Krankheiten wie entzündliche Darmerkrankungen nehmen weltweit dramatisch zu, der Grund für diesen Anstieg ist aber noch weitgehend ungeklärt. Forscher der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel sind diesem Problem in einer Studie nun auf den Grund gegangen und gehen anhand der Ergebnisse davon aus, dass eine „Überfütterung“ die Besiedelung von Bakterien im Darm stört und so für zahlreiche zivilisationsbedingte Krankheiten verantwortlich ist.
In der Vergangenheit hätten Fasten aufgrund von Nahrungsmangel und Infektionen, die Durchfall verursachten, die Darmbakteriengemeinschaft immer mal wieder auf ihre „humanspezifische Grundlinie” zurückgeführt, erklären die Forscher. Diese natürlichen Reinigungsmechanismen seien in Industrieländern jedoch praktisch ausgerottet worden, was ein ständiges unkontrolliertes Wachstum von Bakterien ermögliche. Dies führe wiederum zu einer Zunahme von Bakterienprodukten, die das Immunsystem stimulieren und letztlich Entzündungsreaktionen auslösen können.
Bakterien sind nicht gleich Bakterien
Bis vor nicht allzu langer Zeit galten Bakterien als schädlich und als Krankheitserreger, die vernichtet werden müssen, um die entsprechenden Krankheiten zu besiegen. Mittlerweile ist aber klar, dass bestimmte Bakterien unerlässlich für die Gesundheit des Menschen sind. Das gilt besonders für die Bakterien im Darm. Eine gestörte Darmflora – die nicht zuletzt durch übertriebene Hygiene, Antibiotika oder auch falsche Ernährung verursacht werden kann – kann unter anderem zu zivilisationsbedingten Krankheiten wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa führen.
Ein Forscherteam des Metaorganismus-Sonderforschungsbereichs der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel stellte nun eine weitere Theorie über die Hintergründe auf, die zu verschiedenen Zivilisationskrankheiten führen. In ihrer Abhandlung „Exposure of the Host-Associated Microbiome to Nutrient-Rich Conditions May Lead to Dysbiosis and Disease Development—an Evolutionary Perspective“ sind die Wissenschaftler zu dem Schluss gekommen, dass „eine konstant steigende Zuführung von Nährstoffen im Darm zu einer erhöhten Aktivität und veränderten Funktionalität der Mikrobengesellschaft führt, wodurch die Wechselwirkungen zwischen Wirt und Mikrobe stark gestört werden und es zu einer Dysbiose (Ungleichgewicht der Darmflora) und Krankheitsentwicklung kommt.“
Vereinfacht gesagt heißt das, dass Darmbakterien weniger der Stoffe verarbeiten, die ihnen im Rahmen der natürlichen Zusammenarbeit mit dem Wirt angeboten werden. Sie erledigen die Arbeit, die sie im Laufe der Evolution gelernt haben, nicht mehr ordnungsgemäß und begünstigen so die Entstehung von Erkrankungen.
„Diese Überfütterung der Bakterien fördert das Wachstum der Mikroben insgesamt, dazu vermehren sich bestimmte Bakterienarten zu Ungunsten anderer Mitglieder des Mikrobioms verstärkt und unkontrolliert“, wird Co-Autor Thomas Bosch von Wissenschaft.de zitiert. Sein Kollege Peter Deines erklärt: „So verändern sich mit der Zusammensetzung der Bakterienbesiedlung auch die Interaktionen zwischen Bakterien und Wirtsorganismus und eine schwerwiegende Störung, die Dysbiose, tritt ein.“
Der menschliche Bauch und Meereslebensräume
Bei ihren Studien bezogen die Wissenschaftler auch Forschungsergebnisse zur Ökologie von Meereslebensräumen mit ein, da Infektionskrankheiten in den vergangenen zehn Jahren nicht nur in der menschlichen Bevölkerung, sondern auch im Ozean zugenommen haben. Dabei erkannten sie einige Parallelen zum „Bakterienlebensraum“ menschlicher Bauch. Untersuchungen zum Sterben von Korallen, Austern, Fischen, Seegras, Algen, Schwämmen und anderen wirbellosen Tieren zeigen, dass neben Urbanisierung und dem Klimawandel auch die Nährstoffverhältnisse im Meer potentiell tödliche Folgen haben können.
„Veränderungen in der Umgebung, die diese Nährstoffabhängigkeit von wirtsassoziierten Bakterien beeinträchtigen, können die Wechselwirkungen zwischen Wirt und Mikrobe stark stören und so zu Dysbiose und Krankheitsentwicklung führen“, schreiben Bosch, Deines und ihre Kollegen. Wenn es im Wasser ein unnatürlich großes Nährstoffangebot gebe, würden die mit den Korallen assoziierten Bakteiren dieses Angebot auskosten und sich nicht mehr von Stoffwechselprodukten de Korallen ernähren. Dadurch würde die Balance des Korallen-Mikrobioms aus der Balance geraten und es könnten Krankheiten entstehen.
„In diesem Zusammenhang zwischen der Nährstoffverfügbarkeit und der Balance der Wirts-Bakterien-Beziehungen sehen wir ein universelles Prinzip, das weit über das sehr spezielle Beispiel der Korallen hinausgeht“, erklärt Co-Autor Tim Lachnit. „In Untersuchungen an unserem Modellorganismus, dem Süßwasserpolypen Hydra, konnten wird diesen Zusammenhang experimentell bestätigen“. Diese im Meer beobachteten Prinzipien könnten sich auch auf das menschliche Mikrobiom übertragen lassen, glauben die Forscher.
Weitere Forschungen
Für künftige Forschungsarbeiten basierend auf ihrer „Überfütterungs-Hypothese“ haben die Wissenschaftler sich vorgenommen, schließlich neue Therapien zu finden. „Eine interessante Frage wird sein, ob die evolutionär ursprünglichen Abläufe, die für die Balance des Mikrobioms sorgen, auch ein therapeutisches Potenzial besitzen“, sagt Lachnit. „Künftig werden wir uns zum Beispiel neben den bekannten gesundheitsfördernden Effekten des Fastens auch mit seinen Auswirkungen auf Zusammensetzung und Funktion des Mikrobioms und damit den Verlauf von Entzündungskrankheiten beschäftigen.“
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