In der ruhigen Zeit nach Weihnachten wollte ich alle unbeantworteten Emails, der sich während eines geschäftigen ersten Semesters angesammelt hatten, in aller Ruhe aufarbeiten. Allerdings waren die Server an meiner Universität seit Montagabend, dem 23. Dezember, gehackt worden. Einerseits ist das beruhigend. Die Ursache der Misere liegt nicht in meiner Hand, ebenso wenig wie die Lösung. Doch gleichzeitig führt das auch zu noch mehr Unbehagen: Die E-Mails, die noch beantwortet werden müssen, werden unweigerlich immer mehr.
Eine berufliche Mailbox zu unterhalten ist nicht unbedingt nutzlos, es ist aber trotzdem eine völlig aussichtslose Arbeit. Wenn man endlich seinen Posteingang durchforstet hat, strömen die Antworten schon wieder von allen Seiten auf einen ein. Jegliche Hoffnung auf Erfolg wird gnadenlos zunichte gemacht. Man steht immer wieder am Anfang. Eine berufliche Mailbox zu pflegen ist eine Sisyphosarbeit.
In Der Mythos von Sisyphos beschrieb Albert Camus Sisyphos als den absurden Helden. Unsere Existenz ist reiner Zufall, das Leben hat keinen eigentlichen Sinn und ist vor allem absurd. Für Camus ist Sisyphos der Schutzpatron der absurden Erfahrung. Immer wieder ist er dazu verdammt, diesen gewaltigen Felsbrocken den Berg hinaufzurollen. Nur um ihn wieder hinunterdonnern zu sehen.
Camus interessierte sich besonders für den Moment, in dem Sisyphos beim Abstieg eine Atempause macht. „In diesen Augenblicken, in denen er den Gipfel verläßt und allmählich in die Höhlen der Götter entschwindet, ist er seinem Schicksal überlegen.”, schrieb Camus. “Er ist stärker als sein Fels.” Als Sisyphos hinabsteigt, wird ihm das ganze Ausmaß seines Elends und Kampfes bewusst. Aber Sisyphos hat sich mit dem Prozess abgefunden. Und so schafft er für sich selbst einen Sinn in der Absurdität. „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen”, schließt Camus.
Letzteres klingt größtenteils absurd. Vielleicht gibt es aber irgendwo einen weisen Rat für unsere tägliche Quälerei mit der Mailbox. Dass wir uns nicht mehr auf das Ziel konzentrieren sollten – das ziemlich unerreichbar ist – sondern auf die Reise. Und dass man einer solchen Qual vielleicht sogar etwas Positives und Poetisches abgewinnen kann.
Ich werde jede beantwortete Mail als eine Ode an die Vergeblichkeit betrachten.
Eine frühere Version dieses Artikels von Katleen Gabriels wurde 2017 in niederländischer Sprache veröffentlicht.
Über diese Kolumne:
In einer wöchentlichen Kolumne, die abwechselnd von Maarten Steinbuch, Mary Fiers, Peter de Kock, Eveline van Zeeland, Lucien Engelen, Tessie Hartjes, Jan Wouters, Katleen Gabriels und Auke Hoekstra geschrieben wird, versucht Innovation Origins herauszufinden, wie die Zukunft aussehen wird. Diese Kolumnisten, gelegentlich ergänzt durch Gast-Blogger, arbeiten alle auf ihre Weise an Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Damit es morgen besser wird. Hier sind alle vorherigen Episoden.