Rund 13 Jahre hat eine Gruppe von mehr als 200 Forschern aus 20 Ländern, die sich im International Wheat Genome Sequencing Consortium (IWGSC) zusammengeschlossenen haben, gebraucht, um das komplexe Erbgut des Weizens fast komplett zu entschlüsseln. Dank dieser neuen Erkenntnisse darf man nun hoffen, in naher Zukunft neue, ertragreiche Weizenarten nicht nur schneller züchten zu können, sondern auch Allergene heraus zu züchten.
„Wir haben an einer einzigen Weizensorte namens Chinese Spring geforscht“, sagt Dr. Manuel Spannagl vom Helmholtz Zentrum in München, das gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben federführend an der Studie beteiligt war. Diese Weizensorte sei sozusagen „die Laborratte“ für die Weizenforschung, erklärt er. Auf dem Feld sei sie zwar nicht mehr zu finden, aber sie sei „die Modellpflanze, auf die sich die Wissenschaftler geeinigt haben und diese eine Linie haben wir sequenziert. Sie ist zu 94% komplett.“
Chinese Spring sei ein Brotweizen und der ist laut Dr. Spannagl genetisch komplexer als Hartweizen. „Brotweizen hat drei Untergenome. Er ist entstanden durch eine Kreuzung eines Hartweizens mit zwei Untergenomen und einer Grassorte, die nur ein Untergenom hat. Daher hat er drei Untergenome.“ Hartweizen, der zur Nudelherstellung verwendet wird, hat nur zwei Untergenome, und – man höre und staune – der Mensch hat nur ein einzelnes Untergenom. Übrigens umfasst das menschliche Erbgut rund 20.000 Gene, das des Brotweizens 107.891.
Komplexeres Erbgut beim Weizen als beim Menschen
Das heißt also, der Weizen ist komplexer als der Mensch? „Stimmt“, sagt Spannagl. „Das Erbgut des Weizens ist deutlich komplexer als das des Menschen. Der Mensch hat bei weitem nicht das komplexeste Erbgut aller Lebewesen. Pflanzen haben teilweise ein viel größeres Erbgut, mit viel mehr Genen, als der Mensch. Brotweizen ist dafür ein sehr gutes Beispiel, aber auch noch nicht das Ende der Fahnenstange.“ Der Brotweizen sei aber „schon ein wirklich schwer zu knackendes Genom“ gewesen. Die vollständige Sequenzierung des Genoms schien daher auch lange unmöglich. „Je mehr Untergenome ein Organismus hat, desto komplizierter ist er zu sequenzieren und zu analysieren. Durch die drei Untergenome hat man von jedem Gen zunächst einmal auch drei Kopien“, erklärt der Wissenschaftler. „Das macht die Sache einerseits sehr interessant, aber auch sehr aufwändig und komplex.“
Künftig könnte es den Forschern möglicherweise sogar gelingen, 100% des Genoms zu knacken, das sei aber nicht so wichtig sagt Spannagl. „Auch das menschliche Erbgut ist bisher nicht zu 100% sequenziert Es gibt immer noch ein paar Bereiche im Erbgut, die sehr schwer zur sequenzieren sind, weil sie aus sich ständig wiederholenden Abläufen bestehen.“ Für die meisten Anwendungen und die meisten Fragestellungen sei es wahrscheinlich auch gar nicht nötig, das Genom zu 100% zu sequenzieren. „Wir gehen davon aus, dass wir in den 94%, die wir jetzt haben, die meisten oder alle Gene abgedeckt haben. Diese 6%, die noch fehlen, enthalten höchstwahrscheinlich nur Repetitivelemente, die aber nicht für Proteine verantwortlich sind.“
Durch die Ergebnisse ihrer Forschung hoffen wie Wissenschaftler, dass man mit neuartigen Zuchtmethoden und gezielter Züchtung, „die verstärkt auch die Genominformationen nutzt, wo auf dem Erbgut ein bestimmtes Gen tatsächlich liegt“, den Züchtungsfortschritt erheblich beschleunigen kann. Bisher dauert die Züchtung einer neuen Weizensorte etwa zehn Jahre. In Anbetracht der Tatsache, dass Weizen, laut einer Publikation der Forschergruppe, das Grundnahrungsmittel für mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung sei und fast 20 Prozent der Kalorien und Proteine ausmache, die Menschen weltweit konsumieren, wäre dies ein bedeutender Schritt. In etwa zwei bis drei Jahren sollte es soweit sein, dass man mit ersten Erfolgen bei der Verwendung des Genoms für die Züchtung rechnen könne, vermutet Spannagl.
Falls nun aber jemand hofft, dass es künftig auch Weizen geben wird, der nicht dick macht, muss der diese Hoffnung leider begraben. „Das glaube ich eher weniger“, lacht Spannagl, „das wäre schön. Es geht aber vor allem um Resistenzen gegen Schädlinge. Wir haben jetzt eine Weizensorte sequenziert, es gibt aber natürlich tausende Sorten, die in den Eigenschaften teilweise sehr unterschiedlich sind. Es gibt auch welche, die natürlich resistent gegen manche Schädlinge sind. Viele der Elitesorten, die bei uns auf dem Feld sind, haben einen hohen Ertrag, sind aber sehr anfällig für Schädlinge.“ Genau diese Sorten müsse man nun resistent gegen die Schädlinge machen. „Da ist es sehr interessant, wenn wir wissen, dieses Gen ist verantwortlich für die Resistenz gegen einen bestimmten Erreger.“
Alle, die nun Angst vor Genweizen haben, beruhigt Spannagl. Diese Resistenzen könnten mit ganz normaler, herkömmlicher Züchtung erreicht werden. „Das hat mit Gentechnik nichts zu tun. Man könnte es über Gentechnik genauso machen, es geht aber auch ganz normal über konventionelle Züchtung. Das sind zwei verschiedene Schienen, das Ergebnis ist das gleiche.“ Mit der Genschere CRISPR, über die es erst kürzlich ein Urteil des Europäische Gerichtshofs gab, ließe sich das Ergebnis vielleicht sogar noch etwas schneller erreichen, „grundsätzlich ist so etwas durch die Erbgut Informationen, die jetzt vorliegen, aber auch über konventionelle Züchtung möglich.
Hoffnung für Allergiker
In einer zusätzlichen Studie analysierten die Forscher auch die Gene, die an Allergien beteiligt sind. Die gute Nachricht für alle, die zum Beispiel eine Glutenunverträglichkeit haben. „Mit dem Vorliegen des Erbgutes konnten wir erstmals alle Gene, die zuständig sind für die verschiedenen Weizenunverträglichkeiten kareitieren. Es gibt da ja nicht nur Gluten sondern viele verschiedene Unverträglichkeiten“, so Spannagl. Um soweit zu kommen, mussten die Wissenschaftler klären, welche Gene wo liegen und welche Aufgaben einzelne Gene haben.„Wir haben keine neuen Gene gefunden die dafür verantwortlich sind, die waren zum großen Teil schon bekannt, wir konnten sie jetzt aber genau auf dem Erbgut katieren.“ Das sei die Voraussetzung dafür, dass man eventuell auch Weizensorten züchten kann, die weniger Gluten oder weniger von den allergieauslösenden Stoffen enthalten.
„Es gibt diese drei Sub-Genome im Weizen Erbgut und damit also von jedem Gen drei Kopien. Wenn jetzt also jedes Gen mit seinen drei Kopien komplett exprimiert, also übersetzt wird in ein Protein, dann hat man plötzlich die dreifache Menge dieser Proteine“, erklärt Spannagl. In manchen Fällen sei das aber für den Organismus vielleicht gar nicht hilfreich, vielleicht zu viel des Guten. „Da ist es für uns sehr spannend zu sehen, welche Gene in einigen dieser drei Untergenome werden in dreifacher Ausführung exprimiert, welche Gene werden runter reguliert. Der Organismus muss da sehr komplex regulieren, wie stark manche Gene ein- und ausgeschaltet werden.“
Es sei noch gar nicht so lange her, dass diese drei Untergenome im Erbgut zusammengekommen seien und es sei somit immer noch ein „Work in Progress“ und daher „sehr spannend zu sehen, wie reguliert der Organismus das Ein- und Ausschalten der Gene und für welche Funktionen sind die Gene zuständig, die soundso reguliert werden. Sind sie z.B. für das Wachstum zuständig? Oder sind sie für irgendwelche Resistenzen zuständig?“
Das sei sehr spannend, da man zum ersten Mal in einem Organismus forsche, in dem es diese drei Untergenome gebe, betont Spannagl, denn frühere Pflanzengenomen, die sequenziert wurden, z.B. Reis oder Mais, hätten, ebenso wie das menschliche Erbgut, nur ein Untergenom. „Die waren deutlich einfacher, haben aber nicht diese drei Untergenomen. Das ist jetzt das erste Mal, dass wir bei Gräsern oder Getreide einen Organismus haben, der diese drei Untergenome hat und wird uns das tatsächlich ausführlich anschauen können.“