser Gruppe zu geben – was mit dem Alter der Nutzer zu tun hat. Oft werden mit dem Carsharing bestimmte Lebensphasen überbrückt, der Autokauf ist bei vielen nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Ingesamt werden die Angebote auch verhältnismäßig selten genutzt – mehrheitlich für bestimmte Freizeitaktivitäten, aber nicht im Alltag.
Der private Pkw muss teurer werden
Im Gegensatz zur KIT-Studie kommt die Studie des Öko-Institutes zu dem Ergebnis, dass der Einfluss der Nutzung von free-floating Angeboten auf das Verkehrsgeschehen gering ist. Es kommt insgesamt nicht zu einer Reduktion von Pkw im Straßenraum und zur Senkung der CO2-Emission. Das heißt jedoch nicht, dass die Carsharing-Angebote überflüssig sind. Wiebke Zimmer, eine der Autorinnen der Studie des Öko-Institutes, sieht im Carsharing dann ein sinnvolles und notwendiges Angebot, wenn auch auf die private Nutzung von Fahrzeugen stärker als bisher Einfluss genommen wird:
„Ich kann ein neues System auf den Markt bringen, wie zum Beispiel die Möglichkeit ein Auto nicht zu besitzen sondern nur zu nutzen. Wenn ich aber die Rahmenbedingungen für den Autobesitz nicht ändere, wird sich am Mobilitätsverhalten nichts entscheidendes ändern. Egal welches Angebot ich als Alternative anbiete – Carsharing, bessere Fahrradwege oder eine verbesserte Qualität des öffentlichen Nahverkehrs – notwendige Voraussetzung dafür, dass diese Angebote mehr und eigene Pkws weniger genutzt werden, sind Restriktionen für den Privatverkehr. Das ist der Knackpunkt. Es ist absolut notwenig, dass die Nutzung privater Pkw teurer wird.“
Die Politik wird aktiv – erste, kleine Schritte
Wird die Politik tätig, um die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen und den privaten Pkw unattraktiver zu machen? In der Auto-Nation Deutschland sind die Schritte umkämpft und erwartungsgemäß klein. „Ein bisschen was passiert. Zum Beispiel, dass die Länder jetzt selbst darüber entscheiden dürfen, wie hoch die Anwohnerparkgebühren angesetzt werden. Bis jetzt gab es da eine Obergrenze und die war viel zu niedrig. Außerdem gibt es jetzt das Carsharing-Gesetz. Es gibt erste Schritte, aber nicht genug Anreiz, damit die Leute wirklich ihren privaten PkW abschaffen“, sagt Zimmer.
Das Carsharing-Gesetz gibt es in Deutschland seit 2017. Gefördert werden Angebote, wenn sie zu einer Verringerung des motorisierten Individualverkehrs sowie zu einer „Entlastung von straßenverkehrsbedingten Luftschadstoffen, insbesondere durch das Vorhalten elektrisch betriebener Fahrzeuge“ beitragen. In der neuen StVO, die im April diesen Jahres in Kraft getreten ist, wird ebenso auf die Förderung von Carsharing gesetzt. So werden Carsharing-Mobilen u.a. extra ausgewiesene Parkmöglichkeiten zuerkannt. Besonders wird die Kombination mit Elektromobilität gefördert. Hier könnte ein Vorteil liegen, der Carsharing wirklich umweltfreundlich und zukunftsorientiert macht. „Das tolle an Elektro-Carsharing ist, dass die Menschen die Möglichkeiten haben, das einfach mal auszuprobieren und sie sich dann selber eher ein Elektro-Fahrzeug anschaffen. Der andere Vorteil ist natürlich, das damit effizientere, emissionsärmere Fahrzeuge eingesetzt werden“, so Zimmer.
Mit dem Carsharing-Gesetz in der Hand kann die Kommune oder die Stadt Einfluss auf die Art der Carsharing-Angebote nehmen. Ausschreibungen können an bestimmte Bedingungen geknüpft werden. Zum Beispiel daran, dass die Fahrzeuge nur batterieelektrisch fahren. Oder, dass eine bestimmte Anzahl an Fahrzeugen auch in dünner besiedelten Randgebieten zur Verfügung gestellt werden muss. Ein beispielhaftes Projekt existiert im Landkreis Barnim, direkt angrenzend an Berlin. Dort wurde im Juni 2019 mit BarShare ein Sharing-Unternehmen gegründet, dass in kommunaler Hand ist und sich an den Bedürfnissen der Einwohner ausrichtet. Der Fuhrpark besteht komplett aus Elektroautos. Hier treffen sich Bürgernähe und Umweltbewusstsein. Das klingt nach einem guten Konzept für die Mobilität der Zukunft.
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