Gesund altern könnte zukünftig Realität werden. Denn einer interdisziplinären Gruppe von Wissenschaftlern aus der Immunologie und Stammzellenforschung der Uni Ulm ist es kürzlich gelungen, körpereigene Abwehrkräfte im Modell zu verjüngen. Das Team um Prof. Hartmut Geiger, Leiter des Instituts für Molekulare Medizin, und Prof. Reinhold Schirmbeck, Gruppenleiter an der Universitätsklinik für Innere Medizin I., wies zunächst die wichtige Rolle der blutbildenden Stammzellen bei der Alterung des Immunsystems nach. Bisher galt hierfür als Hauptursache ‒ da hier wichtige Immunzellen reifen ‒, die Rückbildung der Thymusdrüse. Doch der Blick auf die Stammzellen brachte neue Erkenntnisse: Der sogenannte „Wartungsdienst“ des Körpers, der unter anderem für die Regeneration von Blut- und Immunzellen sorgt, verliert im Alter – wie der übrige Organismus auch –, seine Leistungsfähigkeit. Die Stammzellen können also ihrem Reparaturauftrag nicht mehr so gut nachkommen. Schon in früheren Arbeiten zeigte Geiger bereits, dass blutbildende Stammzellen im Alter auf ein anderes Signalsystem umstellen. Genau das soll sozusagen Chaos im „Wartungsbetrieb“ auslösen. Mithilfe der pharmakologischen Substanz Casin lässt sich diese Umstellung jedoch rückgängig machen.
Erfolgreiche Verjüngungskur im Modell
Die Ulmer Wissenschaftler untersuchten in einem neuen Knochenmarks-Transplantationsmodell inwiefern die Alterung blutbildender Stammzellen tatsächlich die Leistungsfähigkeit des Immunsystems beeinflusst. Dazu isolierten sie Stammzellen aus dem Knochenmark älterer und junger Mäuse. Ein Teil der älteren Stammzellen erhielt anschließend die oben schon beschriebene „Verjüngungskur“ mit Casin. Im nächsten Schritt wurden die alten, jungen und verjüngten blutbildenden Stammzellen transgenen Mäusen, die über kein eigenes Immunsystem verfügen, übertragen. Bereits nach zwölf Wochen konnten die Forschenden die Leistungsfähigkeit der Abwehrsysteme, die aus den Transplantaten entstanden waren, überprüfen. Sie untersuchten dabei unter anderem die Impfreaktion. „Bei der Impfung werden bekanntlich unschädliche Varianten von Erregern verabreicht, woraufhin das Immunsystem Abwehrzellen bildet. Im Infektionsfall helfen diese bereits vorhandenen Abwehrzellen dabei, rasch auf Bakterien oder etwa Viren zu reagieren“, erklärt Dr. Hanna Leins, Erstautorin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Molekulare Medizin das Vorgehen, „die Impfreaktion kann also Auskunft über die Funktionsfähigkeit der körpereigenen Abwehr geben.“
Im Modell konnten die Forscher die erfolgreiche Verjüngung der blutbildenden Stammzellen und infolgedessen des Abwehrsystems nachweisen: Die Impfreaktionen des jungen und des aus verjüngten Stammzellen entstandenen Immunsystems erwiesen sich nämlich als gleich stark. Während erwartungsgemäß das Abwehrsystem aus alten Stammzellen wesentlich schwächer auf die Impfung reagierte.
Behandlungserfolge für Senioren
Die Forschungsergebnisse dürften wichtige Anhaltspunkte zur Behandlung von Senioren geben. Denn da mit zunehmendem Alter das Immunsystem immer schwächer wird, sind ältere Menschen anfälliger für Infektionen. Auch Impfungen – zum Beispiel gegen Grippe – wirken weniger gut. „Insgesamt belegen unsere Ergebnisse die wichtige Rolle der blutbildenden Stammzellen bei der Alterung des Immunsystems. Altern diese Stammzellen, kann sich das Abwehrsystem nicht mehr ausreichend regenerieren. Der Organismus wird anfälliger für Infektionen“, so der Fachmediziner für Inneres, Professor Reinhold Schirmbeck. „Im Modell haben wir aber auch gezeigt, dass wir die Uhr zurückdrehen können: Die Verjüngung gealterter Stammzellen kann die Immunkompetenz im Alter wiederherstellen“, ergänzt Stammzellexperte Professor Hartmut Geiger. Die Ergebnisse der Wissenschaftler führen zu einem besseren Verständnis des alternden Immunsystems und zeigen, dass die Leistungsfähigkeit der Abwehrkräfte wesentlich von blutbildenden Stammzellen abhängt. Langfristig könnten die neuen Erkenntnisse zu einem gesünderen Altern beitragen sowie die Erfolge von Impfungen oder der Immuntherapie bei Krebserkrankungen im Seniorenalter verbessern.
Eine der besten Publikationen aus 2018
Die Ulmer Forschungsarbeit wurde vom US-Journal Blood als eine der besten Publikationen des vergangenen Jahres gelistet. Sie ist das Ergebnis der interdisziplinären Zusammenarbeit der Ulmer Universitätsmedizin (Innere Medizin I, Institut für Molekulare Medizin) mit der geriatrisch ausgerichteten Agaplesion Bethesda Klinik in Ulm (Professor Michael Denkinger). Gefördert wurden die Wissenschaftler im Zuge des Verbundes SyStaR vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Zudem unterstützte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das Team über das Graduiertenkolleg CEMMA (Cellular and Molecular Mechanisms in Aging).
Bild oben: Messung von Impfantworten mittels ELISPOT. Die Anzahl der Spots (blaue Punkte) spiegelt die Stärke der Immunantwort wider ©Andreas Brown