Es kommt immer öfter vor, dass mich Hochschulen und Universitäten zu einem Gastvortrag oder einem Seminar zu den Themen Scheitern, Fehlerkultur und dem konstruktiven Umgang mit Fehlern in Unternehmen einladen.
Abgesehen davon, dass das ungewöhnliche Thema großes Interesse weckt und ich meine StudentInnen dazu einlade, sich konstruktiv mit dem unternehmerischen und persönlichen Scheiten auseinander zu setzen, kommt fast immer auch die Frage auf, ob und wie ein Scheitern verhindert werden kann. Eine einfache Antwort wäre, einfach nur alles richtig zu machen. Was bedeutet es, alles richtig zu machen? Wie kann das gelingen? Manche meiner ZuhörerInnen argumentieren, dass wir mit rationalen oder vernünftigen Entscheidungen Fehler und Scheitern verhindern könnten.
Ist das wirklich so? Der Begriff Rationalität bezieht sich auf ein vernunftgeleitetes, zweckgerichtetes Denken und Handeln, d.h. berechnend, analytisch, logisch, begründet. Rationalität kann man also daran messen, wie angemessen eine Entscheidung ist und wie gut sie begründet ist. Sozusagen als Gegenpol zu intuitiven Bauchentscheidungen. Hilft uns Rationalität wirklich, Fehler und Scheitern zu vermeiden?
Auf den ersten Blick wird man dem zustimmen. Vernunft und Angemessenheit basieren oft auf einer bestehenden Vorstellung, wie etwas zu sein hat und wie sich unser Umfeld unser Verhalten und unsere Entscheidungen vorstellt. Und so lange wir und innerhalb dieser Erwartungshaltung bewegen, können wir auch keine Fehler machen (zumindest keine großen) und auch nicht scheitern. Wir alle haben das in der Schule erlebt.
Rationalität reicht nicht aus
Ein zweiter Blick auf den Begriff Rationalität stellt nicht so sehr die Erwartung in den Mittelpunkt, sondern dass wir möglichst viele Fakten in einen Entscheidungsprozess mit einfließen lassen und damit besser abwägen, begründen und Entscheidungen treffen können. Es ist sicher richtig, dass eine gute und breite Faktenbasis wichtig ist, um Fehler vermeiden zu können. Aber keineswegs ausreichend.
Eine Vielzahl von gescheiterten Innovationsprojekten und Produkteinführungen können das belegen. Einer der größten Flops der Automobilgeschichte war 1957 die Einführung des Ford Edsel auf dem nordamerikanischen Markt. Die Ford Motor Company wollte mit dem Edsel eine Marktlücke im nordamerikanischen Markt schließen und hat die Markteinführung mit einer für die damalige Zeit ausführlichen und umfassenden Marktforschung vorbereitet. Technisch hatte das Auto eine Reihe von Innovationen, die es auch von dieser Seite attraktiv hätten machen sollen. Neben den umfangreichen Marktstudien gab es Mitarbeiterwettbewerbe für die beste Modellbezeichnung. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Und trotz dieser rationalen Vorbereitung wurde das Auto ein Flop.
Totes Familienmitglied
Warum? Natürlich könnte man jetzt einwerfen, dass das Marketing trotz der sehr umfangreichen Marktforschung schlecht war, in dem es, noch bevor die Autos bei den Händlern standen, viel zu hohe Erwartungen geschürt hatte, dass der Name unglücklich gewählt war, und vieles mehr. Wenn die verantwortlichen Manager damals so rational gehandelt haben, warum sind ihnen dann diese Fehler unterlaufen? Weil Rationalität auch überfordern kann. Weil das Management von Ford zwischen tausenden Vorschlägen hätte entscheiden müssen und dann doch den Namen eines verstorbenen Mitglieds der Familie Ford – Edsel Ford – entschieden hatte, obwohl dieser Name mit Begriffen wie weasel (Wiesel; hinterhältige Person) assoziiert wurde. Weil es so von diesem Fahrzeug so überzeugt war, dass es mit seinem Marketing höchste Erwartungen weckte, die nur enttäuscht werden konnten.
Wie kommt es, dass Rationalität und Irrationalität so eng zusammen liegen können? Wie kommt es, dass das Top-Management eines Weltkonzerns rational, vernünftig und faktenbasiert ein neues Fahrzeugmodell entwickelt, um dann mit irrationalen Entscheidungen, Ignoranz und Übertreibung wieder alles kaputt zu machen?
Weil wir Menschen nicht rational sind. Daniel Kahnemann hat das in seine Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ ausführlich dargestellt. Wir Menschen denken und verhalten uns so lange rational, wie es unsere Emotionen zulassen. Und weil wir die Komplexität unserer Umwelt nur unvollständig rational erfassen können und damit immer auch Heuristiken für die Entscheidungsfindung heranziehen. Und weil diese Heuristiken und bewusster Verzicht auf Information die Qualität von Entscheidungen nicht verschlechtern, sondern sogar verbessern können.
Bereit, Neues zu wagen
Meine Antwort auf die Frage meiner StudentInnen, ob sich Scheitern durch Rationalität vermeiden lässt, muss ich daher leider immer wieder mit Nein beantworten. Und das ist auch gut so. Scheitern geht weit über die Qualität von Entscheidungen hinaus. Scheitern hat etwas damit zu tun, sich in neue, unvorhersehbare Bereiche zu wagen und dabei kalkulierbare, aber unvermeidbare Risiken einzugehen. Wer immer nur das tut, was er aus Gewohnheit schon lange tut, kann nicht erfolgreich sein. Erfolgreiche Menschen sind diejenigen, die bereit sind, Neues zu wagen und dabei Risiken einzugehen. Sie müssen dabei zwangsläufig Vorstellungen von Vernunft und Angemessenheit überwinden und die vermeintliche Sicherheit durch Rationalität und Vernunft hinter sich lassen. So gesehen sind Erfolg und Scheitern zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Die Ford Motor Company hat mit dem Edsel circa drei Milliarden USD (heutiger Wert) Verlust gemacht. Gleichzeitig war das Scheitern des Edsels die Geburtsstunde des Ford Falcons, einer der längsten Erfolgsgeschichten des Unternehmens.
Über diese Kolumne:
In einer wöchentlichen Kolumne, die abwechselnd von Bert Overlack, Mary Fiers, Peter de Kock, Eveline van Zeeland, Lucien Engelen, Tessie Hartjes, Jan Wouters, Katleen Gabriels und Auke Hoekstra geschrieben wird, versucht Innovation Origins herauszufinden, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Kolumnisten, gelegentlich ergänzt durch Gast-Blogger, arbeiten alle auf ihre Weise an Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Damit es morgen besser wird. Hier sind alle vorherigen Episoden.