Die Diagnose “bösartiger Hirntumor” kommt für die Betroffenen immer noch zum großen Teil einem Todesurteil gleich. Auch nach Operation und anschließender Behandlung mit Chemotherapie und Bestrahlung kommt der Krebs bei den meisten Patienten zurück. So sinkt die Lebenserwartung beträchtlich. Nur knapp zehn Prozent überleben fünf Jahre. Forscherteams in Österreich und Schweden haben es in Experimenten mit Krebszellen aber nun geschafft, Chemotherapeutika mithilfe einer Ionenpumpe gezielt zu verabreichen. So soll die Therapie auch zu weniger schweren Nebenwirkungen führen.
“Das ist das erste Mal, dass eine Ionenpumpe als mögliche Methode zur Behandlung von bösartigen Hirntumoren getestet wurde”, erläutert der Physiker Daniel Simon vom Labor für organische Elektronik an der Universität Linköping in Schweden. “Wir haben Krebszellen im Labor verwendet, und die Ergebnisse sind äußerst vielversprechend. Es wird aber wahrscheinlich noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis wir diese neue Technologie in der Behandlung von Hirntumoren einsetzen können.”
Wissenschaftler aus den Bereichen Biophysik und Neurochirurgie der Medizinischen Universität Graz haben hierfür Zellen von Glioblastomen verwendet. Diese häufigste und aggressivste Krebsart, die im Gehirn entstehen kann, führt im Allgemeinen zur geringsten Lebenserwartung Betroffener. Der Grund ist, dass auch nach der chirurgischen Entfernung des Hirntumors oft kleine Teile des Tumors, die zwischen den Gehirnzellen eingebettet sind, zurückbleiben. Da keine auch noch so präzise Operation diese Zellen entfernen kann, ohne das umliegende gesunde Hirngewebe zu schädigen, versucht man, sie mit Strahlen- und Chemotherapie so weit wie möglich abzutöten. So kann ein Wiederauftreten des Tumors zumindest hinausgezögert werden.
Medikamente gezielt ins Gehirn leiten
Diese Chemotherapeutika haben jedoch einen großen Nachteil. Da sie meist entweder intravenös oder in Tablettenform verabreicht werden, müssen sie durch den gesamten Blutkreislauf – mit teils schweren Nebenwirkungen – bis sie im Gehirn ankommen. Dabei müssen sie auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden, die verhindert, dass unzählige Substanzen aus dem Blut überhaupt ins Gehirn gelangen. Aus diesem Grund kommen die wenigsten Medikamente, die gegen diese Tumoren wirken könnten, auch wirklich an ihrem Bestimmungsort an.
Die Forscher der Medizinischen Universität Graz und der Universität Linköping haben nun eine effektivere und für den Organismus schonendere Methode entwickelt. Sie leiten Gemcitabin, ein extrem wirksames Chemotherapeutikum, mithilfe einer implantierten Ionenpumpe direkt zum Tumor ins Gehirn und umgehen dabei auch die Blut-Hirn-Schranke.
Nervenzellen verschonen
“Die Glioblastom-Behandlung, die derzeit in den Kliniken eingesetzt wird, schädigt Krebs- und Nervenzellen in gleichem Maße”, sagt Linda Waldherr, Universitätsassistentin an der Medizinischen Universität Graz. “Mit der Gemcitabin-Ionenpumpe bekämpfen wir jedoch nur die Krebszellen, gleichzeitig werden Neuronen nicht beschädigt. Außerdem zeigen unsere Experimente an kultivierten Glioblastomzellen, dass mit der Ionenpumpe mehr Krebszellen abgetötet werden als mit der manuellen Behandlung“, so Waldherr, die die im Fachjournal “Advanced Materials Technologies“ publizierte Studie gemeinsam mit den Forschern der Universität Linköping durchgeführt hat.
Da die Ionenpumpe, die den Wirkstoff aus einem Elektrolytreservoir in Zellen oder einen Tumor transportiert, nur sehr wenig Strom verwendet, werden Neuronen dadurch nicht aktiviert. Das verhindert auch ungewollte Nervensignale. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass dank des niedrigen Stroms und der niedrigen Spannung keine großen Stromversorgungen oder Batterien für eine mögliche therapeutische Technologie benötigt werden.
Weitere Tests
“Der Druck im Gehirn ist extrem empfindlich. Wenn man nun eine Ionenpumpe zum Transport des Medikaments verwendet, anstatt eines flüssigkeitsbetriebenen Geräts, wird der Hirndruck nicht beeinflusst”, erklärt Rainer Schindl, Biophysiker an der Medizinischen Universität Graz und Mitautor der Studie. “Außerdem wird die Dosierung elektrisch gesteuert, was die Abgabe des Chemotherapeutikums äußerst präzise macht. Der nächste Schritt wird sein, die Ionenpumpe zu nutzen, um verschiedene Chemotherapeutika zu evaluieren, die bisher zu starke Nebenwirkungen hatten oder die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren konnten.“
Das Forschungsprojekt wird vom Wissenschaftsfonds FWF im Rahmen des 1000-Ideen-Programms, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Knut-und-Alice-Wallenberg-Stiftung sowie der Schwedische Stiftung für Strategische Forschung mitfinanziert.
Titelbild: Auf Schalen, in denen vaskularisierte Gehirntumore kultiviert werden, sind Ionenpumpen (transparente Plastikröhrchen) installiert, die den Wirkstoff über elektrische Ansteuerung in die Zellen transportieren. Quelle: © Linda Waldherr
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