Seit der Erfindung der Kontaktlinse hat sich mittlerweile einiges getan. Und die Entwicklung geht immer weiter: So forschen derzeit Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung IAP gemeinsam mit israelischen und deutschen Partnern an Linsen, die einerseits gezielt Medikamente freisetzen und gleichzeitig lange Kontaktzeiten im Auge ermöglichen. Und in dem Projekt „LasInPOP“ der TU Dresden möchte der spanische Forscher Dr. Daniel Sola Kontaktlinsen individualisieren.
Kontaktlinsen als Trägersystem
Bei der örtlichen Behandlung von Augenkrankheiten entfalten oft nur circa fünf Prozent eines Medikaments ihre Wirkung am Augengewebe. So entstand die Idee des deutsch-israelischen Forscherteams, Kontaktlinsen als Trägersystem für Wirkstoffe zu nutzen. Doch nicht nur das: Auch möchte das Team die Kontaktzeiten des Medikaments mit dem Gewebe im Auge verlängern. Dieses System, bei dem der Wirkstoff in Liposomen verkapselt und an die Innenseite der Kontaktlinsen gebunden wird, könnte Schmerzen lindern, die Wundheilung verbessern und die Hornhaut schützen. Zudem soll die Kontaktlinse mit Hilfe von Zuckern besonders verträglich gemacht werden.
Doch die Anforderungen sind hoch. So muss der Wirkstoff über eine möglichst lange Zeit freigegeben werden, die Kontaktlinse muss optimale Schmiereigenschaften haben und alle Bestandteile müssen biologisch unbedenklich sein. Bis heute gibt es noch kein derartiges Applikationssystem, das dies alles erfüllt.
Liposomen geben Wirkstoffe über die Zeit ab
Zwar hat die israelische Partnerfirma EyeYon Medical bereits medizinische Kontaktlinsen zur Verabreichung von Medikamenten entwickelt. Diese ermöglichen sogar eine längere Verweilzeit von Wirkstoffen. Doch besteht noch Optimierungsbedarf. Dazu Nahum Ferera, CEO von EyeYon Medical:
Die Zeitspanne, über die das Medikament bei diesen Kontaktlinsen freigegeben wird, beträgt bisher circa 20 Minuten. Bei der Anwendung von Augentropfen erreichen generell nur 4 Prozent des Wirkstoffs ihr Ziel. Diese Zeit und die Bioverfügbarkeit möchten wir verlängern… .
…Hinzu kommt, dass laut einiger Studien bis zu 30 Prozent aller Kontaktlinsenträger darüber klagen, dass das Tragen von Kontaktlinsen generell unbequem ist. Mit Hilfe des Fraunhofer IAP und den anderen Partnern möchten wir beide Parameter verbessern ‒ die Zeit der Freisetzung des Medikaments und die Verträglichkeit.“
Ziel des deutsch-israelischen Forscherteams ist es, die Innenseite der Kontaktlinse mit Liposomen, zu beschichten, die einen Arzneistoff in sich tragen und diesen über die Zeit freigeben können. Hergestellt werden die Liposomen am Weizmann Institute of Science in der Arbeitsgruppe von Prof. Jacob Klein und Dr. Ronit Goldberg.
Zucker für bessere Wirksamkeit und Verträglichkeit
Doch es geht noch mehr: „Zucker spielen in diesem Projekt eine entscheidende Rolle“, erklärt Dr. Ruben R. Rosencrantz, der das Projekt am Fraunhofer IAP leitet.
In unserem Körper sind Zucker an den verschiedensten Stellen für Gleitfähigkeit verantwortlich. In der Schleimschicht des Auges ermöglichen sie beispielsweise das reibungslose Gleiten des Augenlides. Um genau diesen Effekt auch mit der Kontaktlinse zu erreichen, haben wir am Fraunhofer IAP stark zuckerhaltige Polymere entwickelt, sogenannte Glykopolymere… .
Sie werden einerseits auf der Oberfläche der gesamten Kontaktlinse gekoppelt, andererseits können sie Bestandteile der Liposomen sein, die den Arzneistoff in sich tragen“, so Rosencrantz. Die Beschichtung der Kontaktlinse mit Glykopolymeren wird von der deutschen Firma Surflay Nanotec entwickelt.
Auf dem Weg zum marktfähigen Medizinprodukt
Um ein genehmigtes Medizinprodukt zu erhalten, arbeiten die fünf Partner und die zwei Unterauftragnehmer DendroPharm GmbH und Nextar Chempharma Solutions in dem dreijährigen Projekt, das bis Juli 2021 läuft, eng zusammen. Dabei müssen die Forscherinnen und Forscher auch die Biokompatibilität aller verwendeten Komponenten sicherstellen. Die Untersuchungen zur biologischen Verträglichkeit werden in der Universitätsmedizin Rostock durchgeführt. Zudem prüfen die beiden Unterauftragnehmer, ob alle Systemkomponenten entsprechend der GMP-Richtlinien (englisch: Good Manufacturing Practice, GMP) hergestellt wurden, einer Art Qualitätssiegel, das unter anderem für die Pharma- und Medizinbranche gilt.
„Wenn Funktion und Biokompatibilität der Kontaktlinse sichergestellt sind, muss aber auch gewährleistet sein, dass das Glykopolymer in großen Mengen hergestellt werden kann“, erklärt Rosencrantz, der sowohl Chemie als auch Biologie studiert hat.
Die Massenherstellung von Glykopolymeren ist ein sehr wichtiger Aspekt des Projektes am Fraunhofer IAP, denn am Ende muss auch der Preis stimmen“, so Rosencrantz.
Gefördert wird das Projekt in Deutschland mit rund einer Million Euro durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
LasInPOP: Für jede Fehlsichtigkeit die passende Laserstruktur
Dr. Daniel Sola forscht gemeinsam mit Prof. Andrés Lasagni an der Professur für Laserbasierte Methoden der großflächigen Oberflächenstrukturierung der TU Dresden. In seinem Projekt „LasInPOP“ möchte Sola opthalmische Polymere ‒ diese Materialien werden zur Herstellung von Kontaktlinsen verwendet ‒, mit kurzen Laserpulsen strukturieren. Seinen Herausforderung ist, für jede individuelle Fehlsichtigkeit die passende Laserstruktur zu finden. Dabei sollen die nur 0,5 Millimeter dicken Kontaktlinsen mit einem Laserinterferenzverfahren so bearbeitet werden, dass jedes Auge durch die Sehhilfe seine volle Sehschärfe erreicht.
Ultrakurze Laserimpulse
In seinen Forschungen konzentrierte sich der promovierte Physiker zunächst auf die Laserbearbeitung von Hochleistungskeramiken und glaskeramischen Materialien. Aus den Ergebnissen seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 2010 an der Universidad de Zaragoza gingen 17 Patente hervor. Ein dreijähriges Postdoc-Stipendium ermöglichte es ihm schließlich, sich mit der Herstellung und Charakterisierung von bioaktiven Gläsern und Glaskeramiken sowie der Laserbearbeitung mit ultrakurzen Laserpulsen zu beschäftigen. Damals entwickelte Daniel Sola sein übergeordnetes Forschungsziel, das er mit seiner bisherigen Arbeit am Laboratorio de Óptica an der Universidad de Murcia vorbereitet hat. Mit dem Start an der TU Dresden ist auch der Startschuss für die Erforschung der Korrektur von Fehlsichtigkeit mit ultrakurzen Laserpulsen gefallen.
Verfahren soll zukünftig direkt am Auge verwendet werden
Bisher korrigieren Brillen, Kontaktlinsen oder eine OP die häufigsten Fehlsichtigkeiten des menschlichen Auges: Kurz- oder Weitsichtigkeit und Hornhautverkrümmung. Dabei geht es immer darum, dass Licht fehlerhaft gebrochen wird. Wenn es nach Daniel Sola geht, soll in ein paar Jahren ein neues Laserverfahren die bisherigen Hilfsmittel ersetzen. Dann werden die Brechungsfehler des Auges durch eine zerstörungsfreie Behandlung mit ultrakurzen Laserpulsen korrigiert. Sein langfristiges Forschungsziel ist, die Risiken und Nebenwirkungen aktueller Augenoperationen gänzlich zu vermeiden und gleichzeitig auf konventionelle Sehhilfen zu verzichten. Bisher wird Fehlsichtigkeit operativ zwar auch mit Laser behandelt, allerdings ist der Eingriff destruktiv – d.h. Gewebe wird unwiederbringlich abgetragen. Sola hingegen möchte die Hornhaut in Zukunft mit einem laserinterferenzbasierten Verfahren so strukturieren, dass die Brechungsfehler korrigiert werden ‒ ganz ohne das hohe Risiko einem eigentlich gesunden Organ zu schaden.
Bevor das Verfahren aber für das menschliche Auge verwendet werden kann, muss es zunächst für Kontaktlinsen erforscht werden.
Das Ziel meines LasInPOP-Projektes ist zu untersuchen, wie gepulste Laserstrahlung verwendet werden kann, um die optischen Eigenschaften von Kontaktlinsen zu verändern.“
Dresden bietet ihm dafür genau die richtige Forschungsinfrastruktur: „Was ich in Dresden wirklich als herausragend empfinde, ist die große Anzahl von Forschungseinrichtungen, darunter Fraunhofer-, Max-Planck- und Leibniz-Institute und natürlich die TU Dresden. Außerdem ist Dresden mit seinem kulturellen und historischen Hintergrund eine fantastische und wunderschöne Stadt.“
Marie Sklodowska-Curie-Stipendium
Dr. Daniel Sola gehört übrigens zu den 93 Wissenschaftlern in Deutschland, die für 2019 das begehrte Marie Sklodowska-Curie-Stipendium von der EU erhalten haben. Es ist Teil des EU-Programms für Forschung und Innovation „Horizon 2020“. Gefördert werden Wissenschaftler, die einen Doktortitel besitzen oder mindestens vier Jahre Vollzeit-Forschungserfahrungen vorweisen können. Das Forschungsthema ist frei wählbar. Insgesamt hatten sich 8.124 Wissenschaftler aus aller Welt um das Stipendium beworben. Die Europäische Kommission fördert davon jetzt 1.211 Stipendiaten.